Seine Theologie blieb unvollendet

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Für viele steht er im Schatten seines Bruders Karl. Doch auch Hugo Rahner war ein großer, wenn auch unvollendeter Theologe.

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Für viele steht er im Schatten seines Bruders Karl. Doch auch Hugo Rahner war ein großer, wenn auch unvollendeter Theologe.

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Als Hugo Rahner - am 3. Mai 1900 unweit des Bodensees geboren - kurz vor Weihnachten 1968 starb, hatte ihn bereits viele vergessen. Seit Jahren war der Jesuit, gefeierter Redner auf den Katholikentagen in Wien (1952; Hugo Rahners Rede "Von der Würde und Freiheit des Menschen" erschien am 13. September 1952 in der furche) und Köln (1956) aus der Öffentlichkeit verschwunden. Dem Tod, der für ihn zur Erlösung wurde, waren Jahre des Dahinsiechens vorausgegangen. Ein Großer war abgetreten, verglüht wie ein Komet.

Anfang der sechziger Jahre hatte Hugo Rahner bemerkt, dass sein kleiner Finger nicht mehr recht wollte. Es folgten Probleme beim Tippen auf der Schreibmaschine. "Morbus Parkinson" lautete die Diagnose - damals ein Todesurteil. Schritt für Schritt schrumpfte seine wissenschaftlich-literarische Produktion, bis sie schließlich ganz versiegte. Mit Hilfe von Sekretären gelang es noch, Einzelstudien zu vollenden: "Symbole der Kirche" (1964), "Ignatius von Loyola als Mensch und Theologe" (1964), "Abendland" (1966): drei Sammelbände, mit denen Hugo Rahners Lebensarbeit trefflich zusammengefasst ist.

Gefördert wurde das Vergessen durch die Ungunst der Zeit. Denn 1968 interessierten Jesuiten mehr als ihr Gründer Ignatius von Loyola. Geschichte war für Achtundsechziger kein Thema.

Der "Bruder von ..."

Mit der Herausgabe des "Lexikon für Theologie und Kirche" und seiner Teilnahme am Zweiten Vatikanischen Konzil (als Berater Kardinal Königs) hatte der Stern des vier Jahre jüngeren Karl Rahner, wie sein Bruder Hugo Jesuit und Professor an derTheologischen Fakultät in Innsbruck, intensiver zu leuchten begonnen. Dem Älteren war das nicht entgangen. "Scherzhaft", so der ihm zur Hand gegebene Sekretär, "erzählte er, dass sie jedes Jahr die Zentimeter ihrer Neuerscheinungen im Bücherregal verglichen; in der letzten Zeit habe er allerdings nicht mehr mithalten können."

So kam es, dass Hugo Rahner bald nur mehr als der "Bruder von ..." geläufig war. Eine seit Jahrzehnten kursierende Anekdote ist dafür typisch: "Sind Sie der Bruder des berühmten Pater Rahner?" - "Nein, das ist mein Bruder." Ort des Geschehens: Köln, Mitte der fünfziger Jahre. Die Frage kam von Kardinal Joseph Frings. Die schlagfertige Replik geht auf das Konto Hugo Rahners.

Anekdoten, Histörchen und Legenden haben das ihre dazugetan, um aus einer in ihren Inhalten noch längst nicht erschöpfend untersuchten Verbindung eine Rivalität zu konstruieren, die Hugo zum Mann der Ästhetik und des patristischen Bilderreichtums und Karl zum theologischen Spekulanten verzeichnen und für die jeweiligen Positionen vereinnahmen und gegenseitig ausspielen konnte. Aber weder Hugo noch Karl Rahner haben es nötig, über den jeweils anderen definiert zu werden.

Nachdem er noch unter Kaiser Wilhelm II. für einige Monate zum Militär eingezogen worden war, trat Hugo Rahner 1919 ins Noviziat der deutschen Jesuiten ein: im vorarlbergischen Tisis bei Feldkirch, weil sich die Gesellschaft Jesu in Deutschland erst langsam wieder etablierte, nachdem die Jesuitengesetze Bismarcks den Orden von 1871 bis 1917 ausgesperrt hatten. Er durchlief den damals üblichen Ausbildungsweg, der mit der Priesterweihe durch Bischof Sigismund Waitz (1929) in Innsbruck und dem theologischen Doktorat (1931) abschloss. 1935 habilitierte er sich an der Theologischen Fakultät Innsbruck für alte Kirchengeschichte und Väterkunde. Bereits 1937 erhielt er den Lehrstuhl, als jüngstes Mitglied der Fakultät.

C. G. Jung, H. Hesse ...

Doch im Sommer 1938 hoben die Nationalsozialisten die Theologische Fakultät Innsbruck auf, und Hugo Rahner ging in die Schweiz ins Exil. In Sitten (Kanton Wallis) wurde ein Teil der Fakultät weitergeführt (der andere Teil der Professoren kam nach Wien). Hugo Rahner bezeichnete das "Verbannungslos" in einem literarischen Selbstporträt einmal als "die schönsten Jahre meines wissenschaftlichen Lebens". Denn "ich fühlte mich vom Himmel begnadigt, dass ich während des furchtbaren Ringens der Völker still und leidenschaftlich hinter den Bänden der Kirchenväter sitzen konnte".

