Solidarisch nach dem Guten suchen

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Gesetze sind notwendig - im rechten Maß. Das Gewissen benötigt der Mensch hingegen im Übermaß der Liebe.

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Gesetze sind notwendig - im rechten Maß. Das Gewissen benötigt der Mensch hingegen im Übermaß der Liebe.

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Gesetze, Normen braucht jede menschliche Gesellschaft, denn irgendwie muss das immer komplexer werdende Beziehungsgeflecht reguliert werden. Daran besteht kein Zweifel. An der Frage: wieviel Gesetz, wieviel Norm braucht es, um in einer Gesellschaft ein Maximum an Harmonie und ein Minimum an Anarchie zu gewährleisten, an dieser Frage scheiden sich allerdings die Geister.

Die einen, vor allem jene, die direkt damit zu tun, sie zu exekutieren haben, schreien mindestens einmal im Jahr auf und warnen vor der nicht mehr bewältigbaren und weiter anschwellenden Gesetzesflut. Den anderen kann es gar nicht genug Gesetze und Vorschriften geben, Gesetze, Vorschriften vor allem für die anderen, um dieses oder jedes auch noch so kleine Übel hintanzuhalten, um die Bewegungsfreiheit jener einzuengen, die einen stören, die man im Verdacht hat, etwas Böses im Schilde zu führen.

Das ist die eine Seite des bis heute und erst recht heute konfliktiven Begriffspaares: Gesetz und Gewissen.

Gewissen, so heißt es, ist jene dem Menschen eingestiftete innere Instanz, die es ihm erlaubt, Gut und Böse zu unterscheiden und in Freiheit den eigenen Weg zu wählen. Diese innere, diese göttliche Instanz wird uns allerdings nicht fix und fertig, sozusagen im Multipack für alle Gelegenheiten mitgegeben, sondern will gebildet werden, mit uns mitwachsen können, braucht also aktive und wache Unterstützung, um mündig, reif, verlässlich zu werden.

Wider Reagans Welt Bernhard Häring, einer der großen Moraltheologen des 20. Jahrhunderts, hat die Frage so gestellt: "Verstehe ich mein Gewissen als lebenswahres und lebensnahes Wissen, um mich selbst vor Gott und im aufgeschlossenen Miteinander und Füreinander, im solidarischen Suchen nach dem jeweils Guten oder wenigstens Bestmöglichen zu erkennen im persönlichen, wie im sozialen Bereich?"

Könnte jeder Mensch diese Frage nach der Verlässlichkeit seines Gewissens mit einem klaren und deutlichen Ja beantworten, dann würden die Welt und auch die Kirche heute anders ausschauen als sie ausschauen, dann könnten wir auf Gesetzesfluten dieser oder jener Provenienz leicht verzichten, dann würde es wirklich eine neue Weltordnung geben, und wir müssten uns nicht mit jener von Reagans Gnaden bescheiden, die die Welt-Unordnung eher fördert als lindert, wenn man sich die Auswirkungen der Globalisierung im wirtschaftlichen und sozialen Bereich anschaut, die die Mehrheit der Menschen zu Verlierern macht und über den Rand der Lebensmöglichkeit hinausdrängt.

Wo aber findet der Mensch, der junge Mensch vor allem, heute Instanzen, Persönlichkeiten, an denen sein Gewissen im Sinne Bernhard Härings wachsen und reifen kann?

Wenn man das betrachtet, womit heute die Seelen, Herzen und Köpfe unserer Kinder gefüttert werden, ist der Blick in die Zukunft eher düster, denn da ist wenig von Miteinander und Füreinander zu sehen und zu lesen oder gar von dem "solidarischen Suchen nach dem jeweils Guten".

Trotzdem bleibt Hoffnung angesagt, da man ja auch weiß, welch wunderbare, sensible und verantwortungsbewusste Menschen oft aus widrigsten Umständen erwachsen, ja vielleicht sogar an ihnen wachsen.

Macht ein Blick auf Jesus es leichter, einen Ausweg aus dem Dilemma - hier Gesetz und da Gewissen - zu finden?

