Sind andere denn besser?

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Atheist stützt sich auf die gleichen Prinzipien. Von Heinz Fischer die furche 7. 9. 1983

Ethik in der Politik - vielleicht hätte es eigentlich Ethos in der Politik heißen sollen - ist die Lehre von den sittlichen Normen menschlichen Handelns in der Politik. Sie beruht auf dem Grundsatz, daß es zwischen Politik und allen anderen Bereichen menschlichen Handelns in bezug auf Ethik keinen Unterschied geben kann und darf:

Sittliche Normen menschlichen Handelns, die ausgerechnet vor den Grenzen der Politik haltmachen, also einen Bereich besonders verantwortungsvollen Handelns ausklammern, sind äußerst unsittlich. Hier gilt übrigens auch der Umkehrschluß: Ethische Grundsätze, die nur als politisches Programm verstanden werden wollen, aber den einzelnen im alltäglichen Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen nicht binden und bestimmen, sind gleichfalls defekt: Zwischen individueller und kollektiver Moral sind Divergenzen vom System her nicht gestattet. Die historische Erfahrung bestätigt dies in eindrucksvoller Weise: alle Versuche, eine spezielle Moral für den "Übermenschen" im Sinne von Nietzsche oder für den mit der Einsicht in die "historische Notwendigkeit" ausgestatteten Stalinisten zu schaffen, sind entsetzlich gescheitert.

Somit steht die zweite Frage zur Erörterung; nämlich jene, ob eine wirksame Ethik nicht eine dem Menschen übergeordnete normsetzende Instanz benötigt. Nachdem diese Frage die Philosophen durch Jahrhunderte hindurch beschäftigt hat, ohne daß es zu einer allgemein akzeptierten Antwort gekommen ist, möchte ich zunächst nur einen Schritt pragmatischer Annäherung an dieses Thema versuchen und eine ebenso pragmatische Frage aufwerfen:

Sind christliche Politiker durch ein besonders hohes Maß an Ethos vor allen anderen erkennbar? Sind sie charakterfester, idealistischer, uneigennütziger als nicht-christliche? Haben sich Atheisten in der Hölle der Konzentrationslager weniger standfest, weniger solidarisch verhalten als Katholiken? Waren die katholischen Politiker Dollfuß, Seipel, Raab oder Figl bessere Menschen als Otto Bauer, Renner, Körner oder Schärf? Ich glaube, es gibt keinen stichhaltigen Grund, auch nur eine dieser Fragen zu bejahen. Auch die Ethik der spanischen Konquistadores war nicht jener der Inkas überlegen, nur weil die einen Christen und die anderen Heiden waren.

Warum sollte sie auch? Im Mittelpunkt der Ethik steht der Mensch; an ihm muß eine humane Ethik orientiert sein. Hingegen hat die Antwort auf die Frage, ob der Entstehungs- und Evolutionsprozeß der Natur unter Zuhilfenahme einer metaphysischen Komponente oder ohne eine solche erklärt wird, mit ethischen Verhalten in der Politik wenig zu tun - höchstens mit der Vorstellung von "Sanktionen" im Falle eines Verstoßes gegen bestimmte ethische Prinzipien. Aber diese dem christlichen Weltbild immanente Vorstellung solcher Sanktionen hat im Verlaufe der Geschichte erstaunlich wenig bewirkt.

Auf einer etwas anderen Ebene könnte man die Frage auch so stellen: Der Christ ist an den Dekalog gebunden und hat auch eine Begründung dafür. Worauf stützen sich dann nicht-christliche, insbesondere atheistische Positionen? Sie stützen sich meines Erachtens auf genau die gleichen Prinzipien, die dem Dekalog zugrunde liegen, weil sie vor ihm und unabhängig von ihm in der menschlichen Natur liegen: Nächstenliebe, Solidarität, das Bedürfnis nach Wahrheit und Gerechtigkeit, hat es bereits gegeben, bevor die erste Zeile der Zehn Gebote, des Codex Hammurabi oder anderer theistischer Sittengesetze formuliert war.

Auch der Kategorische Imperativ von Kant ist mit oder ohne Zuhilfenahme einer metaphysischen Komponente begründbar und anwendbar. Warum sollten also die Prinzipien nicht gleichwertig, gleichberechtigt und gleich wirksam nebeneinander stehen - gleichgültig, ob sie dem Menschen aufgrund religiöser oder anderer Überzeugungen dienen und dienen wollen?

Politik ist der Versuch, das menschliche Zusammenleben sinnvoll zu gestalten.Dieses Zusammenleben ist ohne Grundprinzipien der Humanität nicht zu bewältigen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung