Sündenbock Toleranz

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Der Mord an Theo van Gogh und seine Folgen geben nicht nur in den Niederlanden Anlass zu weit reichenden Überlegungen. Manche davon sind für ein Zusammenleben im zukünftigen Europa eher beunruhigend. Der Schriftsteller Leon de Winter etwa meinte, durch diese Ereignisse würde der "Abgrund" offenbar, der zwischen der jüdisch-christlichen und der islamischen Tradition liege.

Hierzulande hat sich die Presse am vergangenen Samstag besonders hervorgetan: Als Ursachen für den Mord und die Brandanschläge auf Moscheen, Kirchen und Schulen werden die niederländische Toleranz genannt, die "aus den Fugen" geraten sei, weiters die Tatsache, dass illegale Einwanderer "einfach geduldet" worden seien und letztlich die multikulturelle Gesellschaft insgesamt, die sich "ungezügelt entfalten" konnte. Auf diesem Hintergrund überrascht es nicht mehr, dass der Leitartikel - Rechtsstaat hin oder her - nach einem "prophylaktischen Eingreifen" der Sicherheitskräfte ruft.

Gott sei Dank sind die Kirchen vernünftiger. Der "Raad van Kerken in Nederland" (vergleichbar unserem ÖRKÖ) nimmt die Beunruhigung der Menschen ernst und hat eine Hotline eingerichtet. Dem Team, das am Telefon für die Menschen da ist, gehören Christen und Muslime an. Weiters ruft der Rat alle Kirchengemeinden und einzelnen Kirchenmitglieder auf, gerade jetzt den Kontakt zu muslimischen Gemeinschaften nicht etwa abzubrechen, sondern im Gegenteil noch zu verstärken und gemeinsam das Gespräch über die Situation zu suchen. Dadurch wird ein wichtiger Beitrag zu gegenseitigem Respekt und zur Überwindung von Gewalt in der Gesellschaft geleistet. Die niederländischen Kirchen im Wortlaut: "In diesen Tagen ist es von besonderer Bedeutung, dass wir einander eine ermutigende und gastfreie Hand reichen können."

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

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