Spannungsfelder

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Sein neues Buch zeigt, daß der Wiener Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn sehr klug und sehr konservativ ist.

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Sein neues Buch zeigt, daß der Wiener Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn sehr klug und sehr konservativ ist.

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Ein Wiener Erzbischof hält nicht nur viele Predigten. Hat er einen intellektuellen Rang wie der gegenwärtige, Christoph Kardinal Schönborn, wird er auch oft zu Vorträgen und Beiträgen in Festschriften oder Fachzeitschriften eingeladen. Daß eine, wenn auch etwas überarbeitete, Sammlung solcher Artikel meist nicht der ganz große Wurf ist und der rote Faden eher dünn gerät, beweist Kardinal Schönborns neues Buch "Die Menschen, die Kirche, das Land", und der Autor bat auch bei der Präsentation selbst gleich um Nachsicht für solche ihm selbst durchaus bewußte Mängel.

Daß sich der Band trotzdem sehen und lesen lassen kann, daß er trotzdem beachtliche Qualitäten aufweist, ist unbestreitbar, geht aber vielleicht bei vielen unter, da der Kardinal mit seiner klaren Positionierung zu kirchlichen Reizthemen sicher viele vor den Kopf stößt: nämlich alle, die zum Unterschied von ihm das Kirchenvolks-Begehren sehr wohl für "zukunftsweisend" und nicht nur für eine "Nachhut der Moderne" halten, aber auch jene, die sich da nicht so sicher sind, aber zumindest erwartet haben, daß der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz dem "Dialog für Österreich" nicht von vornherein den Lebensatem nimmt.

Auf wenigen Seiten wischt Schönborn alle Reformwünsche in Sachen Zölibat, Priesterweihe für Frauen, katholische Sexualmoral, Wiederverheiratung Geschiedener vom Tisch. Wenn er betont, "daß diese Fragen doch wahrhaftig nicht die einzigen und schon gar nicht die wesentlichen Themen der Christenheit seien", fragt man sich unwillkürlich, warum die Kirche dann in diesen Fragen so unbeweglich sein muß. Daß Christen nicht simple Anpassung an die Welt, sondern ein Alternativprogramm zum Zeitgeist aufgetragen ist, haben sicher nicht nur die neuen geistlichen Bewegungen oder "Movimenti" begriffen, die Schönborn in erster Linie als "Zeichen der Hoffnung" schätzt.

Der weitaus größte Teil des Buches betrifft freilich alles andere als innerkirchliche Streitfragen, er umfaßt Betrachtungen von zehn Spannungsfeldern, jeweils unter dem Titel "Kirche und ...": Gesellschaft (1), Europa und Welt (2), Politik (3), Sozialverantwortung (4), Bildung (5), Kunst (6), Massenkommunikation (7), Medizin (8), Judentum (9), Zukunft (10). Hier finden sich viele Goldkörner, zum Beispiel klare Bekenntnisse zur Würde des Menschen, zur Gleichheit aller Rassen, zur sozialen Verantwortung, zum Schutz des Lebens, oder eine Würdigung des Oberösterreichers Franz Jägerstätter, der zur Erkenntnis kam, man könne nicht zugleich dem Dritten Reich und dem Reich Gottes dienen. An Jägerstätters 55. Todestag, dem 9. August 1998 hat Schönborn das Vorwort zu seinem Buch datiert.

Drei Sätze hob Schönborn selbst bei der Präsentation seines Buches hervor: "Gott ist kein Faktor von Nützlichkeit", "Der Mensch ist der Weg der Kirche", und "Die Sünde muß wieder benannt, die Vergebung muß wieder erfleht werden", ein Peter-Turrini-Zitat aus dem Stück "Tod und Teufel", das Schönborn seinerzeit auch in der Furche (46/1990) gewürdigt hat.

Die "News"-Tiraden eines Alfred Worm, Schönborn sei in diesem Buch "haiderischer als Jörg Haider - ein intellektueller Reaktionär im Habitus eines Kirchenfürsten", sind bei genauer Lektüre des Buches nicht nachzuvollziehen. Daß sich zwischen diesem Buch und dem kürzlich erschienenen seines Weihbischofs Helmut Krätzl (Furche 38/1998) ein weites Spannungsfeld auftut, ist freilich klar.

Es lohnt sich, beide Werke zu lesen. Doch der Kauf von Schönborns Buch wird vielleicht manchen schwerfallen, wenn sie auf Seite 4 lesen, daß sie damit Stipendien für osteuropäische Studenten am umstrittenen "Internationalen theologischen Institut in Gaming" finanzieren.

Die Menschen, die Kirche, das Land.

Von Christoph Kardinal Schönborn. Molden Verlag, Wien 1998, 255 Seiten, öS 268,-.

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