"So lässt sich der Islam nicht leben"

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Das Verhältnis zwischen dem Westen und den Muslimen ist von großen Schwierigkeiten gekennzeichnet. Dies muss auch fuad kandil, Pionier der Verständigung in Deutschland, konstatieren: Ob der Westen Muslime akzeptiert, ist eine Bewährungsprobe für die Demokratie.

Die Furche: Es wird von einer Rückkehr des Religiösen gesprochen - auch und gerade in Bezug auf den Islam.

Fuad Kandil: Viele Leute in Europa sagen: Seht, so religiös sind die Menschen aus der islamischen Welt. Das ist eine Religiosität, die im Westen nicht mehr anzutreffen ist, dieser feste Glaube an Gott, aber auch an ein Leben nach dem Tod. Das ist für die Leute verblüffend und zugleich beängstigend. Diese Religiosität ist ihnen aber auch unheimlich: dass es Menschen gibt, die so religiös sind, die sich so kleiden, und dass sie so regelmäßig fünf Mal am Tag beten... Meine These ist: Es scheint, dass das Leben einer religiösen Minderheit, einer Gruppe, die ihre Religiosität ernst nimmt, irgendwie mittelalterlich anmutet. Dies ist in einem Staat, wo zwar die Religion nicht verschwunden ist, wo Religiosität aber eben nicht mehr jenen Stellenwert hat, den sie einmal in Europa hatte, sehr schwer zu verkraften.

Die Furche: Aber der Punkt ist doch der: Einiges, was in islamischen Ländern traditionell gelebt wird, steht für den Westen nicht im Einklang mit dem Rechtsstaat - etwa die Stellung der Frau.

Kandil: Die Stellung der Frau ist sicherlich eine sehr problematische Geschichte. Allein die Kleidung macht vielen Menschen Angst in einer Zeit, in der die liberale Frau sich ganz bewusst als Ausdruck ihrer Selbstbestimmung kleidet . Daneben geht dann eine andere Frau völlig vermummt. Das wirkt absurd. Aber es hat auch in Europa sehr lange gedauert, bis der Wandel in Bezug auf die Frau sich durchsetzte. In der islamischen Welt geht er immer noch sehr langsam vonstatten.

Die Furche: Sind das westliche Frauenbild und das des Islam grundsätzlich kompatibel?

Kandil: Ich wünsche mir nicht, dass wir das westliche Frauenbild eins zu eins übernehmen. Aber ich wünsche mir mehr Anerkennung der Würde und der Rechte der Frau. Und mehr Anerkennung der Tatsache, dass der göttliche Auftrag an den Menschen als seinen Statthalter auf der Erde auch im Koran an Mann und Frau ergeht.

Die Furche: Sie haben einmal vom Ägypten der 50er Jahre erzählt: Damals sei die Gesellschaft offener gewesen. Was hat sich in der arabischen Welt verändert, dass es jetzt weniger offen zugeht?

Kandil: Da hat sich Gewaltiges verändert. Ich fühle mich vor den Kopf gestoßen, wenn ich nach Ägypten reise und eine fürchterliche Religiosität sehe; eine lediglich formale Religiosität, fast eine religiöse Hysterie. Ich sage das so, weil ich keine Entsprechung im Handeln und Verhalten der Menschen beobachte:Wenn diese Religiosität echt wäre, dann müsste die Korruption und einiges mehr überwunden sein. Der Umgang der Menschen untereinander müsste ein anderer sein. Aber im Gegenteil: Da hat sich im Vergleich zu früher viel verschlechtert. Ich sehe Frauen völlig verschleiert mit Burkas herumlaufen - nicht die Frauen der Fellachen, sondern solche, die wie ihre Männer studiert haben.

Die Furche: Warum ist das so?

Kandil: Als Soziologe beschreibe ich das zunächst als eine Retraditionalisierung der Gesellschaft. Dieses neue Phänomen ist ganz schwer zu fassen. Vorläufig habe ich nur die Erklärung, dass sich die Menschen aus einem politischen Ohnmachtsgefühl heraus der Religion zuwenden, und zwar in einer sehr formalen Religiosität - aus einem Ohnmachtsgefühl gegenüber dem Herrscher, der wirtschaftlichen Not, der politischen Unterdrückung heraus. Mich verblüfft, dass dabei die Modernisierung trotzdem voranschreitet. Diese "Vermummten", wie ich manchmal unschönerweise sage, sind materialistisch wie nie! Nicht nur die Frauen, auch die Männer: Sie träumen von Autos, wollen alle schönen Sachen dieser Welt. Das ist nicht verboten. Aber in dieser Menge ist das absurd: Zum einen wird Religiosität äußerlich zur Schau getragen, zum andereren wollen sie die Errungenschaften der Moderne ja nicht verpassen.

