"Sicher nicht der richtige Platz“

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Hansjörg Hofer, Behinderten-Experte im Sozialministerium, über die jungen Menschen, die im Altersheim landen und die Mängel im System, die zu solchen Missständen führen.

Hansjörg Hofer ist leitender Beamter im Behinderten- und Sozialbereich. Seit 1985 arbeitet er als Fachexperte im Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz und als stellvertretender Sektionschef der Fachsektion "Behinderung und Pflegevorsorge“. Der gebürtige Wiener gilt als engagierter Beamter und anerkannter Experte im Bereich der beruflichen und gesellschaftlichen Integration von Menschen mit Behinderungen.

Die Furche: Herr Hofer, es gibt junge Menschen mit Behinderungen, die in Altersheimen leben. Wie kommt es dazu?

Hansjörg Hofer: Offenbar gibt es nicht genügend Betreuungsformen für Menschen mit Behinderung, bei denen sie zu Hause betreut werden können, um dort zu leben. Also offenbar ist es so, dass manche jüngere Menschen, in Altersheimen untergebracht werden müssen, weil keine anderen Möglichkeiten zu bestehen scheinen. Genau kann ich es nicht sagen.

Die Furche: Ist denn ein Altersheim der richtige Platz für einen jungen Menschen?

Hofer: Sicher nicht. Ich denke, es ist das Recht jedes Menschen, auch jedes Menschen mit Behinderung, seinen Wohnort und die Voraussetzungen, unter denen er dort wohnen möchte - mit wem er dort wohnen möchte, zum Beispiel - frei zu wählen. Auch Menschen mit Behinderungen müssen ihren Wohnort frei wählen dürfen und das wird selten ein Altersheim sein.

Die Furche: Die Praxis sieht anders aus. Viele junge Menschen mit Behinderung leben schon seit Jahren in einem Altersheim.

Hofer: Wahrscheinlich weil die Betroffenen keine wirklich gute Vertretung ihrer Interessen haben. Das sind Menschen, die sind schwer behindert und tun sich schwer ihre Interessen in die Öffentlichkeit zu tragen. Und auch die Verbände, die es ja gibt natürlich, haben offenbar wenig Interesse, das zu tun. Ich denke man sollte darüber reden. Das ist ein Thema, das sich der Öffentlichkeit stellt. Wie gehe ich mit Menschen um in unserer Gesellschaft, die marginalisiert sind, an den Rand gedrängt werden und die sogar als 30-, 40-, 50-jährige Menschen in einem Altersheim untergebracht werden, wo normalerweise nur 70-, 80-, 90-Jährige leben. Es kann nicht die Erfüllung eines 30-Jährigen sein, nur mit 50 Jahre älteren Menschen zusammenleben zu müssen. In einer Einrichtung, die unter sehr strengen Regeln abläuft.

Die Furche: Haben Sie selbst schon von solchen Fällen gehört?

Hofer: Persönlich habe ich es gehört, aber noch nicht selbst gesehen. Man spricht von einigen Fällen, die es gibt. Genaues ist mir nicht bekannt.

Die Furche: Glauben Sie, dass das Einzelfälle sind, oder, dass es mehrere gibt?

Hofer: Schauen Sie, Ich würde sagen, das werden mehrere Einzelfälle sein. Ich nehme an, dass in fast allen Ländern in Österreich solche Einzelfälle existieren und wenn man die zusammennimmt, kommt man sicher auf eine gewisse Zahl von Betroffenen von vielleicht einigen Dutzend, einigen Hundert, möglicherweise.

Die Furche: Was könnte man tun, um diesen Menschen zu helfen?

Hofer: Man könnte Betreuungsstrukturen aufbauen, die wohnortnahe sind, die ambulant sind, die das Wohnen in den eigenen vier Wänden ermöglichen und die trotzdem die Betreuung gewährleisten, die diese Menschen benötigen. Also Stichwort "ambulante Betreuung“ versus "stationäre Betreuung“. Für diese Fälle wird wohl eine ambulante Form, etwa eine betreute Wohnform, das Bessere sein.

Die Furche: Und warum passiert das noch nicht?

Hofer: Weil wir eine Frage der Zuständigkeit haben. Für diese Fragen sind die Länder zuständig. Die Verfassung differenziert zwischen den unterschiedlichen Aufgaben und weist sie dem Bund oder den Ländern zu. Diese Fragen von Betreuung von Menschen mit Behinderung sind in der Länderkompetenz. Das heißt, die einzelnen Länder müssen Strukturen aufbauen, erweitern und verbessern.

Die Furche: Ihre Kollegin Isabella Scheiflinger, Behindertenanwältin in Kärnten, hat angeregt, dass das Recht auf die freie Wahl des Wohnortes gesetzlich verbrieft wird.

Hofer: Also, an sich gibt es eine solche Vorschrift bereits. Österreich hat die UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung bereits vor vier Jahren ratifiziert. Diese Konvention ist daher bereits dem österreichischen Rechtsbestand angehörend und hat umgesetzt zu werden - und zwar sowohl vom Bund als auch von den Ländern und Gemeinden. Die Frage der Umsetzung ist offensichtlich noch nicht gelöst. Die Furche: Warum? Fehlen die Mittel?.

Hofer: Die Mittel sind sicher ein Punkt. Eine Rundumbetreuung eines Menschen mit Behinderung kann natürlich sehr viel Geld kosten. Aber Österreich ist ein reicher Staat. Wir müssten uns diese Kosten sehr wohl leisten können.

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