Strafrecht der Scharia ist aufgebbar

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Smail Bali´c ist einer der prominentesten Muslime Österreichs. Der heute 80-Jährige kämpft seit Jahren für einen Islam mit "europäischem Antlitz".

die furche: Was bedeutet die Scharia heute?

Smail Bali´c: Die Scharia ist der Gesamtkorpus der islamischen Lebensregeln. Nur zu 20 Prozent ist sie aus dem Koran abgeleitet, das heißt, 80 Prozent der Scharia sind eine Konstruktion der Gelehrten späterer Generationen. Dementsprechend ist die Scharia ein Gebiet, in dem man sehr viele Reformen durchführen müsste. Außerdem findet man selbst im Koran Gesetze, die im Grunde genommen altarabische Gesetze und keine Einführung des Islam sind. In diesem Sinn muss man auch die Hermeneutik, die Auslegung des Koran in Zukunft vornehmen: Vor allem in Europa kann man nicht erwarten, dass hier die Scharia eingeführt wird - kein vernünftiger Muslim will das. Auch in der Türkei ist die Scharia außer Kraft gesetzt: Wenn ein islamischer Staat dies tut, warum geht das nicht auch bei uns?

die furche: Es gibt aber islamische Staaten - Afghanistan, Iran, Sudan, Teile Nigerias ... - die die Scharia wieder eingeführt haben.

Bali´c: Die Schwierigkeiten mit dem Islam bestehen in der Verschiedenheit der kulturellen Entwicklungen. Es gibt eine große Kluft, die islamische Welt hat die Aufklärung nicht mitgemacht: Diesbezüglich liegt sie zurück, sodass das Verstehen manchmal völlig unmöglich ist. Die Kreise, die in den genannten Staaten hervortreten, sind Islamisten, sie wollen die Weltentwicklung zum Stillstand bringen und die Zeit ins Mittelalter zurückdrehen.

die furche: Wie wichtig ist die Scharia für einen österreichischen Muslim?

Bali´c: Sie bedeutet insofern etwas, als sie auch die rituell-religiösen Gesetze enthält - Gebete und so weiter. Dieser Teil der Scharia gehört zu ihrem legitimen und unaufgebbaren Teil. Aber: Man hat im islamischen Recht auch immer wieder den Standpunkt vertreten, dass - in gewissen Situationen - die Scharia aufgebbar ist. Das betrifft vor allem den strafrechtlichen Teil: Bestrafung, wie sie die Scharia vorsieht - das ist aufgebbar. Nur Idioten versteifen sich darauf, dass dies in Europa oder einem anderen Teil der westlichen Welt eingeführt wird.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Islam für Europa. Neue Perspektiven einer alten Religion. Von Smail Bali´c. Böhlau Verlag, Köln 2001. 280 Seiten, kt. öS 364,-/e 26,45

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