Die Furche: Es heißt auch, der Islam sei per se politisch, dass in einem islamischen Land Islam und Politik einher gehen. Europas Muslime leben aber in säkularen Rechtsstaaten, da gehören Islam und Politik nicht zusammen.

Kandil: In den islamischen Gesellschaften der letzten Jahrhunderte hat es eine Herrschaft der Religion eigentlich nicht gegeben. Es gab auf der einen Seite die Ulama, die Religionsgelehrten, deren Aufgabe es war, den Herrscher darauf zu verweisen, Gerechtigkeit zu üben und Gott zu fürchten. Aber die Ulama haben nicht regiert. Was heute etwa im Iran geschieht, ist ein Novum - für Schiiten erst recht: Die haben die Herrschaft immer abgelehnt und auf die Wiederkunft des verborgenen Imam gewartet - bis Khomeini kam und mit seinem Prinzip "Herrschaft des Rechtsgelehrten" eine Revolutionierung der Schia durchführte. Das ist eine große Veränderung! So wie jetzt die Mullas herrschen, hat es das in den islamischen Ländern nie gegeben!

Die Furche: Es gibt ja in islamischen Ländern auch säkulare Herrscher.

Kandil: Aber gerade die haben das Schlimmste angerichtet, sodass ein ganz anderer Prozess begonnen hat. Ich nenne wieder Ägypten: Dort gab es bis in die 50er Jahre eine Art liberale Demokratie kapitalistischer Natur, aber dort wurde auch nicht Gerechtigkeit geübt. Dann kamen die Sozialisten mit Nasser an die Macht, und er hat großartige sozialistische Gesetze gemacht - aber die Leute mussten erleben, dass die Sozialisten auch das Schlimmste anrichteten - wie die Baath-Partei in Syrien, im Irak. Dann haben die Leute gesagt: Jetzt haben wir die erlebt. Und dann kamen andere, die den Menschen im Namen des Islam die Befreiung von wirtschaftlicher Not, politischer Unterdrückung und nationaler Demütigung versprachen. Das waren aber falsche Propheten, die Menschen liefen ihnen scharenweise zu - und so entstand der mächtige Fundamentalismus mit dem Slogan: Der Islam ist die Lösung.

Die Furche: Und in Deutschland?

Kandil: Viele Muslime stammen aus armen Bevölkerungsschichten mit niedrigem Bildungsstand. Wenn jemand aus einem Dorf in Anatolien kommt, der nicht einmal in einer Großstadt seines eigenen Land gelebt hat, dann ist das ein ganz großer Sprung aus einer ganz kleinen Lebenswelt heraus. Damit einher ging die erwähnte Rückbesinnung auf Religiosität in ihrer sehr formalen Art. Die Leute wurden als Muslime im europäischen Ausland immer konservativer und engstirniger: Sie wollten den Islam noch viel genauer leben. Aber so lässt sich der Islam in der Fremde nicht leben. In einem Beitrag über den Islam in Deutschland habe ich 1988 geschrieben, ich sei der festen Überzeugung, dass Muslime heimisch werden können, ohne sich deshalb fremd werden zu müssen. Zehn Jahre später hätte ich das nicht mehr schreiben können. Offenbar bin ich von einer anderen Welt der Muslime ausgegangen. Und von einer anderen deutschen Gesellschaft: Beide Welten haben sich da negativ entwickelt: Die Gesellschaft wurde Muslimen gegenüber immer ablehnender, die Muslime selbst wurden immer konservativer und radikaler.

Die Furche: Wird sich das wieder verändern? Hoffen Sie, dass man als Muslim in Deutschland leben kann?

Kandil: Ja. Wir tun das ja jetzt auch. Es ist nicht so, dass wir jetzt nicht leben.

Die Furche: .Aber ist das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu stoppen?

Kandil: Das ist eine Bewährungsstunde der westlichen Demokratie. Da wird sich zeigen, ob die Rede von der aufgeklärten pluralistischen Gesellschaft echt ist. Das sind ja Behauptungen, dass man die Menschenrechte achte und den Andersdenkenden, den Andersgläubigen respektiere: Da wird sich zeigen, ob der demokratische Rechtsstaat wirklich in der Lage ist, in der Stunde der Herausforderung diese Güter zu bewahren. In der Stunde der Krise zeigt sich, ob sich die Grundsätze des Rechtsstaates und der Demokratie erhärten oder ob sie sich nur als Sonntagsrede verflüchtigen.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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