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„Sekte der Katholiken“

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Dieser Artikel erschien am 14. Juli 1962. Ein echter Friedrich-Heer-Artikel: polemisch, immer ein wenig murrend, selbstkritisch und nach allen Seiten vom Leder ziehend. Wird ihm das II. Vatikanische Konzil recht geben? Die halbe Schlacht hat er schon gewonnen!

Am 30. Juni 1962 veröffentliche der „Osser-vatore Romano“ ein Monitum des Heiligen Offiziums:

„Die zum Teil nach dem Tod des Verfassers erschienenen Werke des Paters Petrus Teil-hard de Chardin finden eine mit nicht geringem Wohlwollen aufgenommene Verbreitung. Ohne die Leistung Teilhards auf dem Gebiet der positiven Wissenschaften beurteilen zu wollen, dürfte es klar sein, daß diese Werke in philosophischer und theologischer Hinsicht Doppelsinnigkeiten und auch schwerwiegende Irrtümer enthalten, welche die katholische Lehre verletzen. Die Oberste Kongregation des Heiligen Offiziums fordert deshalb alle Ordinarien (residierende Bischöfe) sowie Oberen religiöser Gemeinschaften, Seminarleiter und Universitätsrektoren auf, die Geister — namentlich der jungen Leute — vor den in den Werken Pater Teilhard de Char-dins und seiner Anhänger enthaltenen Gefahren zu schützen.“

Der bekannte Schweizer Jesuit Mario von Galli bemerkt in einem Ledtauf satz der katholischen „Neuen Zürcher Nachrichten“, der den Titel trägt: „Teilhard de Chardin kein authentischer Zeuge Christi?“, zunächst: in dieser Ermahnung „sind ... keinerlei Sanktionen ausgesprochen: wer die Werke Teilhard de Chardins liest, verfällt weder der Exkommunikation noch irgendeiner andern Kirchenstrafe. Ebenso ist nicht angegeben, auf welche Weise die Seminaristen oder Studenten vor den Gefahren, welche die Lektüre der Werke Teilhard de Chardins mit sich bringen, zu schützen seien. Es besteht allerdings bereits seit 1958 ein Verbot der Heiligen Kongregation für Seminare, das diesen verbietet, die Werke Teilhard de Chardins in ihrer Bibliothek zu führen. Es kann, wie uns scheint, nunmehr (nach Erscheinen dieses neuen Monitums) ein Bischof durchaus der Ansicht sein, der beste .Schutz' seiner Seminaristen bestehe darin, daß er die jungen Theologen mit den Werken des französischen Jesuiten bekannt mache, allerdings unter der Anleitung und Andeutung eines mit der Materie vertrauten Professors“. Und der edelmütige und tapfere Jesuit Mario von Galli schließt diesen Passus mit dem Satz: „Vor Gefahren schützen heißt nicht: mit der Gefahr nicht bekannt machen!“

Nun, die Welt wird sehen, ob diese generöse Auslesung des Monitums im Orbis catholicus praktiziert werden wird. Die Welt sieht aber zunächst darauf, in welchen Formen in der römisch-katholischen Kirche die Auseinandersetzungen um Teilhard de Chardin und der Streit um das Denken Teilhards und seiner Anhänger (ein wichtiger Hinweis des Monitums!) weitergeführt werden wird. In den Formen des Streites, des Kampfes, der Auseinandersetzung mit dem geistigen Erbgut des kühnsten Denkers der katholischen Christenheit im 20. Jahrhundert wird sich zeigen:

1. Inwieweit sich ein neues Klima im Weltkatholizismus ausbreitet, „ein Klima der Entspannung und der Offenheit..., das sich mit brutalen Vorurteilen schlecht verträgt“;

2. inwieweit innerkirdhliche Auseinandersetzungen sich in der Zukunft nach den Spielregeln einer freien Gesellschaft, also in Freimut, Sachlichkeit, und bewußt verzichtend auf Unterdrückung von Andersdenkenden entfalten können;

3. inwieweit der großen Angst vor der Zukunft (und vor vielen Feinden und Gegnern) in der Kirche ein Gegengewicht ersteht, ein Gegenpol, um den sich Vertrauen, Hoffnung und ein zukunftsoffenes geistiges Schaffen zentrieren können.

In diesem Artikel steht nicht das Gedankengut des Pierre Teilhard de Chardin zur Debatte. Seit Jahren bestimmt sich der Rang von katholischen Zeitschriften und Periodica danach, auf welchem Niveau, in welcher Breite und Tiefe sie sich mit Teilhard de Chardin auseinandersetzen.

