Seliger oder "Protestantenfresser"?

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Die Gestalt des Kapuziners Marco d'Aviano, der 1683 die christlichen Heere vor Wien einte, wird von Katholiken und Protestanten nach wie vor unterschiedlich beurteilt.

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Die Gestalt des Kapuziners Marco d'Aviano, der 1683 die christlichen Heere vor Wien einte, wird von Katholiken und Protestanten nach wie vor unterschiedlich beurteilt.

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Marco d'Aviano - ein Mann, der vor 300 Jahren starb - sorgt heute noch für Kontroverse. War er der "Protestantenfresser", wie ihn manche auch heute sehen, oder war er ein charismatischer Prediger, der die Menschen zu Umkehr und Lebensänderung aus Liebe zu Gott bewegen wollte?

Es erscheint schwierig, diese Fragen aus heutiger Sicht gerecht und für alle zufriedenstellend zu beantworten, vielleicht mit ein Grund dafür, daß sein Seligsprechungsprozeß sich schon vielen Jahrzehnten hinzieht.

Bereits sein Zeitgenosse Kaiser Leopold I. dachte daran dieses Verfahren zu initiieren, verstarb aber noch bevor er dieses Vorhaben verwirklichen konnte. Offiziell eingeleitet wurde der Seligsprechungsprozeß erst im Jahre 1912. Marco d'Aviano, wie der am 17. November 1631 in Friaul geborene Carlo Domenico Cristofori als Kapuzinerpater hieß, war ein enger Vetrauter und Berater Kaiser Leopolds I. gewesen, davon zeugt auch der rege Briefverkehr, der die beiden verband. Leopold war es schließlich auch, der darauf bestand, daß der Kapuzinerpater aus Aviano möglichst nahe zu seiner eigenen späteren Begräbnisstätte beigesetzt werden sollte, nachdem Marco am 13. August 1699 in Wien verstorben war.

Heute befindet sich das Grab des Priesters und Predigers in der rechten Seitenkapelle der Wiener Kapuzinerkirche. Hierher pilgern auch die Wallfahrer aus Italien, die zwischen 11. und 13. September dieses Jahres des 300. Todestags gedenken werden.

Die historische Bedeutung der Person Marco d'Avianos für Österreich hängt eng mit der Türkenbelagerung Wiens im Jahre 1683 zusammen. Dem diplomatischen Geschick des Kapuzinerpaters ist es zu verdanken, daß sich die untereinander zerstrittenen christlichen Heerführer schließlich einigten und Wien von der Türkenbelagerung befreiten.

Uneinigkeiten innerhalb Europas hatten den Großwesir Kara Mustafa dazu ermutigt, mit einem mächtigen Heer in den Westen vorzudringen. Nicht einmal dem Papst war es gelungen, die christlichen Fürsten zu einem gemeinsamen Kreuzzug gegen das türkische Heer zu gewinnen. Der Sultan schrieb schließlich an Kaiser Leopold: "Ich habe im Sinn, Euer Gebiet zu erobern ... um Euer unbedeutendes Land zu zerschmettern! Vor allem befehle ich Dir, mich in Deiner Residenz zu erwarten, damit ich Dir den Kopf abhacken kann!" Kaiser Leopold informierte Anfang April 1683 Pater Markus über die wachsende Gefahr durch das heranrückende Heer der Türken. Der Kapuzinerpater kam Anfang September nach Wien und erzielte eine Einigung zwischen dem Heer des Kaisers, den deutschen Fürsten und dem polnischen König Johann Sobieski. So konnte das zahlenmäßig weit unterlegene christliche Heer am 12. September 1683 Wien von der Belagerung des osmanischen Heeres befreien. In weiterer Folge konnte auch das ungarische Buda befreit und die Türken aus Ungarn und vom Balkan verdrängt werden.

Früher Ökumeniker?

