Strenger Premierminister in den Fußstapfen Gandhis

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Bei seinem Besuch in der FURCHE-Redaktion trägt der tibetische Freiheitskämpfer Tenzin Tsundue auf seinem Rucksack einen Anstecker mit der Aufschrift: „A member of the Dalai Clique“. Eine ironische Selbstanzeige, denn Peking wirft dem Dalai Lama und „seiner Clique“ vor, hinter dem nach außen friedfertigen Schein ein umstürzlerisches und zur Gewalt aufrufendes Sein zu verbergen.

Mit Clique ist vor allem die im indischen Dharamsala ansässige tibetische Exilregierung gemeint. Im März vor 50 Jahren ist der damals 24-jährige Dalai Lama mit mehr als 100.000 Landsleuten über die Grenze nach Indien geflohen. Im selben Jahr wurde dort die tibetische Exilregierung gegründet. Sie erhebt den Anspruch, die rechtmäßige Regierung Tibets und der Tibeter zu sein. Wobei sie ihre Hoheitsrechte auf die Ausmaße des historischen Tibets angewendet wissen will. 1965 errichtete nämlich Peking die „Autonome Region Tibet“, deren Fläche wesentlich kleiner ist als die des alten Tibet. Nur das Ü-Tsang (Xizang) genannte Zentraltibet wurde zur autonomen Region erklärt. Die zwei tibetischen Provinzen Amdo und Kham hat Peking angrenzenden chinesischen Provinzen zugeschlagen.

Die Exilregierung unterhält Schulen, ein Gesundheitswesen, organisiert kulturelle Veranstaltungen und das wirtschaftliche Wachstum der tibetischen Exilgemeinschaft Indiens. Durch die Erlaubnis der indischen Regierung hat die tibetische Exilregierung auch eine eigene Rechtsprechung für die Tibeter in Nordindien.

1960 wurde ein Exil-Parlament (Versammlung der tibetischen Volksvertreter) gegründet und die tibetische Exilregierung wurde in den folgenden Jahrzehnten demokratisiert. Seit 1990 ernennt nicht mehr der Dalai Lama die Minister, sondern diese werden vom Parlament gewählt. 2001 durften die Exil-Tibeter stellvertretend für alle Angehörigen des Volkes erstmals in geheimer und direkter Wahl einen eigenen Regierungschef wählen. Seitdem ist Samdhong Rinpoche, ein hochgelehrter Lama, der tibetische Regierungschef. Der „Kalön Tripa“ steht einer Regierung aus acht Ministern vor, die vom Exilparlament aus 46 Mitgliedern gewählt werden.

Während die Tibeter ihr Staatsoberhaupt den Dalai Lama lieben, achten und fürchten sie Samdhong Rinpoche. Der Premier ist für seine mitunter harsche Kritik an den Landsleuten bekannt. Unerbittlich geißelt er sie für ihren zu laschen oder luxuriösen Lebenswandel oder stellt Exil-Tibeter an den Pranger, die in der Fremde ihren Kindern nicht Tibetisch beibringen.

Rinpoche ist um vier Jahre jünger als der Dalai Lama. Mit fünf Jahren wurde er als Reinkarnation des 4. Samdhong Rinpoche erkannt. Neben seiner politischen Laufbahn war er als religiöser Lehrer tätig und leitete bis zu seiner Premierswahl die Universität für Höhere Tibetische Studien in Varanasi. Bekannt und berühmt ist Professor Samdhong Rinpoche aber für seine Schrift „Satyagraha“ („Beharren auf der Wahrheit“). Sie beschreibt einen präzisen Plan für eine gewaltlose Bewegung in Form einer spirituellen Übung, um Tibet die Freiheit zurückzugewinnen.

Rinpoche hat das Konzept des „Satyagraha“ von Mahatma Gandhi übernommen und für die spezielle Situation Tibets modifiziert. In einem Zeitungsinterview mit dem Schweizer Tages-Anzeiger gab sich Rinpoche unlängst überzeugt, dass der Weg Gandhis auch für Tibet zum Erfolg führt: „Er funktioniert, aber nur wenn ihn die große Mehrheit der Tibeter geht. In unseren Herzen ist noch zu viel Wut. Die andere Seite wendet Gewalt an. Sie provoziert uns. Unser Ärger ist unsere Schwäche.“ (wm)

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