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Stichwort „Linkskatholizismus“

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Unser politisches Leben ist verseucht von schwammigen Wortbildungen, die wie Spaltpilze wirken und zum Denken in infantilen Alternativen verführen. Am deutlichsten wird dies in der Konstruktion von Ismen, die im Bereich des Kommunismus, aber auch in der politischen Publizistik Amerikas besonders reichlich blühen. Kaum daß irgendeiner eine — vielleicht notwendige — Tat mit einiger Fernwirkung setzt, wird seinem Namen ein Ismus angehängt und das Erfordernis des Augenblicks in ein angeblich ewiges Prinzip umgefälscht. Bei dieser Taktik ist es nioht leicht, auf die Fruchtbarkeit der Pluralität in unserer Gesellschaft zu hoffen. Was fehlt, ist die Klarheit der Prinzipien. Gewiß wird man um diese Klarheit immer ringen müssen. Aber man dient ihr nicht, wenn man hinter der fensterlosen Mauer eines eigenen Ismus, die die außen stehen zur eigenen Rechtfertigung in lächerlicher Weise karikiert.

Am ärgsten empfinde ich es, wenn man die Haltung gläubiger Katholiken in den Käfig eines Ismus zu sperren versucht. Man degradiert sich dann selbst zu einem Ismus und führt zu jenem verfehlten Alternativdenken, das weit mehr auf Formen und Gegensätze der Vergangenheit gerichtet ist als auf die Aufgaben der Zukunft und die wirkenden Kräfte der Gegenwart. Unter diesen allgemeinen Gesichtspunkten will ich versuchen, das Phänomen des „Linkskatholizismus“ — das natürlich nicht nur ein österreichisches Phänomen ist — zu überdenken, ohne selbst in „ismisches“ Denken zu verfallen, auch ohne Rücksicht darauf, daß es heute sehr modern ist, jedes Wort und jeden Gedanken als Derivat eines soziologisch bedingten Ismus zu entlarven. Die Maske, die man dem Gegner vom Gesicht reißt, hat man ihm zumeist vorher selbst aufgestülpt.

Die Ebene, auf der der „Linkskatholizismus“ argumentiert,. ist sicherlich nicht die der Glaubenswahrheiten. Darüber soll kein Zweifel herrschen. Sein Anliegen ist die Stellung der Kirche zu sozialen Doktrinen oder Konzepten der Gegenwart, insbesondere zu Sozialismus, Marxismus, Kommunismus, ist weiter die Anpassung der äußeren Formen des hierarchischen Aufbaues der Kirche an die neuen soziologischen Voraussetzungen der Zukunft, als welche der Sozialismus, vielleicht der Kommunismus, angesehen wird, ist schließlich die Zurückweisung der Prinzipien der „christlichen Soziallehre“, hinter die sich die kirchlichen Autoritäten — wenn auch keineswegs in der oft behaupteten Starrheit — gestellt haben. Das Anliegen ist also ein kirchen- und sozialpolitisches im Angesicht jener geschichtlichen Wende, die auch im Konzil Ausdruck findet. Der Gegenstand ist also viel zu umfangreich, als daß er in wenigen Zeilen behandelt werden könnte. Es soll nur auf einiges hingewiesen werden.

Ganz allgemein sei zunächst festgestellt, daß alle Politik, auch die Kirchenpolitik, notwendig zwei Elemente in sich tragen muß, soll sie fruchtbar sein: das Element der Erhaltung und das des Wandels — des „Fortschrittes“ meinetwegen. Denn alle Geschichte ist Kontinuität und Wandel. Wandel aber um der Erhaltung willen, nicht um der Vernichtung willen. Das wäre revolutionäre Überheblichkeit. Der „Linkskatholizismus“ müßte hier seine Stellungnahme dahingehend überprüfen, ob er nicht in den Bereich des „ganz Neuen“, in den Bereich einer „veränderten Wirklichkeit“, also der Utopie vorstößt, indem er sich denen anschließt, welche eine neue Wirklichkeit konstruieren wollen, die notwendig in einer Vergewaltigung des Menschentums erstarren muß. Er müßte seine Stellungnahme zum Element der Erhaltung prüfen, und dies wohl nicht allein gegenüber der Kirche, sondern auch gegenüber dem Gesamtgebiet unserer geschichtlich gewachsenen, aber erkrankten Kultur. Dies nur als allgemeiner Hinweis.

