Synodaler Weg: Das Schweigen der Bischöfe
Die Amtsträger der deutschen Kirche aktivierten mit der unangekündigten Ablehnung eines Reformtextes alte Machtstrukturen. Ein Eklat, der Aufbruchstimmung brachte.
Die Amtsträger der deutschen Kirche aktivierten mit der unangekündigten Ablehnung eines Reformtextes alte Machtstrukturen. Ein Eklat, der Aufbruchstimmung brachte.
Veränderung braucht einen Schock. Diese These des Münchener Soziologen Armin Nassehi ist zwar nicht auf die katholische Kirche gemünzt, aber sie trifft, was sich am vergangenen Donnerstag auf der vierten Plenarversammlung des Synodalen Wegs in Deutschland ereignete. Den Start in die gemeinsamen Beratungen hatte die Diskussion über einen Text gemacht, mit dem die Synodalen einen Paradigmenwechsel in der katholischen Sexualmoral einleiten wollten.
Masturbation als schwere Sünde? Kein Geschlechtsverkehr vor der Ehe? Weiterhin ein Verbot künstlicher Empfängnisverhütung, sprich: der Pille? Enthaltsamkeit als Lebensperspektive für homosexuelle Menschen? Das synodale Dokument sollte den Abschied von einem kirchlichen Verbots- und Verurteilungsregime vollziehen. Im Mittelpunkt der feingliedrigen Begründungslinie des Textes steht die Orientierung an einer Beziehungsethik, an der Selbstverantwortung aller Einzelnen. „Homosexualität ist gottgewollt“, brachte Helmut Dieser, der bischöfliche Vorsitzende des Synodalforums zum Thema Sexualität, auch einen eigenen Perspektivwechsel auf den Punkt – im Wissen darum, dass die weltkirchliche Lehrordnung damit herausgefordert wird.
Als nach eingehender Debatte das Abstimmungsergebnis verkündet wurde, fror lähmendes Entsetzen die Szene fest. Fassungslos mussten 82 Prozent der Synodalen, die dem Text zugestimmt hatten, die Sperrminorität der Bischöfe zur Kenntnis nehmen. Die Geschäftsordnung des Synodalen Wegs sieht eine Zweidrittelzustimmung der Oberhirten vor. Mit 61 Prozent wurde das episkopale Placet knapp, aber wirkungsvoll verfehlt. Was den synodalen Dokumenten bischöfliche Autorität verleihen sollte, brachte das ganze Reformprojekt an den Rand des Scheiterns.
Es folgten emotionale Stellungnahmen, spontaner Protest sowie Krisensitzungen der Bischöfe und der übrigen Synodalen in getrennten Räumen. In der folgenden gemeinsamen Aussprache stand vor allem ein Punkt im Fokus scharfer Kritik: das Schweigen der bischöflichen Verweigerer. Während der Debatte hatte sich zu keinem Zeitpunkt eine Ablehnung abgezeichnet. Kaum ein Bischof meldete sich zu Wort, um sein Nein zu signalisieren und zu begründen.
Von der konservativen Fraktion um die Bischöfe Hanke, Oster, Voderholzer und Woelki, die mit offenem Visier für das Festhalten an der kirchlichen Lehrform kämpft, war es zu erwarten. Aber aus dem Rückraum geheimer Stimmabgabe und mit der Macht eines episkopalen Privilegs kippten andere Bischöfe ein Dokument, das in erster Lesung auch mit den erforderlichen Stimmen der Deutschen Bischofskonferenz auf den Weg gebracht worden war. Am Prozess der Texterarbeitung mit Redaktionsschleifen, Hearings und Plenardebatten hatten sich die zeugnisstillen bischöflichen Verweigerer indes kaum bis gar nicht beteiligt. Nun gaben ihre Stimmen den Ausschlag.
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