Während dieser Jahre entstanden patristische Textsammlungen und ein Buch über "Abendländische Kirchenfreiheit". Jahrelang wurde er nach Ascona am Lago Maggiore geladen: in den elitären Eranos-Kreis um Olga Fröbe-Kapteyn und Carl Gustav Jung, wo er auf Hermann Hesse und andere Geistesgrößen stieß. Seine Bücher "Der spielende Mensch" und "Griechische Mythen in christlicher Deutung" haben hier ihre Ursprünge.

Ignatius erforschend Während des Kriegs pflegte Hugo Rahner intensive Kontakte in den romanischen Raum. Ihnen ist es mit zu verdanken, dass bereits am 6. Oktober 1945 die Theologische Fakultät Innsbruck wieder eröffnet werden konnte. Die pathosbeladene Eröffnungsrede, in der von den "Barbaren des Abendlands" die Rede ist, hielt der erste Nachkriegsdekan - Hugo Rahner.

In den folgenden Jahren schöpfte der Kirchengeschichtler aus dem Vollen. Eine Studie über das geschichtliche Werden der Frömmigkeit des heiligen Ignatius, die Briefe des Ordensgründers an Frauen, ein Bildband über ihn im Jubiläumsjahr 1956 und zahlreiche Einzelstudien weckten bei vielen die Hoffnung, es werde eine Biographie des Ignatius aus der Feder Hugo Rahners entstehen. Dazu kam es dann krankheitsbedingt nicht mehr.

Aus Vorlesungen während eines theologischen Sommerkurses 1937 im Stift Altenburg für Kapläne und Priester entstand die Veröffentlichung "Eine Theologie der Verkündigung", die zusammen mit Überlegungen von Josef Andreas Jungmann SJ und anderen eine Verkündigungstheologie etablieren wollte. Kriegsbedingt, aber auch aufgrund vielseitigen Widerstands des etablierten (neuscholastischen) Lehrbetriebs blieb es beim Versuch. Hier ist man an heutige Schwierigkeiten theologischer Fakultäten erinnert, auch wenn heute nicht mehr die Geschlossenheit das Problem zu sein scheint, sondern die Unübersichtlichkeit.

"Sozius" Jesu sein Hugo Rahner war ein feiner und ein feinsinniger Mensch, ein gesuchter Gesprächspartner und ein geistvoller Unterhalter, nicht nur als Hauskaplan in der noblen Gesellschaft um den greisen Erzherzog Eugen von Habsburg (1863-1954) in Igls, sondern auch im Kreis der Mitbrüder. Er konnte Witze reißen, er besaß die Gabe der Selbstironie. Ein lauter Mensch war er, bei aller sprühenden Geselligkeit, nicht. Hugo Rahner lebte aus den Exerzitien. Sie hatten ihn in die Gesellschaft Jesu hineingestaltet. Im Schauen auf das Leben Jesu und seiner Mysterien war er geworden, wozu ein Jesuit berufen ist: "Sozius" - Gefährte - Jesu zu sein.

1948 organisierte er eine Reise der Theologischen Fakultät nach Paris, bei der es auch zu einer Begegnung mit dem Nuntius in Frankreich, Erzbischof Giovanni Roncalli, dem nachmaligen Papst Johannes XXIII., kam. 1949/50 war er Rektor der Universität Innsbruck, seine Antrittsrede "Vom ersten bis zum dritten Rom" fand große Beachtung. Das Genie Hugo Rahner konnte eine Stunde vor Beginn einer Akademie einspringen und eine tadellose Festrede aus dem Ärmel schütteln, als ein telefonischer Rückruf ergibt, dass der Festredner, den Tag verfehlend, noch seelenruhig in Zürich saß.

Bei seiner Emeritierung 1964 hatte Hugo Rahner fast vier Jahrzehnte an der Innsbrucker Fakultät zugebracht, der er anläßlich ihres Jubiläums 1957 eine veritable Liebeserklärung dargebracht hatte ("Die Geschichte eines Jahrhunderts"). Der Weggang aus Innsbruck fiel ihm schwer. Als Bruder Karl 1964 an den Romano-Guardini-Lehrstuhl nach München berufen wurde, nahm er Hugo mit. Doch auch die medizinische Betreuung in der bayerischen Metropole stieß an Grenzen.

Zum Sterben des Sohnes reiste die 94jährige Luise Rahner (1875-1976) nach München. Der Tod beendete den jahrelangen Verfall. Hugo Rahner gehört wohl zu den Unvollendeten der Theologie des 20. Jahrhunderts.

Der Autor ist Jesuit und lebt in Innsbruck.

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