Sozialethik, ökumenisch

Werbung
Werbung
Werbung

Ein wissenschaftlicher Band im Gefolge des Ökumenischen Sozialwortes liefert theologische Grundlagen fürs ökumenische Gespräch über soziale Fragen.

Zuerst die Praxis, dann die Theorie. Ganz stimmt dieses Analogon hier zwar nicht, aber das Werden des Ende 2003 fertig gestellten Ökumenischen Sozialworts war zuerst eine pragmatische Initiative: Alle 14 im Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich versammelten Kirchen hatten sich zunächst auf einen mehrjährigen Prozess verständigt, ausgehend von der sozialen Praxis der einzelnen Kirchen Themen und Reflexionen zu sammeln und dann daraus einen "Kompass", wie sie sagten, eben das Sozialwort der Kirchen zu entwickeln. Ein weltweit einzigartiger Vorgang, hatten sich zuvor noch nie Kirchen aller drei großen Traditionen - reformatorisch, katholisch, orthodox - an ein gemeinsames Papier zu sozialen Fragen gewagt. Und es stellte sich heraus - auch wenn es Unterschiede in einzelnen Positionen gibt, so können die Christen aller Traditionen sich gerade im Bereich sozialer Themen darauf verständigen, mit einer Stimme zu sprechen.

Englisch, ungarisch ...

Ein wegweisendes Projekt, dieser Tage wurde auch die englische Version des Sozialwortes fertiggestellt (siehe Kasten rechts), in Budapest konnte Mitte Februar die ungarische Übersetzung präsentiert werden: Der "Internationalisierung" der österreichischen Initiative steht somit nichts im Weg.

2003 war aber auch die wissenschaftliche Reflexion und Begleitung angekündigt worden, Ende letzten Jahres erschien das Buch dazu, "Perspektiven ökumenischer Sozialethik - Der Auftrag der Kirchen im größeren Europa", in dem je ein Vertreter der drei kirchlichen Traditionsstränge den jeweiligen sozialethischen Zugang ausfaltet. Bei aller Gemeinsamkeit - nicht zuletzt in der praktischen Bewertung - ergeben sich, wie das Buch zeigt, einerseits fundamental unterschiedliche Betrachtungsweisen und Motivationen, im Gegensatz zu den dogmatischen Differenzen behindern diese Unterschiede ein ökumenisches Gespräch, das auch zu kompatiblen Positionen oder zumindest zum gemeinsamen Einverständnis über Problemlagen führen kann, nicht.

Als Beispiel dafür kann die Beobachtung des Wiener protestantischen Theologen Ulrich H. J. Körtner dienen, der im Buch den reformatorischen Part abdeckt, über die Veränderung der Denkschriften, jener typisch "evangelischen" Form sozialethischer Positionierungen (demgegenüber es in der katholischen Soziallehre ja die normativere Bandbreite von päpstlichen Enzykliken bis zu Hirtenworten einzelner oder mehrerer Bischöfe gibt). Körtner benennt im Kapitel "Grundzüge und Traditionen evangelischer Sozialethik", dass sich der Sprachstil dieser Denkschriften "von einer eher pastoralen oder konfessorischen Sprache zu einer mehr informativen und argumentativen Redeweise" gewandelt hat. Körtner identifiziert dies primär mit den Veränderungen des Verhältnisses der Kirche zur pluralistischen Gesellschaft, aber natürlich ist dies auch katalytisch fürs Gespräch der Kirchen miteinander.

Körtners kompakter Aufriss reformatorischer sozialethischer Tradition von Luther und Calvin bis heute sowie der Betrachtung von Ethik unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung stellt für den Nichtprotestanten nachvollziehbar Argumentationslinien - aber auch Stolpersteine im Diskurs dar.

Sozusagen komplementär dazu erweist sich im Kapitel davor die "katholische" Sicht der Dinge, die von der Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel zusammengefasst wird: einem katholischen Zentralbegriff wie "Zeichen der Zeit", den das II. Vatikanum geprägt hat, widmet sie ebenso eine Analyse wie der "Option für die Armen", die seit den 70er Jahren zum Standard sozialethischer Überlegungen gehört, oder der Subsidiarität, die im ganzen letzten Jahrhundert ein Grundprinzip katholischer Sozialverkündigung war. Ganz explizit setzt sich Gabriel auch da mit den ökumenischen Perspektiven auseinander.

Befreiende Oikonomia

Am spannendsten bleibt aber das erste Buchkapitel von Alexandros K. Papaderos von der Orthodoxen Akademie Kreta, weil darin die noch viel zu unbekannten orthodoxen Zugänge zu sozialen Fragen ausgefaltet sind. Wie aus der Tradition der alten Kirche und den Schriften der Kirchenväter eine durchaus moderne Sozialethik entwickelt werden kann, lässt für einen durch dogmatische Enge katholischer Zugänge bisweilen Irritierten durchaus auch für die eigene Kirche hoffen. Ein - für sich sprechendes Beispiel dazu könnte die orthodoxe Praxis der Oikonomia sein, dem Prinzip, im Einzelfall von dem abzugehen, was allgemeine Vorschrift ist, um - so Papaderos - "ein Gut zu erreichen oder zu erhalten, das höher ist als jenes, dem die Vorschrift gilt". Die Art und Weise, Lebenskrisen zu meistern, auch der Umgang mit Ehescheidung oder gar mit Abtreibung im Lichte der Oikonomia scheint gerade für katholische Augen eine befreiende Möglichkeit zur Lösung von Gewissenskonflikten zu sein.

Perspektiven ökumenischer Sozialethik - Der Auftrag der Kirchen im größeren Europa

Von Ingeborg Gabriel, Alexandros Papaderos, Ulrich Körtner. Matthias-Grünewald-Verlag Mainz 2005. 320 S., kt., e 20,40

TIPPS

Sozialwort, englisch

Die englische Übersetzung des Sozialwortes des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich ist im Internet abrufbar auf der Homepage des Sozialworts: www.sozialwort.at

Sozialwort TV

Die Katholische Aktion der Erzdiözese Wien gestaltet auf dem Wiener Bürgerkanal Okto (im Wiener Kabelnetz zu empfangen auf Kanal 8) einmal monatlich das "Sozialwort TV", ein Fernsehprogramm zum Ökumenischen Sozialwort. Nächste Sendung: Freitag, 3. März, 20.00. www.ka-wien.at/sozialworttv

Sozialkompendium

Das Sozialkompendium, die Sammlung gesamtkirchlicher Sozialtexte der katholischen Kirche, liegt auch auf Deutsch vor. Darin enthalten sind alle relevanten Aussagen zu sozialen Fragen.

Kompendium der Soziallehre der Kirche

Hg. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden. Verlag Herder, Freiburg; Libreria Editrice Vaticana 2006

543 Seiten, kt., e 15,40

Europa-Vortrag

"Zwischen Laizismus und Fundamentalismus. Gedanken zur christlichen Identität Europas". Mit Bischof Dr. Egon Kapellari. Montag, 6. März, 19.30. Ort: Kleiner Festsaal der Universität, 1010 Wien, Dr. Karl-Lueger-Ring 1. Infos: www.iupax.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung