Sei ein Patriot, töte einen Priester!

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Das Andenken an die ermordeten Jesuiten und Angestellten von San Salvador ist im Land auch heute ungebrochen.

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Das Andenken an die ermordeten Jesuiten und Angestellten von San Salvador ist im Land auch heute ungebrochen.

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Zehn Jahre sind es jetzt her: 16. November 1989. Frühmorgens stürmen dreißig Elitesoldaten auf den Campus der Zentralamerikanischen Universität (UCA) in San Salvador. Kaltblütig ermorden sie sechs Jesuiten und zwei Frauen. Der Kommandoeinsatz dauert nicht einmal eine halbe Stunde. Die Opfer des Massakers: Ignacio Ellacuria, Ignacio Martin-Baro, Segundo Montes, Amando Lopez, Juan Ramon Moreno, Joaquin Lopez y Lopez sowie Elba Julia Ramos, die Köchin der Patres, und deren 16jährige Tochter Celina. Die Fotos ihrer aus den Häusern gezerrten, auf dem Rasen liegenden und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichen gingen damals um die Welt.

Sicher ist, daß die Toten tot sind, und daß der Befehl zu ihrer Ermordung von ganz oben kam. Sicher ist auch, daß die statutengemäß für soziale Veränderungen eintretende Privatuniversität, die die Drahtzieher des feigen Attentats treffen wollten, weiterhin existiert. Nicht sicher ist, ob die wahren Schuldigen je zur Rechenschaft gezogen werden. Zwar kam es 1991 zum Prozeß, bei dem zwei (von acht) Angeklagten wegen Mordes verurteilt wurden. Doch seit der Generalamnestie im Frühjahr 1993 sind sie wieder frei.

Wenige Monate vor dem traumatischen Novembertag - der 1980 wieder aufgeflammte Bürgerkrieg näherte sich dem Höhepunkt - hatte Peter-Hans Kolvenbach, der Generalobere des Jesuitenordens, das Land besucht. Ob nicht einzelne Jesuiten (wie bereits 1980 Ellacuria) vorübergehend ins Ausland gehen sollten, war dabei eine Frage. Doch diese hätten ihn damals, so Kolvenbach zehn Jahre später, an seine eigene Situation in Beirut erinnert, wo er vor seiner Wahl an die Spitze des Ordens jahrzehntelang als Wissenschaftler gelebt hatte: "Haben Sie den Libanon während des Bürgerkriegs verlassen? Nein, das haben Sie nicht getan. Es ist nicht unsere Spiritualität, Menschen zu verlassen, nur weil die Lage schwierig oder sogar gefährlich wird."

Diese und andere Erinnerungen sind auf einem 30minütigen Video festgehalten, das der Jesuitenorden zum zehnten Jahrestag der Jesuitenmorde über die Kirche in El Salvador produzieren ließ; es ist um 15 US-Dollar auf Englisch, Spanisch und Französisch erhältlich (Details: infosj@sjcuria.org). Der Titel des Videos: "Be a patriot: Kill a priest" übernimmt eine Parole, die nach den Morden am Jesuiten Rutilio Grande SJ (1977) und Erzbischof Oscar Arnulfo Romero (1980) aufgekommen war, als die Hemmschwelle der Militärs in El Salvador fiel: "Sei ein Patriot, töte einen Priester."

"Sind Gefährten Jesu" Kolvenbach hat auch die Reaktion seiner Mitbrüder nicht vergessen, als er sie auf ihren Ruf ansprach, Marxisten oder Kommunisten zu sein: Gelächelt hätten sie. Pater Ellacuria habe geantwortet: "Glauben Sie wirklich, daß wir unser Leben für Karl Marx und seine Theorien geben würden? Wir sind Gefährten Jesu, und das ist das Geheimnis unseres Lebens." Für den Generaloberen steht fest: "Diese Jesuiten wußten, was sie taten, und was passieren könnte. Ihr Tod war Teilnahme am Schicksal Jesu."