Er, der toratreue Jude, hat hier in einem wahren Balanceakt einen ausgewogenen Weg gefunden. Die tapferen Gesetzeshüter halten sich gerne an den berühmten Satz aus der Bergpredigt: "Ich bin nicht gekommen um aufzuheben, sondern zu erfüllen. Das Gesetz wird nicht vergehen, bevor nicht alles geschehen ist."

Aber der Bergprediger sagt auch: "Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als jene der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen."

Ja, er geht noch weiter und verkündet, dass sogar die Diebe und Räuber, die Zöllner und Huren eher das Reich Gottes erreichen werden als seine frommen Zuhörer.

Der amerikanische Franziskaner Richard Rohr schreibt zu dieser Haltung Jesu und zu seinen Aussagen: "Wir sehen hier die ausgewogene Haltung, die Jesus zwischen den Fronten derer einnimmt, die wir als Konservative und Liberale bezeichnen. Er hält an der Grundlage und dem Kern des Alten fest, steckt jedoch die Grenzen weiter hinaus als sich irgendjemand hätte vorstellen können. Wir sehen, dass Jesus versucht, auf der empfindlichen Verbindungslinie zwischen Inklusivität und Exklusivität ein heikles Gleichgewicht zu finden."

Gottes Grundgesetz Jesus geht es um den Wert und den Sinn des von ihm verkündeten, weltwurzelhaften Gottesreiches und nicht um sture und unmenschliche Gesetzestreue. Ihm geht es nicht um die 1.001 Gebote und Verbote, um all die Reinheitsvorschriften, die die Schriftgelehrten und Hohenpriester seiner Zeit wie eine Geißel gegen das arme und unterdrückte Volk schwingen, um ihre Macht zu demonstrieren und ihre Kassen zu füllen. Ihm geht es um das Grundgesetz Gottes, das der Schöpfer allen Lebens jedem Menschen ins Herz geschrieben hat.

Und während Jesus in weiterer Folge seiner Auseinandersetzungen mit den Mächtigen des Tempels scharf ins Gericht geht, sie Heuchler und Schlangenbrut nennt, verweist er seine Jünger und Zuhörerinnen auf den Kern, in dem alle Gesetze und auch die Propheten beschlossen sind: "Du wirst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft und deinen Nächsten wie dich selbst."

Und den Menschen macht er nicht mit großen Worten, sondern an kleinen Begebenheiten des Alltags deutlich, welche Bedeutung er dem Gewissen eines aus dem Glauben lebenden Menschen beimisst. Bekannt ist vor allem jene Geschichte, als er am Sabbat die verdorrte Hand eines Mannes heilt, und damit einen heilenden Liebesdienst über die Heiligung des Sabbats stellt und zeigt, dass der Sabbat für den Menschen ist und nicht der Mensch für den Sabbat, dass es neben dem Gesetz und zuweilen auch das Gesetz übersteigend die Gewissensentscheidung für Taten der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit gibt und geben muss.

Und das, was Jesus damit aufzeigt, zählt zu der großen Utopie der Bergprediger und weist zeichenhaft darauf hin, dass das Gesetz wichtig und notwendig ist, dass es aber auch in tödliche Enge führen kann, wenn man unmenschlich am Buchstaben klebt. Das Gewissen, auch das gebildete, mündige Gewissen, kann irren, aber wenn man es an Jesu Beispiel wachsen lässt, kann es in liebende Weite führen, die über das eigene Ego hinausreicht und zu "solidarischem Suchen nach dem jeweils Guten oder Bestmöglichen" werden.

Notwendig ist beides, das Gesetz im rechten Maß und das Gewissen im Übermaß der Liebe.

SYMPOSION Gesetz und Gewissen "Forum Ostarrichi" des Katholischen Laienrates Österreichs Vorträge. Gespräche. Dialog.

Referenten: Christoph Mayerhofer/Wien, Generalanwalt; Alfons Riedl/Linz & Gerhard Marschütz/ Wien, Moraltheologen; Karl Matthäus Woschitz/Graz, Religionswissenschafter; Ernst Waldstein/Wien Zeit: 24. bis 27. August 2000 Ort: Neuhofen an der Ybbs Programm und Anmeldung: Katholischer Laienrat Österreichs, 1010 Wien, Spiegelgasse 3/2.

Tel.: 01/51552-3664, Fax: -3764, E-Mail: laienrat@xpoint.at, Internet: www.user.xpoint.at/laienrat

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