Sr. Beatrix Mayrhofer: "Wir tun alle immer zu wenig"
Wie hält es die Kirche mit der Nächstenliebe für Flüchtlinge? Sr. Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden, im Gespräch.
Wie hält es die Kirche mit der Nächstenliebe für Flüchtlinge? Sr. Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden, im Gespräch.
Das Resümée von Amnesty International fiel vernichtend aus: Die Lage im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen sei "unmenschlich", es handle sich um ein "strukturelles Versagen", schrieb die NGO in ihrem Bericht. Aber nicht nur den Behörden, auch der katholischen Kirche wurde zuletzt mehrfach Versagen vorgeworfen - und das ausgerechnet in ihrer vermeintlichen Kernkompetenz, der Nächstenliebe. Während "Caritas" und einzelne Pfarren gelobt wurden, kritisierte man vor allem die Klöster dafür, nicht mehr Flüchtlinge aufzunehmen. DIE FURCHE hat mit Sr. Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Frauenorden Österreichs, über diesen Vorwurf gesprochen.
DIE FURCHE: Schwester Beatrix, täglich kommen etwa 200 Flüchtlinge nach Österreich: Sie werden auf Autobahnen ausgesetzt, müssen unter freiem Himmel oder in Zelten schlafen. Was sagen Sie zu dieser Situation?
Sr. Beatrix Mayrhofer: Sie ist unerträglich. Ebenso unerträglich ist, dass wir als Gesellschaft und Kirche fast vor Hilflosigkeit erstarren, weil die Lage so überfordernd aussieht. Doch wenn wir gemeinsam und planvoll vorgehen, ist sie bewältigbar. Bei 200 Menschen am Tag ist zwar jeder Einzelne zu viel, weil er für so viel Not steht, aber verglichen mit den Tausenden, die täglich im Libanon und anderen Gebieten des Nahen Ostens ankommen, ist die Herausforderung bei uns zu schaffen.
DIE FURCHE: Viele hätten sich mehr Engagement seitens der Kirche, insbesondere der Orden, erwartet. "Wo bleibt die christliche Nächstenliebe?", hat das "Profil" gefragt
Sr. Beatrix: Es ist praktisch, die Kirche pauschal anzugreifen und zu sagen: Die hätten doch den Auftrag! Aber man muss schon betonen, dass wir nicht erst in letzter Zeit, sondern immer im Flüchtlingsbereich engagiert sind: Wir haben schon in der Ungarn- und Jugoslawienkrise viele Flüchtlinge aufgenommen. Unser Schulzentrum in der Friesgasse in Wien-Fünfhaus besuchen etwa viele Kinder, die in dieser Zeit gekommen sind (Sr. Beatrix war bis 2010 Direktorin der dortigen AHS und ist heute im Vorstand des Schulerhalters; Anm.). Andererseits wird ständig weiter nach Unterbringungsmöglichkeiten gesucht. Im Generalsekretariat der Bischofskonferenz wurde eine Koordinierungsgruppe eingerichtet, in der Verantwortliche der Diözesen, der Männer- und Frauenorden und der Caritas vertreten sind. Und in den einzelnen Diözesen gibt es Koordinatoren, die aktiv nach Quartieren suchen. Es gibt auch eine ganze Liste von Ordensgemeinschaften, die Flüchtlinge aufnehmen. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass man das gar nicht wahrnehmen will.
DIE FURCHE: Viele denken einfach an monumentale, halbleer stehende Klöster ...
Sr. Beatrix: Mit "monumental" liefern Sie das Stichwort: Sie werden etwa keine "monumentalen" Frauenorden finden. Wir arbeiten überwiegend in kleinen Einheiten in Pfarren, in der Sozialarbeit, in der Flüchtlingsarbeit oder beim Kampf gegen Menschen- und Frauenhandel, denken Sie nur an den Verein "Solwodi", wo Ordensfrauen eine Schutzwohnung für Frauen betreiben:
DIE FURCHE: Und die Männerorden? Die Benediktiner von Melk haben zwar mittlerweile angekündigt, den Meierhof für zwölf Asylwerber öffnen zu wollen, aber viele würden sich noch mehr erwarten. Erschweren zu schöne Gebäude die Nächstenliebe?
Sr. Beatrix: Jein - denken Sie etwa an die Steyler Missionare von St. Gabriel in Mödling, die einen ganzen Trakt zur Verfügung gestellt haben, um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen. Aber auch bei Stift Melk muss man genauer hinschauen, denn dieses große Gebäude steht ja nicht leer. Da gibt es ein riesiges Gymnasium, Bildungseinrichtungen und Kulturgüter, die unter schwersten Auflagen des Denkmalschutzes renoviert worden sind und erhalten werden müssen. Und dann wirft man uns vor, dass wir in genau diesen Räumlichkeiten keine Flüchtlinge unterbringen. Das ist schon etwas heuchlerisch. Falls es leere Räume gibt, wird das die Koordinierungsgruppe jedenfalls prüfen. Andererseits gibt es eine Reihe von Angeboten, die aus diversen Gründen nicht angenommen werden. Aber in der Flüchtlingsfrage gibt es eben eine komplizierte Verquickung von Kompetenzen und Auflagen.
