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Kardinal König war anglophil. Kein Wunder, dass für ihn die Londoner liberale katholische Wochenzeitung "The Tablet" zur Lieblingslektüre gehörte.

Ein paar Tage bevor er starb, fragte Kardinal König noch, ob denn The Tablet - er sprach immer nur von "Tablet" ohne den Artikel- diese Woche noch nicht gekommen sei. Es kam am Donnerstag, 48 Stunden vor seinem Tod - ein Tag an dem es ihm ein bisschen besser ging und er es noch durchblättern konnte. Am Tag, nachdem er verstorben war, lag dieses Tablet noch auf dem kleinen Tischchen neben seinem Sessel in dem er - umgeben von einem Meer von Blumen - viele seiner letzten Stunden verbracht hatte.

Kardinal König hatte eine ganz besonders innige Beziehung zu Tablet - es zählte zu seiner Lieblingslektüre: Er hatte die Zeitung 1929 in Rom, als er Theologie studierte, kennen gelernt, und seither - die Kriegsjahre ausgenommen - immer gelesen. Als Pater Jakob Gapp 1996 selig gesprochen wurde und der Kardinal erfuhr, dass dessen Weiterverbreitung des Tablet in Spanien einer der Gründe für Gapps Hinrichtung durch die Nationalsozialisten gewesen war, bat er mich, ihm aus London ein paar Kopien der Zeitung aus den vierziger Jahren mitzubringen. Er blätterte andächtig diese sehr dünnen Tablets - Papier war ja im Krieg rationiert - durch und sagte leise. "Wieviel hätte ich damals gegeben, um mein Tablet zu lesen... Wir konnten ja nur ganz selten die BBC hören. Eine schreckliche Zeit..."

Wenn ihn ein Tablet-Artikel besonders interessierte, griff er oft spontan zum Telefon, und ich wurde von Fragen überhäuft: Was wusste ich über den Autor? War er Katholik oder Anglikaner? Wenn die Antwort "Katholik" lautete, folgte sofort - wie aus der Pistole geschossen - die Frage: "Cradle Catholic or convert? - Als Katholik geboren oder konvertiert?" König interessierte sich ganz besonders für Anglikaner die, wie Kardinal Newman, zum katholischen Glauben übergetreten waren. Nicht selten bat er dann um die Adresse des Autors und eine rege Korrespondenz zwischen König und Autor folgte.

Schwäche fürs Englische

Dann die Buchrezensionen: König war lebenslang ein wirklich passionierter Leser. Bücher spielten für ihn von frühester Jugend an eine ganz große Rolle. Er selbst erzählte oft, wie er, sobald er lesen konnte, Bücher regelrecht verschlang. Da The Tablet jede Woche zwei bis drei Seiten Buchrezensionen bringt, hat er mich öfters gebeten, dieses oder jenes Buch für ihn zu bestellen.

Einmal, als ich wusste, dass er das Johannesevangelium für einen Artikel über den interreligiösen Dialog brauchen würde, nahm ich meine kleine "Pocket Canon"-Ausgabe mit. "Was ist denn das?" fragte König gleich. Die Pocket Canons sind einzelne Ausgaben der Bücher des Alten und Neuen Testaments.Sie sind nur 10 mal 14 cm groß, wiegen zwischen 50 und 120g und sind daher ideal, wenn man unterwegs ist. Jeder Band hat ein sehr persönliches Vorwort von einem renommierten modernen englischen Schriftsteller - manche gläubig, andere Atheisten oder Agnostiker. In England wurden die Pocket Canons sofort Bestseller. Als er das kleine Evangelium in der Hand hielt, strahlte er: "Was für eine wunderbare Idee!" Und er bestellte gleich das ganze Set - allerdings nicht ohne die "üblichen" Fragen zu stellen: "Wie kam der Herausgeber auf eine so grandiose Idee? Was ist das für ein Mensch? Ist er gläubig?..."

Erst vor kurzem habe ich den Kardinal gefragt, ob er sich erinnern könne, woher seine Bewunderung für die englische Sprache und alles Englische herrühre. "Ich weiß es heute nicht mehr", meinte er: "Ich weiß nur, wie stolz ich damals war, in Melk, das ja ein humanistisches Gymnasium war, Englisch und Französisch als Freigegenstände genommen zu haben. Und - dumm wie ich damals war - bildete ich mir ein, dass ich gut Englisch konnte. Sie können sich den Schock vorstellen, als ich mit meinen erbärmlichen Englischkenntnissen bald darauf in England ankam." Das war allerdings vielleicht schon ein - echt englisches! - Understatement. Sehr bald darauf las er nämlich bereits Newman im Original, übersetzte Kardinal Manning ins Deutsche und verschlang Christopher Dawsons "The Making of Europe" (1932), ein Buch das ihn tief beeindruckt hat. Als er im Jahr 2000 für The Tablet "Plädoyer für ein Vereinigtes Europa" schrieb, versuchten wir vergeblich, eine antiquarische Ausgabe von Dawsons Buch für ihn zu finden. The Tablet hat den Kardinal mit Dawsons Enkelin in Verbindung gebracht, die ihm, zu seiner großen Freude, das Buch ihres Großvaters schenkte.

Interreligiöser Dialog

Kardinal König hat oft und viel für The Tablet geschrieben, vor allem über Themen wie den interreligiösen Dialog, der die englischsprachige Welt besonders interessiert. Das Echo war groß, denn The Tablet wird heute in mehr als 130 Ländern gelesen. Sogar aus der Südsee kamen Leserbriefe und ich erhielt Anfragen aus allen Teilen der Welt, ob er für diverse kirchliche Publikationen schreiben würde. Viele dieser Bitten hat er erfüllt.

Ein Tablet-Artikel im Jänner dieses Jahres interessierte den Kardinal ganz besonders. Der Autor vertrat die Ansicht, dass viele Menschen heute weiterhin gefühlsmäßig religiös sind, aber das religiöse Wissen verloren haben. Im Mittelalter konnten viele Menschen nicht lesen, schrieb er, aber sie waren mit den christlichen Traditionen vollkommen vertraut. Heute ist die Situation umgekehrt. "Genau das ist eine der größten Herausforderungen der Kirche heute, dieses unglaubliche Unwissen. The Tablet muss dieses Thema viel öfters aufgreifen ... eine ganz, ganz wichtige Aufgabe und so wichtig für die Kirche", meinte König.

An erster Stelle blieb er aber immer, auch was The Tablet betrifft, Seelsorger. Die vielen E-Mails von Tablet-Lesern, die ich seit seinem Tod erhalten habe, beweisen, dass er zwar durch die weltweite Tür des Tablet hineinging, aber sicher eine nicht unwesentliche Zahl von Tablet-Lesern durch seine Tür wieder hinausführte.

Die Autorin ist Korrespondentin von "The Tablet" in Wien.

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