Suchen, was eint, lassen, was trennt

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Über Sant'Egidio-Gründer Andrea Riccardis Buch "Der Präventivfriede".

Nach dem Untergang des Kommunismus und dem Ende des Kalten Krieges ist die Welt nicht friedlicher geworden, wie viele es erhofft hatten. Im Gegenteil, in den 90er Jahren lebten Nationalismen wieder auf, und nach wie vor gibt es unzählige Kriege. Im Zuge der Globalisierung setzt die Welt auf Wirtschaft und lässt große Probleme wie Krieg und Armut beiseite. Die Menschen haben vielfach allzu rasch Zugriff auf Gewalt und Terrorismus genommen. Hochaktuell ist dazu das Buch Der Präventivfriede - Hoffnungen und Gedanken in einer unruhigen Welt.

Der Autor, Andrea Riccardi, hat 2003 ein Buch über 25 Jahre Pontifikat Johannes Pauls II. geschrieben, der Titel lautete "Governo Carismatico", in dem er den Weg dieses enorm politisch denkenden Papstes zwischen Kommunismus und säkularisiertem Westen schildert. Riccardi ist Mitbegründer der Gemeinschaft Sant'Egidio, die ursprünglich den Armen in den römischen Vorstädten half. Die christlich-humanitäre Arbeit von Sant'Egidio hat sich dann auf die Gebiete Entwicklungshilfe und Friedensstiftung ausgeweitet.

Kein Kulturkämpfer

Um auf die Frage Krieg und Frieden zurückzukommen: Riccardi weist darauf hin, dass sich seit dem 11. September 2001 jeder - zumindest jeder Mensch im Westen - zerbrechlicher fühlt, denn er kann jederzeit zur Zielscheibe werden; aber es sei nicht leicht, den Terrorismus mit dem Krieg zu besiegen, meldet Riccardi Vorbehalte gegen den von Samuel Huntington beschriebenen "Kampf der Kulturen" an und meint, ein Christ kann den zunehmenden Hass und die Konfrontation in der Welt nicht teilen. Er lehnt die Logik dieses "Kampfes der Kulturen" ab, die den Krieg von neuem als natürliches Instrument in den Beziehungen zwischen Völkern und Kulturen ansieht. Riccardi befindet sich da auf dem Boden des II. Vatikanischen Konzils, das an den tagtäglichen Dialog glaubt, und er bietet ein im Evangelium fußendes Kontrastprogramm an.

Im vorliegenden Buch wird der Kultur der Angst - Angst vor Gewalt, vor allem Fremden, ein Gefühl der Unsicherheit und Entfremdung - die "Kultur des Dialogs" entgegengesetzt. Denn"der kulturelle Übergang vom Imperialismus zur Interesselosigkeit, der sich in der öffentlichen Meinung Europas allgemein vollzogen zu haben scheint, zwingt uns zu einer Gewissensprüfung". Riccardi bezieht dies auf die Länder des Südens, insbesonders auf das von einer Katastrophe zur anderen schlitternde Afrika. Hier geht es um den Anschluss an die globalisierte Wirtschaft und den friedlichen Übergang zur Demokratie. Und hier sollte sich Europa mehr engagieren, Interesse und Sympathie zeigen, d.h. jener isolationistischen Tendenz entgegenwirken, die der europäischen Kultur fremd ist. Das wäre auch ein Beitrag zum Frieden in der Welt und würde die Sicherheit der Europäer erhöhen. Die von Riccardi geforderte verstärkte Großzügigkeit gegenüber den Armen dieser Welt liegt ganz in der Linie der christlichen Soziallehre, wie sie in den Enzykliken Centesimus Annus, Dives in misericordia und Sollicitudo Rei Socialis von Johannes Paul II propagiert worden ist.

Kultur mit neuem Profil

Im Zeitalter der Globalisierung kann die Kultur des Dialogs auch gerechtfertigt werden: Globalisierung bedeutet ja, dass die Probleme eines Teils der Welt sich auf den anderen entladen. Sie bedeutet, dass man an die eigene Sicherheit oder das eigene Wohlergehen nicht unabhängig von den anderen Menschen und von den anderen Regionen der Welt denken kann.