Heute gedenkt man des diplomatischen Einsatzes Marco d'Avianos wie auch seiner Tätigkeiten als Prediger nicht nur mit Bewunderung und Wertschätzung. Unbehagen löst das Gedenken an den Kapuzinerpater bei der evangelischen Kirche aus, so der niederösterreichische Superintendent Paul Weiland. Er spricht gegenüber der Furche von "Hetzreden" des Predigers "gegen Protestanten und Türken".

Von katholischer Seite wird immer wieder betont, daß den Kapuzinerpater ein "ökumenischer Geist" auszeichnete, wie er für die damalige Zeit völlig ungewohnt gewesen sei. So zitiert auch Pater Erhard Mayerl, Oberer der Wiener Kapuziner, in der Festschrift zum 300. Todestag des Predigers aus einer seiner schriftlich festgehaltenen Predigten, in denen er sich an die Protestanten wendet: "Liebe Brüder, ich weiß daß viele von euch heilig werden möchten. Kehrt zurück zur katholischen Kirche! Ihr habt keine Schuld an der Trennung." Mayerl, der die Festschrift nach einem Manuskript eines Mitbruders verfaßt hat, meinte gegenüber der Furche auch: "Wir sollten uns nicht dafür entschuldigen, daß unsere Vorfahren Wien verteidigt haben." Markus von Aviano habe vor der Schlacht um Wien Protestanten und Katholiken den Segen gespendet.

Nach der Eroberung Belgrads habe der Kapuzinerpater 800 Türken das Leben gerettet, die bei den Kämpfen gefangen genommen worden waren. In der Gedenkschrift erinnert Pater Mayerl auch daran, daß Markus von Aviano sich schützend für die Juden von Padua eingesetzt habe, die aufgrund von Gerüchten, sie hätten sich mit den Türken verbündet, Verfolgungen erleiden mußten.

Nur instrumentalisiert?

Kürzlich hat auch der Postulator des Seligsprechungsprozesses, Kapuzinerpater und Ordenshistoriker Vincenzo Criuscolo anläßlich eines Wienbesuches das Bild von Marco d'Aviano als "Protestantenfresser" zurückgewiesen: "Aus seinen Predigten sprach überzeugter katholischer Glaube, aber keine Spur jenes geifernden, gehässigen Tons, der das Verhältnis zwischen den Konfessionen in jener Zeit vergiftete." Der Kapuziner habe die fundierten Bibelkenntnisse der Protestanten sehr geschätzt und habe sie immer gemeinsam mit den Katholiken gesegnet.

Zuletzt waren im Vorfeld des Papstbesuches 1998 in Österreich kritische evangelische Stimmen gegenüber einer Seligsprechung Marco d'Avianos laut geworden. Der Grazer katholische Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann hingegen wies im Laufe der Diskussion darauf hin, daß das "Ökumeneproblem" rund um die Figur Marco d'Avianos gar nicht direkt mit diesem selbst zusammenhänge, sondern mit dessen Instrumentalisierung im von seiner Konzeption her "antiprotestantischen" Ständestaat 1934-38.

Niederösterreichs evangelischer Superintendent Weiland beharrt aber auf den Bedenken seiner Kirche und sieht einen drohenden schweren Schlag für die Ökumene. Die geplante Seligsprechung könne nur als "Zeichen von Ignoranz und Desinteresse am Dialog und an den ökumenischen Partnern gewertet werden", meint Weiland: "Die Geschichte kann und soll nicht umgeschrieben oder revidiert werden, aber wie jemand mit der Aufarbeitung der Vergangenheit umgeht, ist auch ein Zeichen der Einstellung heute. Darum ist es nicht nur Geschichte, wie hier vorgegangen und entschieden wird.

Die Causa Marco d'Aviano verspricht also noch einige Spannung. Der Seligsprechungsprozeß jedenfalls steht nach Aussage der Kapuziner kurz vor dem Abschluß. Auch Ordenshistoriker Criuscolo bestätigte, daß die evangelische Kritik auf den Prozeß selbst keinen Einfluß gehabt habe: Man warte nur noch auf die Anerkennung eines durch die Fürsprache des Kapuzinerpaters bewirkten Wunders.

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