Stichwort Solidarität

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Evangelische Sozialethik und ökumenische Gemeinsamkeit in sozialen Fragen.

Am 1. Jänner dieses Jahres hat mein elftes Jahr als Bischof der lutherischen Kirche in Österreich (A.B.) und mein erstes Jahr als Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich begonnen. Beide Funktionen erlebe ich als große Herausforderung und Bereicherung, in beiden Funktionen bin ich ein überzeugter und begeisterter evangelischer wie auch ökumenischer Christ. Ich bin dankbar, in einer Zeit zu leben, wo dies kein Gegensatz mehr ist, sondern das eine das andere jeweils voraussetzt. Und ich bin dankbar, dass die Kirchen ökumenische Zusammenarbeit nicht als Selbstzweck, sondern sich als Dialog und Weggemeinschaft mit der Gesellschaft verstehen.

Als Geschenk und Herausforderung erscheint mir auch die Zeit, in der wir leben. Der Fall des Eisernen Vorhangs und die Entstehung der Europäischen Union ermöglichen eine Gestaltung unseres Lebensraumes und unserer Gesellschaft, wie sie meiner Meinung nach nur wenigen Generationen gegeben war.

In eigenartigem Kontrast dazu nehme ich große Unsicherheit und tiefe Skepsis der Zukunft gegenüber wahr: Die Überalterung Europas mit ihren Folgen inmitten einer explodierenden Überbevölkerung weltweit. Der Kampf um die Ressourcen inmitten eines Wohlstandes, der nur in ständigem Wachstum seine Verheißungen erfüllen kann. Die Globalisierung beschleunigt dies alles und verschärft tagtäglich die Gegensätze zwischen den Gewinnern und den Verlierern dieser Entwicklung .

Wie Orientierung entsteht

Was trägt auf diesem unsicheren Boden, was motiviert zum Denken und Handeln? Wie entsteht hier eine ethische Orientierung und eine Überzeugung im Gewissen? Es sind die Geschichten und Zeugnisse der Bibel, die mich zum Wagnis des Glaubens ermutigen.

* Ein solches Zeugnis ist das Bekenntnis, dass Gott uns Menschen zu seinem Ebenbild erschaffen hat: Für mich meint das die Fähigkeit zur Sprache und den aufrechten Gang. Die Sprache als Brücke vom Ich zum Du und als Voraussetzung für Ver-Antwortung. Der aufrechte Gang als Möglichkeit für einen Blick der Neugier und des Mitgefühls, für einen weiten Horizont.

* Ein weiterer Grund ist das Kreuz Jesu Christi; die Bereitschaft zur Hingabe und zum "Draufzahlen" aus der Überzeugung, dass es einen Sinn und eine Zukunft gibt jenseits meiner vorläufigen und vergänglichen Existenz.

* Ein drittes ist der Ruf des Apostels Paulus "Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen". (Gal 5,1)

In meiner Amtszeit als Bischof hat es eine Reihe von Stellungnahmen der Evangelischen Kirchen in Österreich gegeben, die etwas vom Wesen evangelischer Sozialethik deutlich machen: 1996 gab es eine Stellungnahme. zum Thema Sterbehilfe, 1997 eine Standortbestimmung und Herausforderung zum Thema Diakonie, 1998 die Erklärung Zeit zur Umkehr. Die Evangelischen Kirchen und die Juden, 2001 eine Denkschrift zu Fragen der Biomedizin Verantwortung für das Leben und 2002 eine zu Evangelische Kirchen und Demokratie in Österreich.

Dialog mit der Welt

Die Bezeichnungen der einzelnen Dokumente zeigen, dass hier nicht eine Soziallehre entwickelt wird, die von den Gemeinden rezipiert und umgesetzt werden müsste, sondern die ethische Urteilsbindung geschieht im Dialog zwischen Kirche und Welt.

Die Begründung dafür ist die reformatorische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Luther wollte die Kirche herauslösen aus ihrer Verkettung mit staatlicher Macht, damit sie frei wird für die Bezeugung und Verwirklichung des Evangeliums. Das entbindet den einzelnen Christen aber nicht von seiner Weltverantwortung. So heißt es in der Denkschrift Evangelische Kirchen und Demokratie in Österreich: " ... dass der christliche Glaube von seinem Ursprung her und in seinem innersten Kern einen unaufgebbaren politischen Auftrag hat, und dass die Kirche zur Sekte wird, wo sie die Weltverantwortung aus Glauben preisgibt."