Zur Diskussion steht zunächst etwas anderes. Wie soll eine junge, wache Intelligenz in der Kirche, im Klerus und in der Laienschaft heranwachsen und sich für die notwendigen Auseinandersetzungen mit den gebildeten und ungebildeten Verächtern des Christentums rüsten, wenn sie nicht Gelegenheit hat, sich mit dem überaus reichen Lebenswerk des Pierre Teilhard de Chardin bekannt zu machen?

Vor kurzem hat der große französische Theologe und Berater der theologischen vorbereitenden Konzilkommission, der Jesuit

Henri de Lubac, in einem Buch, „Das religiöse Denken des Paters Teilhard de Chardin“, dieses Denken in seinen Grundlagen untersucht und ist zum Schluß gekommen: „Die katholische Kirche, die stets fruchtbare Mutter... kann freudig anerkennen, daß sie mit Pierre Teilhard de Chardin einen Sohn gezeugt hat, den unser Jahrhundert braucht, einen authentischen Zeugen Christi.“

Gegen diese Proklamation Lubacs polemisiert direkt der gleichzeitig mit dem „Monitum“ im „Osservatore Romano“ veröffentlichte Kommentar zur Warnung vor Teilhard. Nun ist die Gegnerschaft gewisser statischer „Thomisten“ und einer weitverbreiteten innerkirchlichen Fraktion gegen eine französische theologische Elite nichts Neues. Neu und bedeutsam ist jedoch, daß sich am Vorabend des Konzils die Schüsse vor den Bug häufen: vor den Bug des Schiffes der Kirche, das in ein neues Weltzeitalter segeln oder, wie man hier eben meint, besser vor Anker liegen soll, im seichten Sund des „Herkömmlichen“.

Teilhard de Chardin ist heute der einzige Denker des Katholizismus, der wirklich und weit über die Grenzen Europas und seiner Christentümer hinaus Aufsehen, Interesse, Anteilnahme erregt. Russen und agnostische Amerikaner, Araber und Afrikaner (wie Leopold Sedar Senghor), Wissenschaftler und Menschen aus so ziemlich allen Religionen und weltanschaulichen Lagern befassen sich seit Jahren mit diesem großen Lebendigen. Die Ubersetzung einzelner seiner Schriften ins Russische und Arabische kam diesem immer noch steigenden Interesse entgegen. Eine erwachende Jugend der Welt sieht auf den großen französischen Jesuiten, defr es wagt, den Kosmos, die Schöpfung in einer schöpferischen Entwicklung zu sehen, kreisend um ein innerstes Zentrum; wobei in Jahrmilliarden und Jahrmillionen das Leben auf der Erde im Menschen einem „Punkt Omega“ zureift: dem „kosmischen Christus“, in dem die Menschheit ihr Ziel, ihre Erfüllung finden wird.

Nun hat es gerade dieser „Punkt Omega“ den vielen lateinischen Gegnern und Feinden Teilhards besonders angetan. Mit Recht. Sie wittern nämlich hier (ohne es zu wissen oder zumindest es zu sagen) den feurigen, flüssigen Untergrund des teühardschen Denkens: den griechischen Genius, den pneumatischen Optimismus der griechischen Väter der Kirche.

„Das Göttliche wächst, je weiter wir voranschreiten ...“

„Von jedem Augenblick gilt: was du in ihm erreichst, ist größer als das, was du schon erreicht hattest; und das, was du suchst und findest, ist niemals in sich geschlossen. Das Ende von dem, was gefunden ist, wird für den, der aufsteigt, zum Anfang des Suchens nach höheren Gütern. Und wer emporsteigt, der bleibt nie stehen; nie findet der Anfang von je größeren Dingen sein Ende.“

„Den Herrn finden heißt: ihn ruhelos suchen. In der Tat, Suchen und Finden, das sind nicht zweierlei Dinge, vielmehr ist der Lohn des Suchens das Suchen selbst.“

Diese Sätze könnten in den Briefen stehen, die Teilhard de Chardin aus Peking, aus der Mongolei, von seinen Forschungsreisen als Paläontologe und Geologe in Zentralasien, Indien, Abessinien, Nord- und Südamerika an seine Freunde im geliebten, ihm verwehrten Paris schrieb. Diese Sätze stehen aber bei Gregor von Nyssa, dem griechischen Bisohof des 4. Jahrhunderts. Wer Klemens von Alexandrien oder gar Origines, wer die Hymnen der früheren Ostkirche liest, begegnet auf Schritt und Tritt dem Geist des Teilhard de Chardin. Er ist zuinnerst dem griechischen Genius, seinem Urvertrauen auf „die dreisonnige menschenfreundliche Gottheit“ verwandt. Diese griechische Frömmigkeit hat früh die Weltgeschichte als einen einzigen, riesenhaften Prozeß der Erziehung des Menschen, seiner „Entwicklung“ durch die Gottheit, verstanden. Wo der Lateiner allzuoft nur Sünde, Fall und Gericht sieht, sieht der Grieche Aufstieg, Menschwerdung Gottes, Erlösung, Heimkehr des Kosmos in Gott.

