Im Zusammenhang mit den Terrorangriffen auf symbolträchtige Einrichtungen in den USA tauchte in Österreich unverzüglich der Gedanke auf, dass "unsere Neutralität" dagegen Schutz bieten könne. Allein, hier dürfte der Wunsch als Vater des Gedanken gelten, er kommt vielmehr einer Verkennung der Realität gleich.
Zwischenstaatliche Kriege verlieren an Bedeutung, sogenannte asymmetrische Konflikte dominieren. In diesen stehen einander nicht mehr Staaten gegenüber. Vielmehr werden Staaten oder Gemeinschaften zum Angriffsziel nichtstaatlicher Gruppierungen. In diesem Kampf kann alles zur Waffe werden: Von der Nylonschnur über gekaperte Flugzeuge bis zu atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen.
Asymmetrische Krieger suchen die internationale Aufmerksamkeit. Entweder, um fremde Unterstützung zu erhalten, oder um Sympathisanten zu imponieren und sie zu vereinen. Im Falle der Selbstmordattentäter auf das World Trade Center trifft vermutlich das Letztgenannte zu. Um diesen Effekt aufrecht zu halten, bedarf es vermutlich weiterer "lohnender Ziele". Die demoralisierende Wirkung wird dabei verstärkt, wenn die Zivilbevölkerung bewusst und gezielt ins Zentrum der Angriffe rückt und ihnen möglichst viele Unschuldige zum Opfer fallen.
Österreich versteht sich als Mitglied einer solidarischen Wertegemeinschaft. Es gehört damit zu einem "System", das möglicherweise für bestimmte Gruppierungen ein Feindbild darstellt. Sollten daher Terroristen weitere spektakuläre Angriffe auf dieses System planen, kann Österreich wie jeder andere westliche Staat auf der Zielliste stehen. Prestige- und symbolträchtige Objekte gäbe es auch in Wien. Der Umstand, dass Österreich neutral ist, wäre vermutlich von untergeordneter Bedeutung. Denn asymmetrische Konflikte folgen den Prinzipien des Nutzens, nicht des Völkerrechts. Neutralität orientierte sich immer an zwischenstaatlichen Kriegen - internationaler Terror ist davon nicht erfasst, er kennt keine völkerrechtlichen Grenzen.
Eine Betonung der Neutralität birgt für Österreich jetzt eine doppelte Gefahr. So könnte ein falsches, ungerechtfertigtes Sicherheitsgefühl in der eigenen Bevölkerung entstehen und bei einer Abkoppelung von Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft der Eindruck unsolidarischen Verhaltens entstehen.
Sicherheit durch Neutralität kann es gegenüber Terror nicht geben. Gerade ein Ausscheren bei internationalen Maßnahmen könnte daher auch als Schwäche gesehen werden. Es ist allgemein bekannt, dass Österreich im europäischen Vergleich am wenigsten für seine Verteidigung ausgibt. Sollte es daher - was hoffentlich nie eintreten wird - zu umfangreichen terroristischen Angriffen auf Österreich kommen, so hätten wir nicht nur wenig Beistand zu erwarten, wir wären auch nur bedingt abwehrfähig.
Es ist daher die offizielle Position Österreichs, dass man gegenüber dem Terror nicht neutral sein kann, nur zu begrüßen. Es kann auch nur im Interesse Österreichs sein, klare Signale gegen Terror zu senden. Aber es wäre keine Lösung, die "Neutralität als Nische für Realitätsflucht" (© Johannes Voggenhuber) zu missbrauchen. Denn wenn Terror keine Grenzen kennt, dann kann auch die Antwort nur grenzüberschreitend sein.
Der Autor ist Militäranalytiker und Generalsekretär der Österreichischen Offiziersgesellschaft.
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