Sprache der Kirche ist eine Fremdsprache

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Nicht die Säkularisierung oder die lang diskutierten "heißen Eisen" der Kirchenreform sind die Hintergründe der Glaubens- und Kirchenkrise der Gegenwart. Vielmehr ist die Sprache der Übermittlung des Glaubens durch die Kirche zum Problem geworden. Ein Diskussionsbeitrag.

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Nicht die Säkularisierung oder die lang diskutierten "heißen Eisen" der Kirchenreform sind die Hintergründe der Glaubens- und Kirchenkrise der Gegenwart. Vielmehr ist die Sprache der Übermittlung des Glaubens durch die Kirche zum Problem geworden. Ein Diskussionsbeitrag.

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Die Hintergründe für die gegenwärtige Glaubens- und Kirchenkrise sind nicht die Säkularisierung und die gesellschaftliche Entwicklung. Verheiratete Priester, Schwule, Sexualmoral, kein Kommunionsempfang für wiederverheiratete Geschiedene, minimale Fortschritte in der Ökumene. Das sind nicht die Themen, die die Menschen interessieren. Inhalt und Verständnis der Botschaften des Glaubens und die Übermittlung ("Verkündigung") durch die Kirche, das sind die eigentlichen Probleme. Die Sprache der Kirche ist zur Fremdsprache geworden, auch wenn sie unsere Muttersprache ist.

Mit der Sprache werden Glaubensinhalte ausgedrückt. Sie ist neben dem "Erleben" in Form der Inszenierung, neben Riten, Zeichen, der Musik, der Stille, der Kommunikation und der Einbeziehung aller Beteiligten ein wesentliches Element der Liturgie. Nachdem die "Heilige Messe" das zentrale Ereignis einer Gemeinde sein soll, ist die Krise der Liturgie einer der Hauptgründe für die Glaubens-/Kirchenkrise.

Nicht der Glaube der Menschen verdunstet, sondern der, den die Kirche predigt.

An einer neuen Sprache arbeiten

Einige Beispiele aus der Vielzahl kritischer Statements dazu: Der Buchtitel von Erik Flügge aus 2016 drückt das sehr drastisch aus: "Der Jargon der Betroffenheit - Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt." Oder Eugen Drewermann: Eine "Entrümpelung der gesamten Dogmensprache" ist notwendig. Tomás Halík meint im Buch "Geduld mit Gott": "Wahrheit, Sinn, Gerechtigkeit, Liebe

pathetische, vor allem aber bis zum Kitsch und zur Banalität entleerte Wörter " Der 2014 verstorbene Eugen Biser schrieb in einem Brief an mich: "Vielen Grundbegriffen der religiösen Sprache fehlt die notwendige Verständlichkeit,

sie lösen heute vielfach falsche Assoziationen aus, sofern sie nicht einfach wie Floskeln wirken und ins Leere laufen."

Das alles war und ist für mich Anlass, an einer neuen Sprache zu arbeiten und einen Erneuerungsprozess vorzuschlagen.

Als Erstes habe ich damit begonnen, in Anlehnung an die Aussage von Eugen Biser, eine "rote Liste" von Ausdrücken zu erstellen, die zu einem "verbotenen" Ausdruck auch einen Vorschlag für eine Neuformulierung enthält.

Ein paar Beispiele dazu: Statt "Erlösung" sollte es heißen "eine Lebensperspektive haben", statt "Sünde" könnte man "Verzweiflung, ich muss etwas dagegen tun" sagen, statt "Herrscher" "Vorbild", statt "Sohn Gottes""Außergewöhnlicher Mensch", statt "Umkehr" sollte man "Energie für einen neuen Lebensweg" verwenden. Es gibt aber auch Ausdrücke, die nicht mehr verwendet werden sollen, wie Sühne, Macht, Güte, Allmacht, Herr (wird oft wie Heer ausgesprochen), Jesus König, Gott Vater, Jungfrau(engeburt), Himmelfahrt, Gott rächt.

Damit aus diesen Ideen ein lebendiger Prozess wird, sollten Theologische Fakultäten und Klöster die Initiative ergreifen und Innovations- und Experimentierinstitute gründen. Die Aufgaben dieser Institute umfassen die Erstellung eines "Theologischen Thesaurus" mit Synonymen und Antonymen, die Entwicklung neuer Gottesdienstformen, Ausschreibung eines Wettbewerbs zur Erneuerung des Liedgutes, Erarbeitung einer neuen Zeichensprache, praktische Erprobung aller Neuerungen, die allesamt auf einer "neuen Sprache" basieren.