Jon Sobrino, ebenfalls Jesuit und heute bekanntester Theologe der UCA, war im November 1989 auf Vortragsreise in Thailand. Sonst wäre wohl auch er unter den Toten. Im Video zeigt er auf ein Buch des Tübinger evangelischen Theologen Jürgen Moltmann, über das er seine Doktorarbeit geschrieben hat: "Der gekreuzigte Gott". Es war bei dem Überfall aus dem Regal gestürzt und hatte sich auf dem Fußboden mit dem Blut seiner ermordeten Mitbrüder angesaugt. Für Sobrino ist das Sinnbild für seine weitere theologische Arbeit geworden.

So überrascht es nicht, daß die 1965 gegründete Universität der Jesuiten mit mehreren Instituten noch immer stört. In ihrer Grundüberzeugung sieht sie sich durch die Morde bestätigt: Von Gott reden und Theologie treiben kann man verantwortlich nur mit Blick auf die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen. Dafür konnte und kann man sich auf die pastoralen Grundentscheidungen der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen in Medellin (1968), Puebla (1979) und in Santo Domingo (1992) berufen, wo zuletzt dazu aufgefordert wurde, "mit erneuertem Elan" die "Option für die Armen" in allen Bereichen des kirchlichen Lebens umzusetzen.

Das gilt nach wie vor als subversiv. Der derzeitige Erzbischof von San Salvador, Fernando Saenz Lacalle, ein Opus-Dei-Mann, möchte etwa nicht, daß Seminaristen an der UCA ausgebildet werden. Im Jesuitenorden anderseits hat das Attentat einen Ruck ausgelöst. Ende 1989 meldeten sich sofort etliche Jesuiten freiwillig, um die entstandenen Lücken aufzufüllen. Das Blut, das vergossen wurde, hat ihnen und anderen Christen den Anspruch christlichen Glaubens erst so richtig bewußt gemacht.

Heute sind Städte nach den ermordeten Jesuiten benannt, ihre Bilder sind in vielen Kirchen zu finden, ihr Grab in der Universitätskapelle ist ebenso zur Wallfahrtsstätte geworden wie der Garten der Jesuitenkommunität, wo man die toten Körper fand. Don Obdulio, Ehemann und Vater der ermordeten Frauen, pflanzte genau an der Fundstelle acht Rosen: für seine Frau, für seine Tochter und die sechs Jesuiten. Jahrelang hat er sie liebevoll gehegt. Jetzt ist auch er gestorben.

Der Autor ist Jesuit und lebt in Innsbruck.

ZEITTAFEL El Salvador 1932-99 1932: Militärputsch; Armee massakriert 30.000 Landarbeiter 1964 bis 1979: Militär läßt Wahlen zu, unterdrückt aber weiter jede Reform 1979: neuerlicher Putsch von reformwilligen Militärs 1980: Ermordung von Erzbischof Romero durch ultrarechte Todesschwadronen; Oppositionsgruppen vereinigen sich zur FMLN, offener Bürgerkrieg 1982: Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung; Regierung der Christdemokraten; der Bürgerkrieg fordert bis 1992 über 75.000 Tote und macht über 1 Million Menschen heimatlos 1989: Die rechtsextreme ARENA-Partei übernimmt die Regierung. Am 16. November Ermordung von sechs Priestern und zwei Frauen im Garten der Jesuitenuniversität UCA in San Salvador durch Armeeangehörige 1992: Friedensvertrag zwischen Regierung und FMLN, Umwandlung der FMLN zu einer politischen Partei 1993: UNO-Wahrheitskommission macht die Armee für 85 Prozent aller Kriegsverbrechen verantwortlich; die rechte Regierung beschließt eine Generalamnestie 1996: Besuch von Papst Johannes Paul II.; UNO beendet ihre Friedensmission 1998: Parlamentswahlen bringen Verluste für die Regierung und stärken die FMLN; FMLN erobert Bürgermeisterposten in San Salvador 1999: Francisco Flores von der ARENA wird zum Präsidenten gewählt

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