Rainer

„Täter sollen in Angst leben“

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Beate Klarsfeld über den NS-Verbrecher Klaus Barbie, die Psyche von Massenmördern, die rechtsextremen Parteien Europas und den österreichischen Antisemitismus.

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Beate Klarsfeld über den NS-Verbrecher Klaus Barbie, die Psyche von Massenmördern, die rechtsextremen Parteien Europas und den österreichischen Antisemitismus.

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Beate Klarsfeld kämpft seit den frühen 60er Jahren um Aufklärung und Sühne für Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus. Gemeinsam mit ihrem Mann Serge jagte sie untergetauchte namhafte Mitglieder von Gestapo und NSDAP. Ihrer Initiative ist es zu verdanken, dass der „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie, in Südamerika gefasst und vor Gericht gestellt werden konnte. Am Mittwoch eröffnete Klarsfeld in Wien eine Ausstellung über eine Gruppe jüdischer Kinder, die 1944 auf Barbies Initiative festgenommen und ermordet wurde.

Die Furche: Am 6. April 1944 wurden im Ort Izieu nordwestlich von Grenoble 44 jüdische Kinder im Alter zwischen fünf und siebzehn Jahren von der Gestapo entdeckt, nach Auschwitz deportiert und ermordet. Sie haben gemeinsam mit ihrem Mann Serge die Geschichte dieser Kinder recherchiert und dokumentiert. Der Hauptverantwortliche Gestapo-Mann Klaus Barbie wurde von Ihnen jahrelang gesucht, gestellt und 1987 verurteilt. Wie wurden sie auf die Geschichte der Kinder aufmerksam?

Beate Klarsfeld: 1971 fand mein Mann im jüdischen Dokumentationszentrum in Frankreich eine Erklärung der Staatsanwaltschaft München, die einen Antrag gegen Klaus Barbie wegen der Deportation der Kinder mit der zynischen Begründung ablehnte, es gäbe keinen Beweis, dass Barbie das Schicksal der Kinder kennen konnte. Wir aber begannen nach Zeugen zu suchen und fanden tatsächlich einen Mann, der mit Barbie zu tun hatte. Zu dem hatte Barbie gesagt, es sei egal, ob die Deportierten in Frankreich erschossen oder in den Osten deportiert werden, es komme auf das gleiche raus. Das war das Indiz, das Verfahren wurde aufgenommen und die Meldungen darüber verbreiteten sich bis nach Lima, wo Barbie untergetaucht war. Ein Nachbar Barbies brachte uns dann auf seine Spur.

Die Furche: Nach langem Ringen wurde Barbie schließlich an Frankreich ausgeliefert. 1987 kam es zum Prozess. In Izieu war man damals nicht sehr begeistert über die internationale Aufmerksamkeit.

Klarsfeld: Hätten wir nicht damit angefangen, hätte niemand mehr über die Kinder gesprochen. Das Haus in Izieu war damals im Privatbesitz und der Inhaber war nicht begeistert über Besucher. Als wir eine Gedenktafel anbringen wollten, mussten wir schon Stacheldraht vor dem Haus durchschneiden – also Mitarbeit gab es keine. Das hat sich aber geändert. Jetzt ist das Haus ein großes Museum geworden.

Die Furche: Klaus Barbie hat sich niemals einsichtig gezeigt. Stört sie das?

Klarsfeld: Nein. Wir waren daran gewöhnt, auch von Verbrechern, die wir in Deutschland gestellt haben. Sie waren eigentlich nur besorgt, dass wir ihr friedliches Leben stören. Sie sprachen überhaupt nicht von den Opfern, sondern nur von sich selbst.

Die Furche: Angesichts der Tatsache, dass sich scheinbar normale Menschen in Bestien verwandeln können, wenn die Umstände es zulassen: Glauben Sie, dass heute so etwas wieder möglich wäre?

Klarsfeld: Natürlich. Sie brauchen nur an die Prozesse am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu denken. Die Täter fühlen sich da ja auch unschuldig.

Die Furche: Wie sehen Sie die Gefahr der rechten bis rechtsextremen Parteien, FPÖ, Front National, Vlaams Belang?

Klarsfeld: Man muss auf jeden Fall versuchen, gegen diese Parteien vorzugehen, wie wir es auch in Deutschland getan haben gegen die NPD, die Republikaner. Wir haben auch hier in Österreich protestiert, gegen die Regierungsbeteiligung Haiders und schon davor gegen Waldheim.

Die Furche: Der Nazi-Jäger Efraim Zuroff hat Österreich als „schwarzes Loch“ bezeichnet, in dem Nazi-Verbrecher untertauchen können. Haben Sie das auch so erlebt?

