Streit um den Fleischmarkt

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Heinz Gstrein über Griechen, Aromunen und Rumänen in Wien - und einen Kirchenstreit um die griechisch-orthodoxe Kathedrale.

Seit der Wende und damit Rückbindung vieler orthodoxer Kirchen an ihre nun nicht mehr atheistischen, sondern wieder umso nationalistischeren Staaten hat ein Kampf für die Wiedergewinnung von Gotteshäusern und anderen Liegenschaften begonnen, die an die antikommunistische Emigration verloren gegangen waren. Diese Auseinandersetzung wird mit allen Mitteln geführt, vor Gerichten und mit regelrechten Besetzungsaktionen.

Den Anfang machte das Moskauer Patriarchat in Palästina, wo ihm Palästinenserpräsident Jassir Arafat in seinen ab 1993 von Israel zugestandenen Selbstverwaltungsgebieten Einrichtungen der russischen "Auslandskirche" überantwortete. Diese hat inzwischen ihren Frieden mit dem alten Kirchenzentrum in der Heimat gemacht. Nicht so jene Russen, die sich nach Beginn des sowjetischen Kirchenkampfes unter das "Omophorion", das heißt unter den Schutz des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel begeben hatten. Aber auch die Griechen in Ungarn fordern ihre 1959 von der russisch-orthodoxen Kirche mit Hilfe der Sowjets geraubte griechische Kathedrale in Budapest zurück.

Nun droht der orthodoxe Kirchenstreit auf Wien überzugreifen, diesmal mit den Rumänen in der Attacke: Sie sprechen von ihren "verlorenen Kirchen" am Fleischmarkt und in der Griechengasse, gemeint die im 18. Jahrhundert erbaute Dreifaltigkeitskathedrale und die Georgskirche der dann 1963 errichteten Metropolis von Austria.

Neuestes rumänisches Instrument zur Geltendmachung dieser Ansprüche ist die eben in Wien erschienene Publikation "Kirche in Bewegung - Das religiöse Leben der Rumänen in Österreich". Nicolae Dura, Bischofsvikar der rumänisch-orthodoxen Kirche und stellvertretender Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, hat darin keine Mühe gescheut, interessante Details zusammenzutragen. So die langjährige Folterhaft von Orthodoxen aus Siebenbürgen auf der Feste Kufstein im 18. Jahrhundert. Oder früher noch um 1600 die Verdienste des Moldauer Fürstensohnes ¸Stefan ¸Schiopul um die Gründung des Innsbrucker Gymnasiums.

Griechen und Romanen

Für diese Archivforschungen hat der Autor das lobende Vorwort von Kardinal Schönborn auch verdient. Leider handelt es sich bei dem Buch aber mehrheitlich um eine kirchenpolitische Kampfschrift des Großrumänentums gegen das alte (Joseph II. und Franz Joseph I. ausgenommen) Österreich, gegen Ungarn und Unierte - obwohl gerade letztere zumindest in nationaler Hinsicht die größten Verdienste um das moderne rumänische Selbstverständnis als einheitliches Volk lateinischer Kontinuität erworben haben - und vor allem gegen alles Griechische.

Das Thema des Verlustes der "rumänischen" Kirchen Wiens zieht sich durch das ganze Buch und wird auch vom für Österreich zuständigen Metropoliten Serafim Joanta gleich in seinem Geleitwort angeschlagen. Was zeigt, dass es sich bei der ganzen Aktion nicht um einen übereifrigen Wiener Alleingang, sondern um höheres Kalkül handelt. In diesem Zusammenhang ist auch ein paralleler Griff von Bukarest nach den griechischen Kulturinstitutionen in Venedig zu sehen.

Allen vorgebrachten Ansprüchen auf die Kathedrale und die Schule der Metropolis von Austria am Fleischmarkt, ihre Georgskirche in der Griechengasse oder zumindest auf deren Mitbesitz liegen zwei Irrtümer zugrunde. Erstens dürfen zwischen dem 14. und der Mitte des 19. Jahrhunderts die Fürstentümer Moldau, Siebenbürgen und Walachei beileibe nicht mit dem Rumänentum im heutigen Sinn gleichgesetzt werden. Bis zur Vereinigung von Walachei und Moldau durch Fürst Cuza 1859 und darüber hinaus gab es in beiden Ländern ein recht unterschiedliches Selbstverständnis, hielten die Zugehörigkeit zum byzantinischen und kirchenslawischen Kulturkreis der Erinnerung an das romanische Erbe durchaus die Waage. Noch heute wollen sich viele Moldawier nicht als Rumänen vereinnahmt wissen. Könnte man darüber noch diskutieren, so ist das bei der Vermischung von Rumänen und Balkanromanen nicht zulässig. Diese Aromunen oder Vlachen waren es nämlich, von denen die jetzt als "rumänisch" beanspruchten Kirchen in Wien (und Budapest) zusammen mit den Griechen erbaut wurden. Die Aromunen standen in engster Kulturgemeinschaft mit dem Griechentum und gehörten kirchlich immer zu Konstantinopel.

Bis ins Montafon geweidet

Diese Balkanromanen sind Verwandte der alpinen Romanen, mit denen sie bis ins 19. Jahrhundert auch ein locker zusammenhängendes Gebiet von Graubünden bis ins Pindosgebirge verband: An Schweizer Rätoromanen, Südtiroler Ladiner und Friulaner schlossen sich die Istroromanen (Tschitschen), die inzwischen ausgestorbenen romanischen Dalmatiner und die Balkanromanen im heutigen Albanien, Griechenland und Skopje-Mazedonien an. Noch bis zum Ersten Weltkrieg wurden Schafe vom Balkan bis ins Vorarlberger Montafon getrieben, wo man sich an sie als "Türkenherden" erinnert.

Wie sich die Alpenromanen aus Sorge vor ihrem Aufgehen in einer Italianità der deutschen Kultur angeschlossen haben, so war dasselbe bei den Balkanromanen in Richtung Griechentum der Fall. Die Aromunen - und keinesfalls Rumänen - Sina, Dumba unter anderem als Hauptwohltäter der orthodoxen Kirchen von Wien und Budapest verstanden sich selbst als Griechen, haben diese ihre Identität auch mit anderen reichen Stiftungen unter Beweis gestellt: nicht nur an die Patriarchate von Konstantinopel bis Alexandria, sondern gerade in Athen als Hauptstadt des modernen griechischen Staates.

Von griechisch-aromunischen Kirchen in Wien und anderswo, die den Rumänen geraubt wurden, kann also wirklich keine Rede sein. Viel mehr wären orthodoxe Geschwisterlichkeit und auch Dankbarkeit gegenüber einem Wien am Platz, das wenigstens in der Spätzeit der Donaumonarchie die orthodoxe Hierarchie in Siebenbürgen wiedererrichtet und der gesamten Orthodoxie an der Universität von Czernowitz eine theologische Hochburg geschenkt hat!

Der Autor ist langjähriger Publizist/Korrespondent zu Nahost und Südosteuropa. Heute lehrt er u.a. in Wien im interdisziplinären Universitätslehrgang Balkanstudien.

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