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Staat und Kirche in Griechenland

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Zu den jüngsten Zusammenstößen zwischen Episkopat und Regierung in Athen kann erläuternd bemerkt werden: Es handelt sich in Griechenland um den einzigen Fall einer „freien” Orthodoxie überhaupt, um den einzigen Staat in der ganzen Welt, der eine überwiegend orthodoxe Bevölkerung hat und nicht unter kommunistischer Herrschaft steht. Um so mehr könnte die Auseinandersetzung der Bischöfe mit König Konstantin überraschen — wenn man nicht wüßte, daß die Kirche in Griechenland viel stärker vom Staat abhängig ist als in irgendeinem anderen Land.

Die Verfassung von 1844 erklärte „die morgenländische orthodoxe Kirche Christi” zur „herrschenden” Religion; alle anderen anerkannten Religionen werden nur toleriert. Jedoch unterstehen die Diener sämtlicher Religionen, also auch der orthodoxen, der Aufsicht des Staates. In „innerkirchlichen” Angelegenheiten, wie Lehre der Dogmen, Gestalt und Ausführung des Kultes, Examinierung und Weihe der Geistlichen, Weihe von Kultgerät und Gotteshaus u. ä., ist die Kirche unabhängig.

In „gemischten” Materien, zum Beispiel den äußeren Dingen des Kultes, Prozessionen usw., in der Aufteilung des Gebiets der kirchlichen Behörden, in der Begrenzung mönchischer Anstalten, in der Bewirtschaftung und Finanzgebarung usw., kann die Heilige Synode nichts ohne Zustimmung weltlicher Behörden beschließen.

Die Stellung König Konstantins als Oberhaupt der griechischen Christen geht freilich nur auf Umwegen zurück auf jenen Kaiser Konstantin, der das bis dahin verfolgte Christentum zur römischen Staatsreligion machte und damit unter anderem auch eine veränderte Einstellung frühchristlicher Theologie zur Frage „Kirche und Staat” bewirkte. Dazwischen liegt nicht nur ein Jahrtausend Byzanz und ein halbes Jahrtausend Türkenherrschaft, in der die griechische Orthodoxie erstmals ein nichtchristliches Staatsoberhaupt bekam; zugleich aber erhielt der Ökumenische Patriarch in Konstantinopel ein Jurisdiktionsgebiet von einer Ausdehnung, die weit größer war als jemals in byzantinischer Zeit, und er wurde zu einem der verläßlichsten Untertanen des Sultans. Dazwischen liegt auch der griechische Freiheitskampf von 1821 bis 1830, die Berufung der Wittesbacher und der aus Bayern stammende Ministerpräsident Maurer, der 1833 die Autokephalie der Kirche Griechenlands proklamieren ließ, das heißt ihre Unabhängigkeit vom ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel. Zum Vorbild ihrer Verfassung (zum Beispiel Wahl der Bischöfe auch durch Laien, ein Laie als Kommissar des Staates — und praktisch einflußreichste Persönlichkeit — bei der Heiligen Synode, der Bischofsversammlung als höchster kirchlicher Instanz) nahm Maurer die russische orthodoxe Kirche. Diese hatte ihre Synodalverfassung samt Oberprokurator unter Peter dem Großen 1721 erhalten, der wieder die lutherischen Landeskirchen, besonders die preußische evangelische Synode, zum Muster seiner Kirchenreform genommen hatte.

Die spezifische Situation der heutigen Kirche Griechenlands, ihr Verhältnis zum Staat, haben ihre Wurzeln also im Westen.

(Tborvi Eckhardt in actio cattolica Nr. 1/ 1968)

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