Ein weiteres Kennzeichen evangelischer Sozialethik liegt in der reformatorischen Lehre vom allgemeinen Priestertum. Die Entscheidungsgremien unserer Kirchen auf den Ebenen der Gemeinde, der Diözese, sowie der Gesamtkirche sind zu gleichen Teilen aus ordinierten und nicht ordinierten Männern und Frauen zusammengesetzt.

Ein Phänomen, das heute alle Kirchen und Religionsgemeinschaften in gleicher Weise betrifft, sind die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Problemfelder. So heißt es in der Denkschrift Verantwortung für das Leben: "In der ... pluralistisch strukturierten Gesellschaft kommt es keiner Gruppe oder Institution zu, Wertfragen autoritativ zu entscheiden. Umso notwendiger ist es, Diskussionsprozesse über die strittigen Fragen von Anthropologie und Ethik zu initiieren und zu befördern."

Einen besonderen Auftrag und Verantwortung haben die Kirchen für die Versöhnung unter den Menschen und Völkern. Die Kirchen der Leuenberger Gemeinschaft in Österreich (die Evangelischen Kirchen A.B. und H.B., die Evangelisch Methodistische Kirche), haben 2002 einen Beitrag zur Verständigung zwischen Tschechien und Österreich verabschiedet.

Der Ökumenische Rat der Kirchen hat ebenfalls verschiedene Stellungnahmen abgegeben, die zeigen, wie die sozialethischen Fragen die Kirchen gemeinsam herausfordern. Unter anderem im Jahr 2000 eine Erklärung zum Menschenwürdigen Sterben, ein Wort zur Fremdenfeindlichkeit und ein Blatt mit Fragen zur politischen Verantwortung.

2001 hat der Vorstand des ÖRKÖ eine Erklärung mit dem Titel Integration von Fremden und im April 2005 eine Stellungnahme zur Österreichischen Imame-Konferenz abgegeben. Vor dem Österreichischen Verfassungskonvent haben die staatlich anerkannten Kirchen 2003 eine gemeinsame Stellungnahme zu den Staatszielen und Grundrechten vorgetragen.

(Ökumenische) Solidarität

Ein herausragendes Beispiel für ethische Orientierung im Hören auf das Zeugnis der Bibel und im Ernstnehmen der Bedingungen der Gesellschaft ist das Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen.

Die Analysen und Vorschläge der Kirchen sind gedeckt von der eigenen Erfahrung, besonders deutlich bei den Themen Minderheiten, Migration und Integration. Die Kirchen praktizieren ihre Empfehlungen, hier denke ich an die Forderung nach Menschenwürde und Menschenrechten, insbesondere am Beginn und am Ende des Lebens und ans Stichwort Solidarität. Insgesamt sind die Kirchen hier eine aufmerksame, lernbereite und lernfähige Gemeinschaft.

Aus Anlass der EU-Präsidentschaft Österreichs hat der ÖRKÖ eine Botschaft herausgebracht, die das sozialethische Anliegen der Kirchen: "Sie (sc. Die Kirchen) sehen in der EU ein einmaliges Friedensprojekt. Sie wollen zur Gestaltung dieses Lebensraumes in Frieden und Freiheit mit allen ihren Kräften und Möglichkeiten beitragen. Sie fordern, dass sich die EU nicht abschottet, sondern faire Zugangsregelungen für Asylwerber und Migranten schafft. Das Bemühen, die religiöse, geistige und kulturelle Vielfalt Europas zu pflegen, für den Schutz der Schwachen und der Würde aller Menschen einzutreten und einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Schöpfung zu fördern, erachten die christlichen Kirchen als einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der Erweiterung und zur geistlichen Vertiefung der EU."

Der Autor ist Bischof der Evangel. Kirche A.B. & Vorsitzender des Ökumen. Rates der Kirchen in Österr.

Zitierte Dokumente des ÖRKO sind im Web zu finden unter www.kirchen.at, der Evangelischen Kirche A.B. unter www.evang1.at/erklaerungen.0.html

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