DIE FURCHE: Wiens Dompfarrer Toni Faber hat angekündigt, am 30. September für Flüchtlinge eine Führung auf den Stephansdom zu machen. Gefallen Ihnen solche Aktionen?
Sr. Beatrix: Jede Initiative ist willkommen, aber es geht auch um die Verhältnismäßigkeit zwischen Not und Angebot. Umso mehr freue ich mich, dass die Caritas letzte Woche in Zusammenarbeit mit dem Bezirksvorsteher von Wien-Fünfhaus ein ehemaliges Hostel als Quartier für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eröffnen konnte. Wir haben in der Friesgasse auch weitere Schulplätze für Flüchtlinge angeboten. Die Frage muss immer lauten: Was können wir noch tun? Denn wir tun immer zu wenig - und zwar wir alle.
DIE FURCHE: Neben der bloßen Wohnmöglichkeiten geht es auch um die Betreuung der Flüchtlinge: Wären die Ordensleute imstande, sie zu leisten?
Sr. Beatrix: In den meisten Fällen nicht - schon wegen der Altersstruktur. Von den 3800 Ordensfrauen in Österreich sind etwa über 2000 älter als 75 Jahre. Dazu kommt, dass die meisten Flüchtlinge traumatisiert sind und eine intensive psychologische Betreuung bräuchten. Das alles sind Folgeprobleme, denen wir uns stellen müssen.
DIE FURCHE: Bei der Suche nach Quartieren hat man sich mittlerweile immerhin auf ein Durchgriffsrecht des Bundes geeinigt. Begrüßen Sie das?
Sr. Beatrix: Ja, weil es nicht sein kann, dass die Hilfe an einzelnen Gemeinschaften und Bürgermeistern hängen bleibt - oder scheitert. Wir erleben einerseits eine große Hilfsbereitschaft, vor allem dann, wenn die Not einen konkreten Namen und ein Gesicht hat. Aber es gibt auch diffuse Ängste, die man ernst nehmen muss. Es muss also viele Vermittlungsversuche geben.
DIE FURCHE: Kommen wir zur Frage, wofür die Orden heute stehen. Viele Klöster werben mit Wellness-Angeboten à la "Qigong in Marienkron" oder "Kraft tanken in Reichersberg". Papst Franziskus hat hingegen gefordert, leer stehende Klöster nicht für Touristen, sondern für Bedürftige zu öffnen...
Sr. Beatrix: Es gibt natürlich diese einzelnen Wellness-Angebote, die sich gut für die Berichterstattung eignen. Aber es gibt auch die andere, soziale Seite: Es gibt "Solwodi", es gibt jene vielen Ordensfrauen, die sich täglich für Kinder und Frauen engagieren. Für diesen Dienst am Menschen machen wir aber keine Werbung Die Furche: Eigentlich sollte der Dienst am Menschen ja für alle Christen selbstverständlich sein. Dass dem punkto Flüchtlinge nicht so ist, hat Oliver Tanzer in der "Furche" (Nr .32) als Zeichen einer "christlichen Krise" interpretiert Sr. Beatrix: Ich nehme hier konzentrische Kreise wahr. Einerseits erlebe ich sehr viele engagierte Christinnen und Christen. Andererseits gibt es viele, die die Grundwerte des Christentums vertreten, sich aber nicht mehr mit der Kirche identifizieren. Und dann gibt es jene, die in keiner Weise nach den christlichen Wertvorstellungen leben, aber das Christentum praktisch finden, solange sich die "Caritas" um die Nächstenliebe kümmert. Wobei diese Caritas als Dienst am Menschen zwar eine Grunddimension des Christentums ist, aber daneben gibt es auch die Liturgie und die Verkündigung ...
DIE FURCHE: Bewegungen wie das Neokatechumenat stellen die Verkündigung ins Zentrum. Wieviel Missionierungseifer braucht es nebst aller Caritas, um ein guter Christ zu sein?
Sr. Beatrix: Missionierung ist für mich immer Missionierung des eigenen Herzens. Es geht nicht darum, andere zu bekehren oder gar zu bedrängen, sondern es geht darum, selbst ein Leben zu führen, wie es Jesus uns vorlebt, sodass die anderen nicht umhinkommen zu fragen: "Warum lebst Du so?"