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Ständiger Kreislauf oder nicht?

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Die Religionen Asiens kennen verschiedene Wege zum Heil, dem Christentum näher sind die Vorstellungen von Gericht, Himmel und Hölle im Islam.

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Die Religionen Asiens kennen verschiedene Wege zum Heil, dem Christentum näher sind die Vorstellungen von Gericht, Himmel und Hölle im Islam.

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Das Verständnis von Sterben und Ewigkeit hängt eng zusammen mit der Auffassung vom Leben und der Zeitlichkeit, die eine Kultur prägt. Der angedeutete Zusammenhang tritt besonders deutlich in hinduistischen Vorstellungen von Tod und Ewigkeit hervor.

Beim Hinduismus muß man sich zuerst in Erinnerung rufen, daß er eine Vielheit von religiösen Strömungen darstellt, die sich im Laufe einer mehr als 3000 Jahre zurückreichenden Geschichte herausgebildet hat. Eine Möglichkeit, diese Vielfalt zu gliedern, besteht in der Unterscheidung von den drei Heilswegen: des Weges der Werke, der Erkenntnis und der Liebe. Diesen Wegen entspricht jeweils eine spezifische Vorstellung vom Weiterleben nach dem Tode, wie der Religionswissenschaftler Thomas J. Hopkins zutreffend herausgestellt hat.

Mit dem Weg der Werke (karma marga), dem ältesten Heilsweg, sind vor allem Opferwerke aufgrund der Befolgung von Bitualgesetzen verbunden. Im Zusammenhang damit steht das vedisch-brahmanische Ritual der Verbrennung, die es dem Toten ermöglicht, zur Welt der Väter zurückzukehren, die man sich als paradiesisch vorstellte; dieses Ritual, bei dem die physische Natur aufgelöst wird, dient dazu, die Schaffung eines neuen Leibes für die jenseitige Welt zu bewirken; eine zentrale Rolle kommt dabei in dieser patriarchalisch bestimmten Gesellschaftsordnung einem der Söhne des Verstorbenen zu - denn dessen rituelles Tun verhindert, daß die Seele des Toten heimatlos umherirren muß. Auch von daher ist der massive Wunsch der Geburt eines Sohnes im heutigen Indien zu erklären.

In der Zeit von etwa 800 bis 500 v. Chr. führte ein religiöser Umbruch zu jenen Heilsvorstellungen, die vor allem in den Upanishaden niedergelegt sind. Die Erlösung erwartete man ab dieser Zeit nicht in erster Linie von der strikten Befolgung der Ritualgesetze, sondern vom wesenhaften Erkennen des Unvergänglichen: das zentrale Anliegen dieser existenziellen Sucher war es, jene Wirklichkeit zu entdecken, die vom Tod nicht berührt wird, durch die vielmehr der Tod überwunden werden kann. Angesichts der un-, leugbaren Veränderlichkeit und Vergänglichkeit und der Erfahrung des Kreislaufes (samsara) aller Dinge und Lebewesen trat die Frage nach dem Ewigen, nach dem Ausweg aus dem Kreislauf von Geburt und Tod massiv hervor.

Nach den Weisheitslehren der Upanishaden kann dieses Unvergängliche auf dem Weg der Erkenntnis (jnana marga) erlangt werden: durch die Einsicht in die grundlegende Identität des universalen Wesens (brahman) mit dem Selbst (atman); dieses ist das ewig Bleibende, im Unterschied zum Sterblichen des Menschen. Mit beeindruckenden Bildern und Ausdrücken wird das wahre und ewige Leben, das Übersteigen des Todes, das schon im irdischen Leben — durch meditative Praktiken - erfahren werden kann, beschrieben: es ist reine Freude und Glückseligkeit, Einheit, der höchste Ruheort, Wahrheit, innere Freiheit und Frieden. Im Weg der Hingabe beziehungsweise Liebe (bhakti-mar-ga) wird die Glückseligkeit - im Unterschied zur eher apersonalen Einheitserfahrung der Upanishaden - in der Vereinigung mit der persönlich aufgefaßten Gottheit erlebt; sie ist es, die von der Wiedergeburt befreit.

Buddha: Nichts Ewiges

Das Anliegen, den Kreislauf der Wiedergeburten endgültig zu durchbrechen, kennzeichnet auch den Buddhismus, die andere große Religion indischen Ursprungs. Eine der Grundinspirationen des Gründers dieser Religion war die Einsicht in die Leidhaftigkeit und Vergänglichkeit aller Dinge; auch im Menschen konnte Buddha nichts Ewiges und Bleibendes, kein unsterbliches Selbst sehen; gerade dasjenige, was nach den großen Weisheitslehren des Hinduismus die Unsterblichkeit des Menschen garantiert, das gibt es nach seiner Lehre nicht.