Die entscheidende methodische Ausgangsthese des „Linkskatholizismus“ ist die Möglichkeit einer Trennung von Weltanschauung und sozialem Konzept des Kommunismus mit dem Hinweis darauf, daß es doch das Anliegen des Kommunismus sei, das Arbeitsleben in der industriellen Gesellschaft zu humanisieren. Ein fürwahr echtes Anliegen. Es erhebt sich dabei aber die Frage nach dem „Humanuni“, das erstrebt wird. Diese Frage ist aber unaufhaltsam weltanschaulicher Natur. Überdies kann man es auch der „christlichen Soziallehre“ schwerlich absprechen, daß sie einer Humanisierung des Wirtschaftslebens zustrebt. Man wird den Tatsachen einfach nicht gerecht, wenn man alles, was nicht „sozialistisch“ im engeren Sinn ist, einfach unter die Kategorie eines ausbeuterischen Kapitalismus einordnet. Dazu hat übrigens auch der „religiöse Sozialist“ Eduard Heimann einiges zu sagen.' Was aber die Gegenwart betrifft, ist dieses Trennungsdenken ein praktisch gefährliches Wunschdenken. Der Kommunismus schöpft seine weltweite politische Dynamik aus seinem schlechthin antitheistischen Glauben an die Macht einer letztlich unaufhaltsamen Entwicklung, die man wahrhaftig nicht im Geiste einer allgemeinen Brüderlichkeit voranzutreiben sucht. Mit dem Trennungsdenken wird man im Hinblick auf die Entscheidungen der Gegenwart nicht nur in christlichen Menschen Verwirrungen stiften, man wird auch die Kommunisten nicht zu einem neuen Verständnis des Christentums führen. Sie werden vielmehr gerade in solchem Zugeständnis eine Verifizierung ihrer eigenen Theorien sehen. Denn viel klarer kann man das Verhältnis von „Unterbau“ und „Uberbau“ der marxistischen Doktrin gemäß kaum darstellen.

Trotzdem kann das Trennungsdenken theoretisch fruchtbar sein, das heißt zum Wesentlichen hinführen, wenn es konsequent festgehalten wird. Man wird deshalb auch anderen politischen und sozialen Konzepten die Trennung von Weltanschauung und sozialer Ordnung zugestehen müssen: dem Faschismus, dem Nationalsozialismus, dem Kapitalismus, obgleich die beiden ersteren zu kurzlebig waren, um sich „liberalisieren“ zu können, während der letztere sich schon weitgehend sozialisiert hat. Was die Beurteilung der praktischen Handlungen angeht, dürfte man dabei natürlich nicht nach dem Prinzip: „Quod licet Jovi non licet bovi“ vorgehen. Vielleicht würde dann auch das Bemühen der christlichen Soziallehre Anerkennung finden, das Bemühen, eine Welt nicht zu konstruieren, sondern ihre seinsgerechten Grundsätze zu erkennen und zur Entfaltung zu bringen.

Was freilich bestehen bleibt, ist auch hier die Frage des „Dialoges“. Das durch seine Institutionen wirkende absolut Negative, als welches wir den aktuellen Kommunismus bezeichnen können, ist praktisch nicht so absolut negativ, als er wollte, ebenso wie sicherlich das absolut Positive in seiner konkreten institutionellen Gestalt nicht so absolut positiv ist, als es sollte.

So könnte es doch einmal klar werden, daß „die Wirklichkeit“ trotz marxistischer Dialektik doch nicht „zu verändern“ ist, sondern in ihrer Tiefe immer Aufgabe, nie Erfüllung ist. Aber der Ansatzpunkt des Dialoges muß richtig gewählt sein. Er kann keinesfalls dort liegen, wo man unter den gleichen Worten — Brüderlichkeit, Gleichheit, Freiheit, Demokratie usw. — aus innerer Notwendigkeit der Idee gänzlich verschiedene Dinge versteht.

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