Klarsfeld: Wir sind des Öfteren festgenommen worden bei unseren Waldheim-Aktionen. Wir haben gespürt, dass es hier mehr Antisemitismus gab. Es gab sehr unangenehme Reaktionen vonseiten der Bevölkerung.

Die Furche: Was hätte denn der Staat zu tun, um solche Dinge zu verhindern.

Klarsfeld: Die Politiker müssen viel Mut haben, um dem Wähler nicht nur nach dem Mund zu reden. Das ist ja leider heute viel zu oft der Fall.

Die Furche: Das gilt vor allem in Fragen der Immigration und Integration.

Klarsfeld: Europa wird sich ändern, die Menschen aus ärmeren Ländern werden kommen und sie werden sich nicht aufhalten lassen. Diese Flut wird nicht aufhören. Wenn ich von Frankreich spreche, dann ist aber auch klar, dass ein Teil der jungen Muslime nicht mehr jenen Willen sich zu integrieren zeigt, den die sogenannten Gastarbeiter der ersten Generation früher hatten. Integration ist schon gut, aber wie wollen Sie die Leute integrieren, wenn es keine Arbeit gibt? Die Polizisten gehen in Paris einfach nicht mehr in gewisse Viertel, weil sie Angst haben. Das ist ein großes Problem.

Die Furche: Zurück zu ihrem Lebenswerk. Barbie ist gefasst, Eichmann ist gefasst, wenige andere mehr. Ist es nicht ernüchternd zu sehen, wie viele Kriegsverbrecher und Mörder einfach davonkamen?

Klarsfeld: Die Zahlen waren tatsächlich nicht sehr hoch. Man hätte viele anklagen können, die nach dem Krieg als Beamte in hohen Positionen saßen. Aber wir haben vieles erreicht. Wir konnten über 250 Verfahren anstrengen, wir konnten Bewusstsein schaffen. Also haben wir erreicht, was wir erreichen konnten: Alle NS-Verbrecher sollen in der Angst leben, dass sie bis zum letzten Atemzug nicht in Ruhe gelassen werden.

Die Furche: Wie steht es aber mit dem Wissen um die NS-Verbrechen in der Bevölkerung, wird genug Aufklärungsarbeit geleistet?

Klarsfeld: Es hat sich vieles geändert. Der Durchbruch kam 1979 mit der Holocaust-Fernsehserie. Damit begann ein Nachholprozess. Wenn Sie heute sehen, wie viele Gedenktafeln, Museen und Gedenkstätten es gibt, da ist viel passiert. Auch im Kleinen: Wenn etwa jemand an seinem Wohnort mit einer Gedenktafel für ein deportiertes Kind konfrontiert wird, dann prägt sich das ein.

Die Furche: Haben Sie mitverfolgt, dass im Vorjahr in Ebensee eine Gedenkveranstaltung von KZ-Überlebenden angegriffen wurde?

Klarsfeld: Ja.

Die Furche: Es gab dazu eine Reaktion von FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache: Das seien dumme, blöde Lausbuben. Wurde da genug nachgeholt?

Klarsfeld: Man hätte öffentlich das Curriculum Vitae der Täter darstellen sollen und hätte gesehen, dass es keine Lausbuben sind. Da hätte auch die Staatsanwaltschaft durchgreifen können.

Die Furche: Sie sind weltweit mit hohen Orden ausgezeichnet worden. In ihrer Heimat Deutschland werden Sie kaum geehrt. Warum nicht?

Klarsfeld: (lacht) Nein, gar nicht. Oskar Lafontaine von den Linken hat mich einmal für den Staatspreis vorgeschlagen. Aber ich denke nicht, dass Außenminister Westerwelle da ein gutes Wort für mich einlegen wird.

Die Furche: Sie haben vor mehr als 30 Jahren Bundeskanzler Kiesinger, einem Mann mit Nazi-Vergangenheit, eine Ohrfeige gegeben. Verzeiht man Ihnen das nicht?

Klarsfeld: So ist es. Das war ein so symbolischer Akt und hat derart schockiert, das wirkt bis heute nach. Im November wurde mir der Georg-Elser-Preis in München verliehen. Dafür wollte man den SPD-Oberbürgermeister Ude gewinnen. Aber der sagte, er kommt nicht. Warum? Die Frau Klarsfeld – die Ohrfeige. Aber ich bin stolz darauf. Diese Ohrfeige war gegeben im Namen der gesamten jungen Generation Deutschlands. Und schließlich: Wer würde sich heute noch an Kiesinger erinnern – wenn nicht wegen meiner Ohrfeige.

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