Vielmehr sind alle Wesen ohne atman: die Anatman-Auffassung ist eine der grundlegendsten Überzeugungen des Buddhismus, die in allen seinen Richtungen anzutreffen ist; im Mahayana ist sie als die Auffassung von der Leerheit der Dinge formuliert, die auch in der religionsgeschichtlich spät entstandenen Richtung des „Reinen-Land”-Buddhis-mus nicht völlig eliminiert ist, obwohl dieser als Endzustand die Geburt in einem Paradies erwartet.

Nach allgemein-buddhistischer Auffassung erwächst die Überwindung des Todes aus der Begegnung mit der Leerheit und in gewissem Sinn dem „Nichts”, doch zugleich ist es Erfahrung des Nirwana; dieses ist die höchste „Bealität” und die Sphäre des Unsterblichen. Daß es letztlich ein schlechthin „Positives” ist und keinesfalls einer „nihilistischen” Sicht entspringt, besagen die dafür in der ältesten Literatur zahlreich verwendeten Begriffe, deren gemeinsames Merkmal - neben den Umschreibungen des Friedens und des Freiseins - das Todlose ist: es ist dauerhaft, unwandelbar, unzerstörbar, ohne Ende, ungeschaffen, ungeboren, alterslos, nicht-sterbend.

Diese Wirklichkeit ist in tiefer, zur Erleuchtung führender Meditation erfahrbar; für den Erleuchteten gibt es keine Notwendigkeit der Wiedergeburt. Den Weg der Befreiung sowie die Wichtigkeit der sorgsamen Begleitung im Sterben und des Verstorbenen lehrt in anschaulicher Weise das „Tibetische Totenbuch” („Bardo Thödol”, wörtlich: „Befreiung durch Hören im Zwischenzustand”).

Im Islam wie überhaupt in den monotheistischen Religionen sind die Vorstellungen über das Leben nach dem Tod wesentlich durch die in den heiligen Schriften niedergelegten Offenbarungen vermittelt. Sie sind zentral von Gott und seinen Werken her bestimmt: die Erwartung des Jüngsten Gerichtes ist ein grundlegender Glaubensartikel des Islam, Gott ist der Richter über die Taten des Menschen.

Das Paradies und die Hölle, die endzeitliche Katastrophe und der „Tag der Auferstehung” gehören zum Grundbestand der Aussagen des Korans. Doch wurden die Vorstellungen darüber sehr bildhaft ausgeschmückt (zum Beispiel die Bücher, in denen die Taten des Menschen aufgeschrieben sind; die Himmelswaage, und sogar auch die Freuden des Paradieses, wie die Flüsse des Gartens Gottes oder die Paradiesesjungfrauen). Noch detaillierter schildern die jenseitigen Ereignisse die Hadithe (Worte der mündlichen Überlieferung) Mohammeds, die im „Totenbuch des Islam” enthalten sind. Die symbolische Deutung vermag jedoch in diesen Bildern die elementaren Grundaussagen des islamischen Glaubens herauszustellen

Angesichts der Tatsache, daß heute Aussagen über den Zustand nach dem Tod weithin verblaßt sind, wird von vielen Menschen die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der religiösen Überlieferungen gestellt. Es scheint, daß in dieser Situation insbesondere die Weisheit der Mystiker Orientierung zu geben vermag: sie lehren (wie im Islam die Sufis) das „Sterben vor dem Sterben”, und leiten dazu an, schon in diesem Leben die Ewigkeit zu verspüren. Dies ist wohl ein Weg, auf dem gerade in einer säkularisierten Welt die Wahrheit des Ewigen Lebens in existenzi-eller Weise geglaubt und erfahren werden kann.

Literafvrh'mweise: üeath and afierlife: perspectives in world religions, ed by H. Obayashi, New York 1992; Befreiung zum Sein. Auswahl aus den Upanishaden, aus-gew. von B. Bäumer, München 1994; E. Conze, Buddhistisches Denken, Frankfurt/M. 1988; Das Tibetische Buch der Toten, hrsg. von E. K Dargay, Bern 1988; Imam Abd ar-Rahim ibn Ahmad al-Qadi, Das Totenbuch des Islam, Bindlach 1991.

Der Autor ist

Professor für Religionswissenschaft an der Universität Wien

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