Sonst ist der soziale Friede futsch ...

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Auf ein Wort

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Auf ein Wort

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Von "Freuden sonder Zahl" und "Seligkeit" hat Ildiko Raimondi dieser Tage im Brahmssaal gesungen - zu Ehren eines heimischen Spitzenmanagers. Kärntnerlieder gab's anderntags für den Chef eines Baustoffkonzerns. Und Jazz für einen Bezirkshauptmann im Wiener Umland.

Drei runde Geburtstage - und dreimal ein Aufmarsch heimischer Politik- und Wirtschaftseliten.

Freilich: Das Wort von der "Seligkeit" blieb dabei Franz Schubert vorbehalten. Was an festlich geschmückten Tischen besprochen wurde, hat mich die ganze Dimension unserer Krise, aber auch die Ratlosigkeit spüren lassen.

Ein paar Wortfetzen habe ich an diesen Abenden notiert: "Noch ist bei uns die Stimmung besser als die Lage." Und: "Niemand will Schwarzmalen, aber das ist erst der Anfang." Und: "Bitter, dass wir jetzt denen helfen müssen, die den Wahnsinn ausgelöst haben." Und: "Es wird Schuldige für diese Geldverbrennung geben müssen, sonst ist der soziale Frieden futsch."

Zeitgleich zu diesen Geburtstagsfesten hat Davos die Abschiedsparty unseres Wirtschaftssystems erlebt. Menschen, die es besser wissen müssten als unsereiner, haben düstere Szenarien entworfen: von anhaltender Rezession mit explodierender Arbeitslosigkeit und einer kaum verdeckten Angst vor der Zukunft. Allein die Zahl der "arbeitenden Ärmsten", die von ein bis zwei Dollar täglich leben müssen, wird sich (laut UNO) um 140 Millionen erhöhen.

Frustrationen und Ängste treiben schon jetzt die Menschen auf die Straße - über eine Million in Frankreich, Zehntausende zwischen Moskau und Wladiwostok. Selbst Peking rüstet sich, so liest man, für "mehr Konflikte und Zusammenstöße".

Ich denke manchmal an einen Nachtflug über Japan zurück. An den Blick auf Myriaden von Lichtern auf engstem Raum. Was wird, so habe ich mir damals gedacht, eines Tages geschehen, wenn die auf Leistung konzentrierte Aggression eines übervölkerten Lands sein Ziel verliert? In Japan - aber nicht nur dort?

Was kommt da auf uns zu? Werden wir den Totalabsturz - samt tiefen Solidaritätsbrüchen - noch einmal verhindern können? Ist der "Adlerflug der Gier über einer ungeheuren Landschaft von Gewinnen" (der Philosoph Peter Sloterdijk) wirklich vorbei? Oder bewegen wir uns nur im Bereich der Palliativmedizin, die Symptome mildert, aber nicht heilt?

Für einen neuen Humanismus

Im Grunde wissen wir es alle: Hinter der Immobilien- und Banken- und Börsen- und Finanz- und Wirtschafts- und Systemkrise steht eine geistige Krise. Eine falsche Hierarchie der Werte. Eine beschämende Frivolität übelster Ungerechtigkeit. Auch bei uns in Österreich - siehe Claus Reitan (FURCHE 5/2009) zum jüngsten Sozialbericht.

"Krise ist Gefahr, aber auch Chance", hören wir allerorten. Richtig. Aber sie wird nur dann zur Chance, wenn mit ihr auch ein neuer Humanismus entsteht.

Wer aber will und kann ihn schaffen und durchsetzen? Wem dürfen wir glauben? Wo sind die Staatsmänner, wo die Vorbilder? Wo auch die großen Medien, die uns jetzt Orientierung bieten?

Vielleicht werden wir hier noch die größten Defizite entdecken müssen.

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