Stimmen nach der EU-Wahl

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Bruno Aigner Die Europawahlen waren Testwahlen für nationale Wahlgänge und, besonders in Deutschland und England, Denkzettelwahlen. Ich erinnere nur an den Blair-Schröder-Vorschlag aus der letzten Woche, in dem auch ein Hauch von Neoliberalismus bei Sozialdemokraten feststellbar ist. Diese Ansätze sind genau zu analysieren. Hier könnte die Grundlage für weitere Wahlverluste gelegt werden, wenn man sich zu weit vom sozialen Herz der Sozialdemokratie wegbewegt. Daß die SPÖ nun auch bei Europawahlen die Nummer Eins geworden ist, hat sie dem Einsatz von Bundeskanzler Klima und dem Thema Neutralität zu verdanken. Die SPÖ hat diese Karte ausgespielt, und ich bin überzeugt, daß die Neutralität, auch bei der Nationalratswahl im Herbst eine große Rolle spielen wird.

Für viele Wähler in Österreich ist offensichtlich Europa noch zu weit entfernt. Vor allem zweifelt man an der Kompetenz und Wirksamkeit des Europäischen Parlaments. Der Protest zeigt sich in ganz Europa an der steigenden Zahl der Nichtwähler. Ein Problem ist die Kluft zwischen den Nettozahlern im Norden und den südlichen Ländern, die von der EU finanziell profitieren, und wo die EU auch auf breitere Akzeptanz stößt. Interessant wird sein, wie homogen sich die neue konservative Mehrheit im Europäischen Parlament präsentieren wird, wenn man sieht, wie gespalten sie in ihrer Einstellung gegenüber Europa sind. Hier gibt es nicht die Homogenität, die es trotz aller Differenzen in der Europäischen Sozialdemokratie gibt.

Bruno Aigner ist Mitarbeiter von Nationalrats-präsident Heinz Fischer.

Heinrich Neisser So wie der Wahlkampf geführt wurde, konnte man nicht erwarten, daß die Bedeutung des Europäischen Parlaments in den Vordergrund gestellt wird. Ich halte das Ganze für keinen guten Dienst an der Europäischen Idee, denn die Wahlkämpfe waren überall von innenpolitischen Themen geprägt. Ich glaube allerdings, daß die Neutralitätsfrage in Österreich nicht jene Rolle gespielt hat, die man sich erwartete, sonst würde das Ergebnis der SPÖ noch viel deutlicher ausschauen.Realistischerweise muß man sagen, daß die Europawahlen auf die österreichische Innenpolitik kaum Auswirkung haben. Das Ergebnis ist für die ÖVP gut, weil es nicht zu einer Rüctimmung führt, und man das Ergebnis als Motivationsfaktor für den Herbst verwenden kann. Auch muß man sich vor Augen halten, daß die Europapolitik ja nur zu einem kleinen Teil im EU-Parlament gemacht wird. Die Hauptverantwortlichen sitzen in den Regierungen. Es wird innerhalb der EU ein bißchen spannender werden, weil jetzt eine sozialdemokratisch geprägte Regierungsebene einem konservativen Parlament gegenübersteht, aber an den Inhalten wird sich wenig ändern. Was ich nicht als normal ansehe, ist die Wahlbeteiligung. Es ist sicherlich zuwenig, wenn man sich nur im Wahlkampf darauf besinnt, für Europa Reklame zu machen. Da fehlt die permanente Öffentlichkeitsarbeit. Man kann nicht ein stärkeres EU-Parlament fordern, wenn die Legitimationsfunktion gar nicht besonders ernst genommen wird.

Heinrich Neisser ist Zweiter Nationalratspräsident.