Das Ringen um das Geistesgut Teilhards „und seiner Anhänger“, wie bedeutsam ausweitend das „Monitum“ vom 30 Juni 1962 erklärt, offenbart hier eine besonders dramatische Note:

Papst Johannes XXIII. hat die Sorge um die Verbindung mit der Ostkirche als sein besonderes Anliegen erklärt. Dieser Papst weiß sehr genau, daß der Ost-West-Konflikt in der Christenheit, der tausendjährige Kirchenkampf und Geisteskampf zwischen römisch-lateinischem und griechischem Genius die Urformen aller Ost-West-Konflikte auch noch unserer Zeit in sich enthält. Nun zeigt sich eben diese tragische und dramatische Situation: Am Vorabend des II. Vatikanischen Konzils wird die Jugend der Kirche vor dem Denker gewarnt, der der Jugend der Welt am meisten zu sagen hat und der kongenial, seiner innersten Struktur nach von allen „Lateinern“ der Geistigkeit und Frömmigkeit des griechisch inspirierten christlichen Ostens am nächsten steht.

Hier wird gleichzeitig eine Kalamität sichtbar, die für viele Katholiken und für aufrichtige Freunde des Christentums rund um die Vorbereitungen des Konzils seit langem beisteht. Wie kann man mit dem Prinzip „Wasch mir den Pelz und mach mich nicht naß“ das Christentum und die Kirche in ein neues Weltalter hineinführen? Glaubt man denn wirklich ernsthaft noch, daß mit gewissen Anpassungen und Sprachregelungen allein, auch mit einer milderen Form der Handhabung der Zensur und der Indizierung usw., Kirche und Christentum bereits jene innere Mobilität, jene innere Freiheit und Kraft gewinnen werden, die einfach nötig sind, soll das Christentum den erwachenden Völkern und der erwachenden Intelligenz wirklich etwas zu sagen haben?

Teilhard de Chardin hat, wie kein zweiter neben ihm, es gewagt, über die Grenzen eines statischen Systemdenkens hinauszusehen und hinauszugehen; und er hat, in seiner persönlichen Unterwerfung im Gehorsam, Rom und seinem Ordensgeneral gegenüber, lebenslang bis zu seinem Tode den Preis für sein kühnes Denken bezahlt. Mario von Galli schließt seine Auseinandersetzung mit dem aburteilenden Aufsatz des „Osservatore Romano“ mit den Sätzen: „Auch wenn Teilhard auf weite Strecken in ungelöster Problematik steckenblieb, auch wenn er hingerissen von der bloß erahnten Lösung da und dort die Perspektiven rein objektiv verschoben haben sollte, auch wenn sein System noch vieler Ergänzungen, ja Korrekturen bedarf, allein die Tatsache, daß er ein großes und brennendes Problem unserer Tage mit christlicher Tapferkeit und Intelligenz aufgegriffen, mit Leidenschaft auf seine Dringlichkeit hingewiesen hat, durchaus in — oft sehr leidvoller — Unterwerfung unter die kirchliche Autorität, allein diese Tatsache macht ihn (nicht anders als Augustin, den Vater so vieler Häresien durch seine Unklarheiten) zu einem authentischen Zeugen Christi.“

Um 1300 hat der französische Staatsmann und politische Publizist im Dienste Philipps des Schönen, Pierre Dubois, abschätzig von der „Sekte der Katholiken“ gesprochen. Heute erscheint für sehr viele NichtChristen das ganze Christentum als eine Sekte, unfähig und unwillig, andere Geistigkeit zu verstehen.

Teilhard de Chardin hat zeit seines Lebens eben gegen diese Einschließung und gegen die Selbstverschließung von Kirche und Christentum gekämpft Katholizität bedeutete für ihn — und er hat sie gelebt: „Allen alles werden“, wie Paulus gefordert hatte. Die Chinesen, bei denen er in Peking unter japanischer Besetzung ausharrte, nannten ihn „den lächelnden Gast“. Nichtchristliche Naturwissenschaftler, Amerikaner, Inder, Afrikaner, Muselmanen und „Heiden“, haben sich an der Menschenfreundlichkeit dieses Ordensmannes erbaut. Soll das Gesicht dieses französischen Edelmannes, der es wagte, in die Vergangenheit von Milliarden Erdenjahren und in die Zukunft kommender Jahrtausende zu schauen, gerade der katholischen Jugend verborgen gehalten werden? Wie wird die Zukunft eines Klerus aussehen, der über den zukunftsfrohesten, zukunftsoffensten Denker der Christenheit nur aus zweiter, dritter Hand und eben aus Aburteilungen erfährt?

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