Eine zweite Initiative betrifft die Schaffung einer "Gebetsbörse", die nur Gebete enthält, die sich zwingend an der neuen Sprache orientieren. Gerade in den Gebeten, vor allem in der Liturgie, äußert sich das "Sprachproblem" von heute.

Bittgebete sind oft so formuliert, dass man Gott Vorschriften machen will, wie er etwas ändern soll, Dankgebete sind oft versteckte Bittgebete. Dankgebete sollen vielmehr ausdrücken, dass wir verstanden haben, dass wir etwas geändert haben, dass uns ein Licht aufgegangen ist, dass wir Fähigkeiten in uns entdeckt haben, dass wir auf Fehler draufgekommen sind, dass wir Möglichkeiten haben und nicht gelähmt sind.

Dankgebet &Glaubensbekenntnis

Ein Beispiel für ein Dankgebet:

Es fällt mir schwer, danke zu sagen. Für mich ist vieles durch meine Leistung, durch mein Streben und natürlich auch durch die Arbeit vieler anderer entstanden, was für mich selbstverständlich ist. Wozu also danken? Doch oft kommen mir Zweifel, ob das wirklich so ist? Es gibt so vieles, was ich nicht beeinflussen kann, worüber ich oft staune. Es passieren Dinge in meinem Leben, die für mich völlig überraschend sind, die einfach ungeplant "daherkommen". Für alles, was nicht durch meine Leistung, mein Streben sich in meinem Leben ereignet, möchte ich danke sagen. Für die Menschen, die sich für mich unsichtbar einsetzen, auch die, die mir vorausgegangen sind und die Basis für mein Leben bereitet haben.

Ein Beispiel für ein neues Glaubensbekenntnis:

Mein Gefühl sagt mir: Es gibt etwas oder jemanden über mir, der größer ist als ich.

Mein Verstand sagt mir: Die Welt und das Weltall in seiner unglaublichen Weite können nicht aus dem Nichts entstanden sein, es gab einen Anfang.

Die Überlieferungen sagen mir: Es hat einen Menschen gegeben, Jesus, dessen Worte und Taten die Welt verändert haben und noch immer verändern können.

Die Wissenschaften sagen mir: Wir wissen schon sehr viel, kommen aber aus dem Staunen nicht heraus.

Meine Alltagserfahrung sagt mir: Ich bin nicht allein auf der Welt, ich bin Teil eines Netzwerks und von vielen abhängig. Gemeinschaften sind mir wichtig.

Meine Lebenserfahrung sagt mir: Es gibt nicht nur Freude und Glück, sondern auch Leid und Unglück. Trotzdem kann ich zuversichtlich sein, dass nichts vergeblich ist.

Mein Herz sagt mir: Ich schaffe es, ich kann stark sein, ich kann vieles ändern, wenn ich nur das Gute will und verzeihen kann.

Meine Träume sagen mir: Es wird alles besser, schöner, ich muss was tun, mein Beitrag ist gefragt.

Meine Sehnsucht sagt mir: Friede ist möglich, wir müssen ihn bewahren.

Meine Hoffnung sagt mir: Das Leben geht nach dem Tod weiter, anders als heute, verwandelt, eigentlich noch unvorstellbar.

Diese Gedanken und noch weiterführende Ideen zu neuen Zeichen, Haltungen, neuen Kreuzwegen, Filmen, neuen "Erlebniswelten", aber auch zu einer neuen Priesterrolle und zur Um- und Neugestaltung von kirchlichen Gebäuden habe ich in meinem Buch "Seht, ich mache alles neu: Konkrete Beispiele für notwendige Veränderungen in Theologie und Kirche" beschrieben.

Der Autor war in der Automobilindustrie tätig und beschäftigt sich nach theologischen Selbststudien mit gesellschaftlichen und philosophischen Zukunftsfragen

Seht, ich mache alles neu

Konkrete Beispiele für notwendige Veränderungen in Theologie und Kirche.

Von Helmut Waltersdorfer

Akaziaverlag 2017.120 Seiten, geb., € 24,-

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