Sympathie und Unverständnis

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Susanne Batzdorff, Nichte Edith Steins, hat aus Sicht der Familie ein Buch über die Tante verfasst.

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Susanne Batzdorff, Nichte Edith Steins, hat aus Sicht der Familie ein Buch über die Tante verfasst.

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Edith Stein, die in Auschwitz ermordete Karmelitin jüdischer Herkunft, machte es ihrer Familie nicht leicht. 1933 entschied sie sich, in den Karmel einzutreten. Aus der Sicht ihrer Angehörigen hätte dies zu keinem schlimmeren Zeitpunkt geschehen können: Bereits elf Jahre zuvor hatte Edith die gesamte Verwandtschaft mit ihrer Entscheidung erschüttert, katholisch zu werden. Nun aber war Hitler Reichskanzler. Viele Jüdinnen und Juden rückten in dieser Zeit zusammen, um gemeinsam Stärke und Trost zu finden. Für Edith war es hingegen die Zeit der Lösung der Bande zu ihrer jüdischen Familie.

Susanne M. Batzdorff hat ihre Erlebnisse mit Tante Edith und Anfragen aus der gesamten Familie an ihre prominente Angehörige zusammen getragen. So entsteht ein Sittenbild einer jüdischen Familie in Breslau in den Jahrzehnten um die Wende zum 20. Jahrhundert. Den Hintergrund der Schilderungen bietet die Autobiographie Steins "Aus dem Leben einer jüdischen Familie".

Mit allem Respekt vor Tante Edith will Batzdorff manche Begebenheiten der Familienchronik, die bislang nur aus der Sicht von Edith Stein überliefert sind, zurecht rücken. Die bisweilen harte Beschreibung und Offenheit, mit der Edith einzelne Familienmitglieder in ihrer Erinnerung konfrontiert, findet in den Augen mancher dort ihre Grenzen, wo es um die Darstellung der eigenen Person geht. Batzdorff versucht, zwischen den Zeilen zu lesen und das Bild, das Edith von sich selbst zeichnet, mit anderen Geschichten aus der Familientradition zu ergänzen. Für Edith etwa war die Verwurzelung in ihrer jüdischen Familie stets konstitutiver Teil ihrer Identität, doch hatte sie selbst nur wenig Kenntnis des Judentums. Es irritiert Batzdorff, dass Edith trotz ihrer Neigung, den Dingen auf den Grund zu gehen, niemals Interesse zeigte, diese Wissenslücke zu füllen.

Später nimmt die Familie Stein mit Skepsis und Misstrauen die Selig- und Heiligsprechung von Edith wahr. Schließlich war sie nicht die Einzige aus ihrer Familie, die durch den Rassenwahn des Nationalsozialismus den Tod fand. War das Leben der anderen weniger wert? Die Widersprüche werden nicht aufgelöst. Mit Sympathie versucht Batzdorff, das Besondere an ihrer Tante auszuloten, es bleiben aber Zweifel, es auf Erden je ergründen zu können: "Du hast Bücher hinterlassen über Heilige und Philosophen, Kollegnotizen, Briefe, aber keine Erklärungen über das Wie und Warum deines Lebens. ... Niemand ist übrig geblieben, um uns Überlebenden zu helfen, es zu ergründen."

Auch das Nachwort des Buches von Eugene Fisher ist zu erwähnen: Der Beauftragte der US-amerikanischen Bischofskonferenz für die christlich-jüdische Zusammenarbeit gibt darin eine einfühlsame Verstehenshilfe für die Heiligsprechung von Edith Stein auf dem Hintergrund katholischer Verlautbarungen, sowie von Ansprachen von Papst Johannes Paul II. Er vermeidet aber simple Apologetik, sondern nennt die berechtigten Einwände und Verstehensschwierigkeiten von Juden an der Kanonisierung beim Namen. Fisher macht so deutlich, dass das Andenken an Edith Stein nur in Achtung ihrer jüdischen Herkunft geschehen kann.

Edith Stein - Meine Tante. Das jüdische Erbe einer katholischen Heiligen.

Von Susanne M. Batzdorff. Echter Verlag, Würzburg 2000. 280 Seiten, geb., öS 285,-/e 20,71

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