Ewald Stadler Das herausragendste Ergebnis ist, daß die EU von der überwiegenden Mehrheit der Österreicher abgelehnt wird. Das kommt durch die Abstimmung mit den Füßen zum Ausdruck, daß nämlich mehr als die Hälfte gar nicht zur Wahl gegangen ist. Und, daß die EU-kritischste Partei FPÖ von mehr als einem Fünftel gewählt wurde. Viele Protestwähler konnte die FPÖ deswegen nicht zur Wahl bringen, weil die Leute derartig abgestoßen und enttäuscht von der EU sind, daß sie sich nicht einmal an den Wahlen beteiligen. Es ist keine Identifikation der Bürger mit der Union vorhanden. Keine Identifikation mit einem Parlament, das aus Sicht der Nichtwähler als Organisation, die niemand braucht, bewertet wird. Und das hat dieses Parlament ja in der Vergangenheit gezeigt, daß es nicht wirklich durchschlagskräftig ist. Der andere Teil ist, daß die EU ein Theater ohne Publikum geworden ist. Das ist wie das Burgtheater unter Peymann. Der EU fehlen die Bürger. Quer durch ganz Europa ist feststellbar, daß das eine abgehobene anonyme Institution ist, die jede Tuchfühlung zum Bürger verloren hat. Während bei der Nationalratswahl der Politiker für den Wähler faßbar ist, weiß bei der EU-Wahl ja niemand, wer dort in Brüssel das Sagen hat. Es ist so anonym, daß die Leute damit nichts anfangen können. Und viele Wähler merken jetzt, daß durch ihre Nichtteilnahme Rot und Schwarz einen fragwürdigen Sieg feiern. Einen Sieg im Rahmen einer Minderheitenfeststellung. Das wird der FPÖ helfen, das Wählerpotential im Herbst zu mobilisieren. Aber im Europaparlament wird sich gar nichts verändern, denn das ist ein derartig schwerfälliger Apparat.

Ewald Stadler ist FPÖ-Landesrat in Freda Meissner-Blau Wenn ich den Erfolg der Grünen jemanden zuschreibe, dann Voggenhuber. Aber ich weiß, daß die ganze Partei gut gearbeitet hat, um eine wirklich inhaltliche Argumentation zur Beibehaltung der Neutralität zu liefern. Das ist sehr seriös gewesen und hat auch den entsprechenden Erfolg gezeitigt. Ich hab das Abschneiden der Grünen in Europa nicht so gut erwartet, doch es ist jetzt einfach herrlich, und ich bin rundum zufrieden. Zumal ja bedacht werden muß, daß die Grünen ein recht buntes Völkchen sind und von vornherein keine einheitliche Gruppe. Wichtig ist, daß das so oft beschworene Europa der Bürger nicht existiert. Die katastrophal schlechte Wahlbeteiligung zeigt ja, daß die Leute sich nicht angesprochen fühlen, oder meinen, auf dieser Ebene kann man nichts beeinflussen. Das ist sehr erschreckend, auch wenn es von manchen als allgemeiner Trend beschönigt wird. Viel wird sich mit dem Wahlergebnis aber wohl nicht ändern. Die beiden großen Fraktionen im Parlament sind gezwungen, zusammenzuarbeiten. Auch wenn die Christlichsozialen einen sehr respektablen Sieg feiern konnten. Ich hoffe sehr, daß die Grünen die Überlebensanliegen etwas mehr nach vorne rücken können, wenn sie geschickt sind und Allianzen bilden können.Für Österreich ist zu sagen: Es war die vorweggenommene Nationalratswahl. Das schlechte Abschneiden der FPÖ - das ich nicht mit Unbehagen sehe - interpretiere ich als den Unwillen von FPÖ-Anhängern eine Frau zu wählen. Denn die Frau Raschhofer hat sich wacker geschlagen. Und die deutliche Absage hängt wohl mit ihrem Frausein zusammen.

Freda Meissner-Blau ist Publizistin in Wien und war von 1986-88 Klubobfrau der Grünen im Nationalrat.

