6710249-1964_17_08.jpg
Digital In Arbeit

Stimme eines orthodoxen Juden

Werbung
Werbung
Werbung

Wir bringen im folgenden die Stimme eines Rabbiners, der versucht, die Einstellung des orthodoxen Judentums zu anderen Völkern und Religionen darzustellen. Im Sinne der religiösen und nationalen Verständigungsbereitschaft soll kein Versuch des besseren gegenseitigen Verstehens unterbleiben.

Die Redaktion

In der neuesten Zeit sind Stimmen laut geworden, die besagen, daß die Juden in Österreich keinen Willen, keinen Mut und noch mehr keine feste, sichere religiöse und moralische Richtlinie besitzen, um eine konkrete Stellungnahme zu den wichtigen und brennenden Problemen unserer Zeit zu äußern. In der Zeitschrift „Die Furche“ (Nr. 5/1964) wurde von Herrn Helmut Berti in seinem Artikel „Wiens Judenschaft 1964“ eine Äußerung des Herrn Universitätsprofessor Dr. Kurt Schubert veröffentlicht, welche wie folgt lautet: „Es gibt in Österreich keinen Juden, der bereit ist, vor einem größeren Forum eindeutig und klar seinen Standpunkt zu vertreten.“

Ich will nicht der Äußerung des hochgeschätzten Prof. Schubert eine Zweideutigkeit unterschieben, nämlich, daß er hier auf das Schwanken und auf die Unstabilität des gesamten österreichischen Judentums bezüglich seines religiösen und moralischen Charakters hindeuten will. Ich bin mir gewiß, daß er uns nur wegen der Mutlosigkeit und des fehlenden Willens bezichtigt; dennoch muß diese Meinung des Herrn Professors, noch mehr aber die oben erwähnte oberflächlich verkündete These, mit der Feststellung berichtigt werden, daß es in Wahrheit in Österreich eine ganze Gruppe von Juden gibt, die eine feste Richtlinie bezüglich ihres religiösen und moralischen Charakters besitzt und daß diese Gruppe ihren Standpunkt so In internen jWfj| auch in externen ö'elegefjneitel^'ö'fien und utjeralj ' rh.it Mut, ohne Schwanken, klar und eindeutig zu äußern vermag und das zu tun immer bereit ist.

Wenn die Stimme dieser Gruppe nicht oder doch nur selten gehört wird, liegt die Ursache dafür nicht in der Unfähigkeit derselben, sondern in dem übertönenden Geschrei der Gegenpartei, die die Stimme der Wahrheit, welche auf ihre Verfehlungen hinweisen würde, nicht hören will und dadurch mit allen Mitteln diese Gruppe — die die einzig authentische ist, den wahren jüdischen Standpunkt zu äußern—zu verdrängen und auszuschalten versucht.

Die obengenannte Gruppe, die wir als einzig authentische für die jüdischen Angelegenheiten bezeichnen, ist das orthodoxe Judentum. Dieses besitzt eine feste Richtlinie und damit die Fähigkeit, zu jedem Problem die richtige Stellungnahme zu finden. Denn im Wesen des orthodoxen Judentums ist schon seins richtige Stellungnahme zu jedem Problem implikativ enthalten. Und so, wenn man den Begriff des orthodoxen Judentums klar definiert und interpretiert, werden von sich selbst der richtige Weg, welchen man gehen muß, und die richtige Stellungnahme in jeder Situation offenkundig sein.

Die richtige Definition ist folgende: „Als orthodoxer Jude kann der bezeichnet werden, der sich zur Tradition des Judentums — die der Stützpunkt des Daseins desselben so in ihrer Eigentümlichkeit wie auch in ihrer Verbundenheit mit der Menschheit ist — bekennt.

So wird einer als orthodoxer Jude bezeichnet, der die reale wie auch

Gottesdienst in der Wiener Synagoge die ideale Existenz des Judentums bejaht und sich dazu positiv stellt. Aber nur der ist ein wirklich orthodoxer Jude, der traditionsgemäß neben dem Bewahren der Eigentümlichkeit des eigenen Volkstums auch seine Zugehörigkeit zur gesamten MenscJiheit Otis ein Teil derselben Und'die sich daraus ergie-r bertde Pflicht gegenüber der Menschheit nicht außer acht läßt.

So lehrt uns unsere Tradition, unser Land mit unserem ganzen Herzen zu lieben und es mit Aufopferung zu verteidigen, aber auch so den Frieden zu fördern und mit den anderen Völkern in harmonischer Einheit zusammenzuleben.

Sie lehrt uns weiter, unsere überlieferte Religion, die die Grundlage unserer Kultur und damit das Wesen des Judentums ist, mit Treue und Hingebung zu befolgen, aber auch die Religionen und Kulturen anderer Völker zu ehren und zu schätzen.

Das alles, was wir da gezeigt haben, gehört zum Begriff des orthodoxen Judentums. Und eben weil es diese Vorzüge — die Kraft, sein Volkstum zu bewahren, wie auch das Bewußtsein seiner Pflicht der Menschheit gegenüber — besitzt, ist es fähig, mit der menschlichen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, ohne daß seine Selbständigkeit in Gefahr geraten soll.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung