Sonntags-Arbeitsruhe ist zu verteidigen

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Der Sonntag ist ein besonderer Tag der Begegnung und nicht nur des Gottesdienstbesuches oder der Freizeit.

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Der Sonntag ist ein besonderer Tag der Begegnung und nicht nur des Gottesdienstbesuches oder der Freizeit.

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Der Neoliberalismus schlägt kräftig zu! Immer öfter wird davon geredet, dass der "gesunde Eigennutz" die Triebfeder allen Handelns sein müsse und jedes eigennützige Verhalten, das nicht extra verboten ist, erlaubt sein muss!

Wenn ich sonntags einkaufen will, muss ich das können! Wenn ich sonntags arbeiten will, muss man mir das erlauben! Warum darf ich am Sonntag nur Proviant am Bahnhof kaufen und nicht auch "Windeln für mein Baby"? - Es gibt noch mehr "geeignete Killerphrasen" um aus neoliberaler Sicht das Verbot der Sonntagsarbeit in Frage zu stellen.

Für Christen beginnt mehr und mehr die Zeit reif zu werden, wo wir für unseren Glauben, für unsere Kirchen und für den Menschen und seine Würde auftreten müssen. Jetzt kommt es auf uns an, denn wir müssen klar machen, das jedes ethisch unverzichtbare gemeinnützige Verhalten von Rechts wegen auch geboten ist. Sonntagsruhe ist also eine "Konstante der Humanität"! Sonntagsruhe hat nicht nur einen religiösen Wert für den Gläubigen, sondern auch einen gemeinnützigen Wert, der allen Menschen zu gute kommt. Um feiern zu können, brauchen wir gemeinsam festgelegte Zeiten, an denen wir einander treffen können. Möglichst viele und möglichst oft. Der Sonn- und Feiertag sichert uns Menschen "humane, soziale Zeit" die für ein menschenwürdiges Leben nötig ist. Wir brauchen Zeit zum Feiern, wie wir Zeit zum Ruhen und zum Arbeiten brauchen. So unglaublich das klingt, wir haben offenbar verlernt menschenwürdig und menschengerecht zu leben, wir haben verlernt zu feiern.

Feiern - "Atmen der Seele" - ist vielschichtiger als nur die Kulthandlungen in der Liturgie betreffend. Es ist ein sehr großer Mangel in den Kirchen, dass der Begriff des Feierns so reduziert gesehen wird und die Zusammenhänge zwischen Spiritualität und täglichem Leben, Freude und Liturgie, Gottesbegegnung und Vergnügen nicht gesehen werden. (Lachen im Gottesdienst ist eher selten.) Feiern ist Ausdruck einer besonderen Haltung und Wertigkeit im Leben der Personen, alleine oder mit anderen gemeinsam. Damit setzt der Mensch besondere Akzente.

Wie gefeiert wird; warum und wann, hängt ganz von den Personen und den "continua", aus der diese Personen stammen und dem Umfeld, in dem sie leben, ab. Feiern kann daher niemals eindimensional gesehen werden. Wenn Feiern nur in der Liturgie angesiedelt wird, läuft man doch Gefahr, die Diskussion um die Sonntagsheiligung abzuwürgen, nur auf den Sonntagsgottesdienstbesuch zu reduzieren und der Sonntagsarbeit für alle wieder Vorschub zu leisten.

Feiern heißt, gesellschaftlichen, familiären, gruppenspezifischen oder persönlichen Anlässen eine besondere Form zu geben, an der die Feiernden Anteil haben, wo für sie ein gewisser Lustgewinn oder ein erhebendes Gefühl wirksam und Begegnung und Beziehung erlebt wird.

Wenn beispielsweise in einer Familie nur sonntags gemeinsam ein Tischgebet gesprochen wird, weil alle da sind, so ist das nicht nur eine kultische Handlung, nicht nur Gotteslob, sondern auch Gemeinschaftserlebnis. "Manchmal feiern wir mitten am Tag ein Fest der Auferstehung", singen wir treffend in einem beliebten Lied. Das sollte uns zu denken geben.

Ist Arbeitsruhe nötig?

Ich meine daher, dass eine neue Kultur des Feierns wichtiger wäre, als pragmatische Liturgiereformschritte. Vielmehr müssten alle Gruppen die Möglichkeit erhalten, ihre eigene Spiritualität entwickeln zu können, die das Feiern natürlich beeinflusst. Ein Pluralismus in der Feierkultur wäre besonders wichtig, genauso wichtig, wie das Abgehen von der "Mönchischen Liturgiekultur" in unserer Kirche. Wie gefeiert wird und welche Formen des Feierns authentisch sind, muss die feiernde Gruppe selbst bestimmen können.

Leider entsteht in der Gesellschaft eine immer ärmer werdende und eine immer kostspieligere Feierkultur, die sich inhaltlich entweder auf "Musik" und Tanz oder "Essen und Trinken" beschränkt. Methodisch könnte hier viel getan werden.

Eine Zeit lang war die katholische Kirche führend im Propagieren neuer Feierkultur. Großgruppenanimation, Umgang mit kreativen Medien, alternative Gestaltung von Festen; Gestaltung neuer "klassischer" Kirchenmusik, aber auch Lieder für Jung und Alt flossen aus den Federn der Kreativen. Nun stoppt die Kirche. Wir sind offensichtlich in der Krise. Dagegen hilft nur eine umfassende Neustrukturierung hin zu einer pluralistischen Feierkultur!

