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Statischer oder dynamischer Ökumenismus?

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KATHOLISCHE UND LUTHERISCHE IRENIKER. Von Manfred P. Fleischer. Unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts. Veröffentlichungen der „Gesellschaft für Geistesgeschichte“, Band 4. Musterschmidt-Verlag, Göttingen, 298 Seiten, engl, broschiert DM 39.80.

Der Ökumenismus ist heute en vogue. Das eröffnet neue Möglichkeiten, bringt aber auch Gefahren mit sich. Die einen hängen Wunschbildern nach, die andern sind von Besorgnissen erfüllt. Man hat da und dort Angst, der Ökumenismus könnte Gewohntes und Überkommenes zerstören.

Ist es darum nicht vielleicht hilfreich, zu versuchen, die ökumenische Bewegung historisch zu verstehen? Wo liegen ihre Wurzeln? Worauf richtet sich ihre Hoffnung? Datiert sie seit 1910? Die Weltmissionskonferenz in Edinburgh im Jahre 1910 pflegte man ja als Beginn der ökumenischen Bewegung zu bezeichnen. Hat das ökumenische Zeitalter erst begonnen, als Johannes XXIII. im Rahmen der Gebetsoktav für die Einheit der Christen am 25. Jänner 1959 erstmals ein ökumenisches Konzil ankündigte? Das sind genau zehn Jahre her. Oder liegen vielleicht die Einheitsbestrebungen viel länger zurück? Hier wäre wohl ein Kapitel Geschichte aufzuarbeiten. Es ist das Verdienst Manfred P. Fleischers, gebürtiger Schlesier, heute im akademischen Leben der USA tätig, ein Stück dieser Arbeit in Angriff genommen zu haben. In der Reihe der Veröffentlichungen der „Gesellschaft für Geistesgeschichte“, herausgegeben von Prof. Doktor H. J. Schoeps, ist eine Erlanger Dissertation erschienen: Katholische und lutherische Ireniker. Unter besonderer Berücksichtigung des 19. Jahrhunderts.

Es ist zunächst überraschend, zu sehen, wie zugleich mit Beginn der Reformation auch die Annäherungsversuche und Wiedervereinigungsbestrebungen von beiden Seiten einsetzen. Neben Kampf und Polemik läuft von Anfang an die Irenik mit, die Versuche, einander zu verstehen und einander wiederzufinden. Es ist gut, sich einmal klarzumachen, daß zu Beginn die Fronten durchaus nicht festlagen, noch verschanzt und abgesichert waren. Die Dispute, die Gespräche, die Friedensverhandlungen reißen gar nicht ab, sondern zeigen, daß immer noch alles in Bewegung war. Tatsächlich ist hier eine sehr lange Reihe von Namen zu nennen. Manfred P. Fleischer tut das in anschaulicher Weise, indem er eine gründliche lebens- und ideengeschichtliche Beschreibung der Einheitssucher auf beiden Seiten vorlegt. Diese Linie geht von den Vermittlem der Reformationszeit, Erasmus, Witzel Melanchton und Bucer über Morone, Eck, Cochläus u. a. zu den späteren Friedensstimmen vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg. Dann kommt Georg Calixt, die Helmstedter Theologen und weiter die Annäherungsversuche der Aufklärung. Den breitesten Raum nimmt das zu Ende gehende 19. Jahrhundert ein, seine Popularphilo-sophie, seine politisch-nationalen Pläne, Wiedergeburt des Konfessio-naldsmus, Konvertiten und dann besonders die Erfurter Konferenz, ein geschlossener eifriger Kreis von Katholiken und Protestanten. Schließlich die „Ut omnes unum“-Bewegung und die Zusammenarbeit in Redaktionen und Salons in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts: „Paimblätter“, „Korrespondenzblatt“, Gebetsvereinigungen, Meßstiftungen usw. Allerdings merkt man dem Verfasser je länger je mehr an, wie stark er auf dem äußersten rechten Flügel der lutherischen Kirche engagiert ist. Eigentlich weiß er sich sogar nirgends mehr zu Hause. Sondern er läßt keinen Zweifel, daß seine Sympathien in der Mitte zwischen katholisch und evangelisch liegen. Dabei dürfte doch übersehen sein, daß die ökumenische Bewegung, wie sie sich heute darbietet, ganz andere entscheidende Anstöße erfahren hat: Z. B. die moderne Theologie, d. h. die historisch-kritische Exegese und das grundsätzliche historische Verständnis der christlichen Überlieferung überhaupt. Weiter die Herausforderung der modernen Welt als ein von außen kommender Anstoß. Und schließlich die Verantwortung des christlichen Auftrags für den Menschen von heute, die Mission. Kommen hier nicht eigentlich die bewegenden Impulse und die heutige Dringlichkeit der ökumenischen Bewegung zur Sprache? Damit aber ist dieses Buch, so leidenschaftlich es auch geschrieben ist, so verdienstlich jede Arbeit an den historischen Problemen ist, und sosehr es den Eindruck erwecken will, zeitgemäß zu sein, im Grunde schon bei seinem Erscheinen ein unzeitgemäßes und bereits überholtes Buch. Mehr noch, es könnte sogar hier und da ein Hemmnis für die Sache der Ökumene bedeuten, weil es nämlich den Anschein erweckt, als böte sich in der „Mittelpartei“ der eigentliche Gesprächspartner zwischen Rom und den Kirchen der Reformation dar. In der Tat liegen aber nicht hier, sondern anderswo die ökumenischen Hoffnungen von heute. Indem um Verständnis für die katholische Lehre geworben wird, wird übersehen, daß sich innerhalb des Katholizismus selbst heute ein Wandel vollzieht und vieles in Bewegung geraten ist. An dem innerkatholischen Wandel aber geht man hier vorbei. Etwa an der im II. Vatikanum formulierten Erkenntnis, daß es eine Hierarchie der Dogmen gibt, oder daß zu unterscheiden ist zwischen einem historischen Gewand der Lehre und der Sache selbst, die dahinter steht. Vor allem aber übersieht man die Abwendung von einem statischen und die Hinwendung zu einem dynamischen ökumendsmus, die sich heute vollzieht. Die Weltkdrchenkonferenz zu Uppsala im Sommer vorigen Jahres bedeutete sicher hier einen Schritt vorwärts, wenn nicht sogar einen Schritt über das Konzil hinaus. Roberto Tucci SJ., Rom, Chefredakteur von „La civdlta cattolica“, offizieller Redner in Uppsala, hat einem solchen dynamischen Ökumenismusverständnis Ausdruck gegeben, wenn er formuliert hat, daß nunmehr „ein gewisser Immobilismus im Verständnis des ökumendsmus überwunden“ sei: „Auch für uns römische Katholiken kann die Einheit aller Christen in der einen Kirche Christi nicht der Sieg einer Kirche über die andere, sondern nur der Sieg Christi über unsere Spaltungen und unsere Bekehrung zu . Christus sein. Einheit wird nur dann, wenn wir alle den Weisungen des Heiligen Geistes folgen, der der Geist der Einheit dst und uns Wege führen kann, die heute noch nicht abzusehen sind, wie uns die Erfahrung der letzten Jahre lehrt.“

Wird es damit nicht deutlich: Wiedervereinigung kann nicht ein „Treffen in der Mitte“ bedeuten und darf nicht „Rückkehr“ heißen zu irgendeinem Punkt der vergangenen Geschichte, weder nach Rom, noch nach Genf, noch nach Wittenberg.

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