Selbstbestimmungsrecht der Religionen

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Das Urteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung eines minderjährigen Knaben als Körperverletzung qualifiziert, hat der Diskussion um den Rang religiöser Vorschriften in einem säkularen Rechtsstaat entfacht. Die Stellungnahmen aus dem Bereich der Religionen kritisieren das Kölner Urteil: "Die Vorstellung, dass Eltern nicht das Recht dazu haben, ihre Kinder in die heiligen Riten ihrer jeweiligen Religionen einzuführen, ist ein Affront gegenüber der Freiheit des Menschen.“ So lautet die Kernaussage der Stellungnahme von Rabbi Stephen Lewis Fuchs, dem Präsidenten der Union progressiver Juden in Deutschland. Schärfer noch formuliert der Deutsche Koordinierungsrat der christlich-jüdischen Gesellschaften: "Sollte dieses die Grundrechte infrage stellende Urteil, das ein vermeintliches Selbstbestimmungsrecht des Kindes in der Frage seiner Beschneidung über das Recht auf freie Religionsausübung stellt, nicht von höherer Instanz verworfen werden, wäre für ein religiös lebendes Judentum in Deutschland kein Platz mehr.“ Und der deutsche Koordinationsrat der Muslime (KRM) wertet den Richterspruch als einen Rückschlag bei der Integration von Muslimen.

Der Präsident der Evangelischen Synode A.B. und H.B. in Österreich, Peter Krömer, sieht durch das Urteil das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften auf dem Spiel. In Österreich wird zurzeit aber davon ausgegangen, dass die männliche Beschneidung als leichte Körperverletzung mit minimalen Risiken einzustufen ist und daher durch die stellvertretende Einwilligung der Eltern bzw. Obsorgeberechtigten als gerechtfertigte Handlung anzusehen ist.

Im Judentum wie im Islam

Im Judentum findet die Beschneidung des männlichen Knaben (Brit Mila) am achten Lebenstag statt. Das Judentum beruft sich dabei auf die explizite Anweisung Gottes im Buch Genesis. Auch bei den Muslimen ist die Beschneidung üblich, obwohl sie im Koran nur implizit durch die Berufung auf Abraham (Sure 16:123) "Folgt dem Weg Abrahams“) herauszulesen ist. Dennoch gilt die Beschneidung für die meisten Muslime als integeraler Bestanteil ihrer Religion. Bei Muslimen wird sie allerdings oft auch erst bei älteren Kindern durchgeführt. Im türkischen Kulturkreis findet sie im Rahemen eines großen Familienfestes statt.

In der Auseinandersetzung um die Beschneidung werden häufig Gesundheitsargumente angeführt. Tatsächlich wiegen diese in der heutigen medizinischen Diskussion nicht mehr so viel wie noch vor einigen Jahren.

Die Beschneidung der Vorhaut von Knaben ist aber klar zu unterscheiden von der "Beschneidung“ der weiblichen Sexualorgane, die heute korrekt als "weibliche Genitalverstümmelung“ (Female Genital Mutilation FGM) bezeichnet. Die FGM ist im islamischen Kulturkreis verbreitet, aber nicht aus religiösen Vorschriften heraus ableitbar. Von der WHO und der UNO wird die FGM heute als Menschrechtsverletzung gebrandmarkt, in vielen Ländern stellt sie einen Straftatbestand dar.

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