Zum Thema Solidarität ohne Grenzen und Kultur mit neuem Profil schreibt Riccardi: "Verantwortung und Freundschaft in verschiedenen Formen, ohne den Anspruch, den anderen zu vereinnahmen, scheinen mir nötig in diesem besonderen Moment, der nicht vor allem eine politische oder wirtschaftliche Notlage ist, sondern eine Krise der Kultur und der Identität, eine Zeit der Angst vor Krieg und Terrorismus." Diese Aufgabe könne nur Europa erfüllen.

Die Friedensfrage, das Hauptthema des Buches, ist verbunden mit dem Dialog als Instrument, Frieden zu schaffen, aber auch mit dem Dialog unter den Religionen. Man denke nur an das Gebet für den Frieden, zu dem Johannes Paul II. am 27. Oktober 1986 Religionsführer aus aller Welt nach Assisi eingeladen hat. Das war damals wie ein Versöhnungsakt, und man kann ruhig sagen, dieser Geist von Assisi ist die Verwirklichung der Konzilserklärung Nostra Aetate über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den Weltreligionen gewesen. Nach 9/11hat der Papst im Jänner 2002 noch einmal die Religionsführer der Welt nach Assisi geführt, um zu zeigen, dass Gott und Religion keineswegs als Rechfertigung für Gewalt - sei es in Form von Terrorismus oder Krieg - herangezogen werden dürfen. Die Gemeinschaft Sant'Egidio führt dies mit großen internationalen jährlichen Treffen fort, sie hat so etwas wie die Kunst des Dialogs entwickelt.

Das ist wichtig für die Schaffung des Präventivfriedens, denn Friede ist ja bekanntlich mehr als die Abwesenheit von Krieg. Der Rat von Johannes XXIII. an die Ökumene, das zu suchen, was eint, und das beiseite zu lassen, was trennt, ist eine Methode, die auch bei der Friedensstiftung angewendet werden kann.

Vorreiter Sant'Egidio

Ein gutes Beispiel dafür ist der Friedensschluss, den Sant'Egidio mit gehöriger Hartnäckigkeit 1994 zwischen den Bürgerkriegsparteien in Mosambik erreicht hat. Nach 16 Jahre blutigem Krieg konnten die Guerillas die international anerkannte Regierung weder militärisch noch politisch besiegen. Aber sie unterlagen auch nicht.

Die Methode dabei war, erst einmal Irrtümer zu beseitigen, z.B. den Irrtum, man könne nicht durch Verhandlungen zum Frieden gelangen. Voraussetzung war, dass der Vermittler, also Sant'Egidio, schwach war und keine eigennützigen Ziele verfolgte. Zurückhaltung und Respekt gegenüber den beteiligten Konfliktparteien waren auch notwendig, damit es zu vertraulichen Treffen kommen konnte, die schließlich zwei Jahre andauerten. Dabei mussten Synergien mit Staaten und Regierungen geschaffen werden, um eine eigene Mischung friedensstiftender Arbeit von Regierungs-und Nichtregierungsseite zu erreichen.

Andrea Riccardi stellt in seinem Buch eine spirituelle Meditation an, wobei ihm seine reichen Kenntnisse als Historiker helfen ganz konkret in unserer unruhigen Zeit zu bleiben. Er stellt die Frage nach dem legitimen Einsatz von Gewalt vor allem als Antwort auf Gewalt. Er fragt, ob der Gott der Völker nicht schließlich zum Gott der Nationen, die Krieg führen, wird. Das Buch ist das Bekenntnis eines Christen zur aktiven Nächstenliebe, wie sie in der Enzyklika Benedikts XVI. "Deus Caritas est" so klar formuliert worden ist.

Der Autor war bis 2005 österr. Botschafter beim Heiligen Stuhl.

Der Präventivfriede. Hoffnungen und Gedanken in einer unruhigen Welt

Von Andrea Riccardi. Echter Verlag, Würzburg 2005, 250 S., geb., e 15,30

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