Christian Brünner Es war bei dieser Wahl die Polarisierung, zwischen Neutralität und Nato-Mitgliedschaft das entscheidende Thema Da hatte ein dritter Weg, wie ihn das Liberale Forum gegangen ist - mit der Betonung einer eigenständigen Sicherheitspolitik - keine Chance gehört zu werden. Auch haben wir unsere Identität mit einer Wahlwerbungsform aufgegeben, die Stammwähler vergraulen mußte. Was eine "positive Opposition" ist, das habe nicht einmal ich verstanden! Es hat keinen Sinn schön gefärbt zu reden. Für das Liberale Forum ist mit Blick auf die Nationalratswahlen im Herbst eine schwierige Situation. Es geht ja auch um die Motivation der Mitarbeiter, die kämpfen bis zum Umfallen, und sich dann fragen, was sie falsch gemacht haben. Wir können nicht mehr als ein gutes Programm präsentieren. . Die geringe Wahlbeteiligung ist natürlich ein Zeichen, daß viele Österreicher mit der EU überhaupt nichts anfangen können. Das ist ein Punkt, wo man sich fern von der tagespolitischen Auseinandersetzung überlegen muß, wie man diese Kluft zwischen Bürgern und Union schließen kann. Für die konkrete Europapolitik wird die neue Zusammensetzung des Parlaments wenig Veränderung bringen. Ich glaube und hoffe aber, daß sich das Parlament mehr aus dem Schatten der Kommission und des Ministerrates emanzipiert. Daß das Parlament noch selbstbewußter wird, noch mehr Politik mitgestaltet, noch mehr Kontrolle ausübt. Und sich noch in dieser Legislaturperiode die Aufgabe stellt, eine Verfassung für Europa auszuarbeiten.

Christian Brünner ist Jus-Professor und Klubobmann der Liberalen im steirischen Landtag Reinhard Kloucek Man muß klar sagen, daß die CSA ihr Wahlziel nicht erreicht hat, trotzdem war es sicher richtig, anzutreten. Wir haben extrem kurze Zeit für einen richtigen Wahlkampf gehabt. Dafür konnten wir ein respektables Ergebnis erreichen. Die Argumentation der ÖVP, daß wir das bürgerliche Lager spalten, hat sich als vollkommen falsch herausgestellt. Wenn, dann haben wir höchstens den Freiheitlichen geschadet. Aber offensichtlich ist es nicht gelungen, mit unseren Anschauungen überall dort durchzudringen, wo wir es versuchten.

Es ist schwer ein Wahlergebnis zu beurteilen, wenn weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gehen. Das ist ein ziemlich deutliches Signal, daß überhaupt kein Interesse an dieser Wahl bestanden hat, und es sollten sich die Parteien überlegen, wie man den Menschen klarmachen kann, worum es im Europäischen Parlament geht. Vorsichtig wäre ich, aus diesem Wahlergebnis einen Trend für die Nationalratswahl herauszulesen, denn da wird ganz anders gespielt. Begeisternd zu sehen ist, wie in Deutschland die CSU ein grandioses Ergebnis einfahren konnte. Da kann man nur gratulieren. Das heißt, daß man mit einer griffig konservativen Politik, die durchaus christlich wertorientiert ist, etwas erreichen kann. Die Politik in Europa wird sich aber nicht ändern, auch wenn jetzt die Konservativen die stärkste Fraktion stellen. Die tatsächliche Macht liegt bei Rat und Kommission, die weiterhin vom linken Lager dominiert werden.Was besser wird, ist die Kontrolle durch das Europäische Parlament.

Reinhard Kloucek ist CSA-Funktionär und Pressesprecher der Paneuropa-Bewegung.

Wahlen in Zahlen Europa (in Prozent): Christdemokraten 35 (+3), Sozialdemokraten 29 (-5), Liberale 8 (+1), Grüne 6 (+2), Sonstige 22 (-1).

Österreich (in Prozent): SPÖ 31,74 (+2,59), ÖVP 30,64 (+0,99), FPÖ 23,48 (-4,05), Grüne 9,25 (+2,44), LIF 2,64 (-1,62), CSA 1,53 (neu), KPÖ 0,73 (+0,26). Mandate: SPÖ 7, ÖVP 7, FPÖ 5, Grüne 2 Zum Vergleich vorherige Umfragen: Fessel: SPÖ 32, ÖVP 30, FPÖ 26, Grüne 6, LIF <4 --- Spectra: SPÖ 32, ÖVP 28, FPÖ 28, Grüne 8, LIF 4 --- market: SPÖ 28, ÖVP 26, FPÖ 32, Grüne 9, LIF 4.

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