Shopping-Thermometer

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In der wichtigsten Einkaufsstraße Zürichs, der Bahnhofstraße, gibt es heuer eine neue Weihnachtsbeleuchtung. Der alte Lämpchenhimmel der 70er Jahre wurde abgehängt, jetzt strahlen 275 Glasfaserrohre, die ein Lichtband aus 240.000 Leuchtkörpern bilden. Über eine zentrale Computersteuerung können damit verschiedene Effekte erzielt werden, unter anderem kann mit der Beleuchtung angezeigt werden, wie frequentiert die Geschäfte der Bahnhofstraße gerade sind. Je mehr Umsatz, desto heller. Sie ist also zugleich eine Art Shoppingthermometer, das das Konsumfieber misst.

Die Reaktionen auf diesen Weihnachtsschmuck sind überwiegend negativ. Die Installation wirke kalt, heißt es, sie sei unromantisch und ganz und gar unweihnachtlich. Manche fühlen sich eher an einen Nachskilift oder an eine Fleischhauerei erinnert als an den Advent.

Ich muss gestehen, dass ich eine konsumgesteuerte Adventbeleuchtung in einer der teuersten Geschäftsstraßen der Welt für eine sehr ehrliche Sache halte. Das Weihnachtsgeschäft verbirgt sich dort nicht länger unter einem glitzernden Sternenhimmel oder hinter einer großbürgerlichen Ballsaalbeleuchtung, wie sie heuer am Graben in Wien zu sehen ist. Der reine Konsum erstrahlt in hellem Licht, wie zur Bestätigung der Thesen von Norbert Bolz in seinem "Konsumistischen Manifest", wo der Konsum als Instrument zur Befriedung der Welt gepriesen wird. Vor genau dreißig Jahren hat Pier Paolo Pasolini mit "Konsumismus" allerdings das Gegenteil gemeint, nämlich die zwangsläufige Entwicklung der Konsumgesellschaft zum Totalitarismus.

Weihnachten bedeutet, dass Gottes Licht denen strahlt, die im Schatten der glänzenden Konsumwelt stehen. Selbst 240.000 Leuchtkörper können über die Finsternis des Konsumismus nicht hinwegtäuschen.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

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