Für Menschen, die immer mehr ihrem Eigennutz frönen, stellt sich die Frage, ob es ein Kulturgut darstellt, nach sechs Tagen Arbeit zu ruhen. Diese Menschen haben vergessen, dass Wochen- und Monatsrhythmen, Jahreszeiten als natürliche und kosmische Kreisläufe das Leben strukturieren. Der Ruhetag in einem Sieben-Tage-Rhythmus findet sich in fast allen Kulturen.

Die jüdisch-christliche Tradition verlieh dem siebten Tag beziehungsweise dem ersten Tag der Woche eine besondere inhaltliche Qualität. Schon unter Kaiser Konstantin wurde um 320 das erste Arbeitsruhegesetz geschaffen, das den Sonntag "heiligte". Der Sonntag ist seither der Tag, der uns "heilig", also "heilsam" sein sollte. Kardinal Schönborn sagte im Vorjahr zu Recht: "Wer den Menschen ausschließlich den wirtschaftlichen Zwecken unterordnet, macht ihn zum Sklaven."

Der arbeitsfreie Sonntag ist daher ein "Kontrastprogramm" zur geschäftigen Werktätigkeit, ein Kulturgut, das nicht mit Geld aufzuwiegen ist. Man kann sich Menschenwürde nicht abkaufen lassen. Arbeitsruhe ist nötig!

Von Sonntagsarbeit sind meist Arbeitnehmer in Handel und Dienstleistung, aber auch in manchen Industrien betroffen. Diese sind nicht die Reichsten und brauchen "das Geld". Will man soziale Gerechtigkeit schaffen, muss man dem Gemeinwohl zum Durchbruch verhelfen. Wir müssen klar sehen, dass etwa ein angemessenes Mindesteinkommen (1.000 Euro) die Menschen resistenter gegen die Verlockungen der Sonntagsarbeit macht, und wir müssen deutlich machen, dass "Shopping" nicht "happy macht"!

Gewerkschaft versagt?

Oft denke ich, der Begriff Sonntagskultur muss neu geprägt werden. Für viele ist der Sonntag ein Tag wie jeder andere, zwar ein Ruhetag, aber ein Tag der nach entsprechender Bezahlung auch austauschbar werden kann. So sehr der Sonntag als Tag der Begegnung wichtig ist, so oft wird er reduziert zum Tag des Freizeitvergnügens.

An dieser Entwicklung sind die Kirchen nicht unschuldig. Je mehr sie sich auf die Position zurückziehen, der Sonntag sei nur ein Tag für den Gottesdienstbesuch, desto leichter wird er für potenzielle "Nicht-Kirchgeher" abgewertet. Der "Feiertag" hat aber vielfältige Bedeutung: Er ist der Tag der Begegnung mit Gott und der christlichen Gemeinde, er ist der Tag der Begegnung in Familien, Feundeskreis und Vereinskultur. Er ist der Tag der Erholung, Tag des kulturellen Erlebnisses und Tag der physischen und psychischen Regeneration.

Die Gewerkschaften haben die gesetzliche Sonntagsruhe durchgesetzt, weil sie nicht nur zum Gottesdienst gehen wollten, sondern nach einer Arbeitswoche hundemüde waren und Ruhe brauchten! Die Kirchen blieben lange auf Distanz. Erst als Bischof Johann Weber Vorsitzender der Bischofskonferenz war, nahm die katholische Kirche auch kämpferisch zur Sonn- und Feiertagsruhe Stellung und steht hinter dem Arbeitsverbot. Aber selbst in der derzeit prekären Arbeitszeitsituation, wo der Ruf nach Abschaffung der Sonn- und Feiertagsruhe auch seitens so genannter "christlicher Unternehmer" nicht mehr verstummt, gab es etwa in der Auseinandersetzung um den 8. Dezember noch im Vorjahr Stimmen, die bloß die Freizeit zum Gottesdienstbesuch einmahnten, "danach könne man ja arbeiten gehen!"

Oft gibt es den Vorwurf, die Gewerkschaften würden vor Sachzwängen kapitulieren und die Lebensqualität der Menschen verschlechtern, indem sie Kollektivverträgen zur Sonntagsarbeit zustimmten. Diese Darstellung ist falsch und unfair, aber auch gefährlich.

Die betriebliche Realität erforderte die Schaffung eines Instrumentes zur Eindämmung der überbordenden Ausnahmeregelungen von der Sonntagsruhe. Sonn- und Feiertagsarbeit sind in Österreich grundsätzlich nicht gestattet. Das bestätigt auch die Neuregelung der Sonn- und Feiertagsarbeit gemäß § 12 a Arbeitsruhegesetz. Neu ist lediglich, dass Kollektivverträge nun auch gezielte Regelungen für einzelne Unternehmen treffen können. Es wird immer Ausnahmen von der Sonntagsruhe geben, nur müssen das eben Ausnahmen für jene Bereiche sein, deren Tätigkeit den Menschen und dem Gemeinwohl dienen. Auch diese Arbeiten müssen auf ein Minimum beschränkt werden.

Natürlich werden aus humanitären Überlegungen, im Verkehr und bei der Abdeckung unabdingbarer Grundbedürfnisse verschiedene Berufe weiter Sonntagsarbeit leisten müssen, dann aber muss diese Arbeit so organisiert sein, dass mehrmals im Monat Sonntagsfreizeit möglich ist, denn der Sonntag ist ein besonderer Tag der Begegnung und nicht nur Freizeit. Gewerkschaften haben die Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen erkämpft und werden sie weiter verteidigen.

Der Autor ist Bundessekretär der Fraktion Christlicher Gewerkschafter im ÖGB.

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