"Terrorismus ist ein Zeichen der Schwäche"

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Für den Vermittler zwischen arabischem und westlichem Denken, sadik al-azm, führt der Islamismus längst nur mehr Rückzugsgefechte.

Sadik Al-Azm, Jahrgang1934, war bis 1999 Professor für moderne europäische Philosophie an der Universität Damaskus. Er gilt als einer, der wie kein zweiter sowohl mit der arabischen Tradition als auch mit dem westlichen Denken vertraut ist. Über seinen Lehrstuhl in Damaskus hat er das Denken der europäischen Philosophie, insbesondere das Werk Kants, in den arabischen Raum vermittelt. Durch Gastprofessuren an europäischen und amerikanischen Universitäten versuchte er gleichzeitig, westlichen Fehlvorstellungen über die arabische Welt entgegenzutreten. Nachfolgendes Gespräch fand am 2. Juli, wenige Tage vor den Londoner Anschlägen, statt.

Die Furche: Was wollten die Terroristen des 11. September mit ihren Anschlägen erreichen?

Sadik Al-Azm: Ich glaube, sie wollten die usa demütigen. Dabei wussten sie sehr wohl, dass es nicht dasselbe ist, ein Gebäude in New York zum Einsturz zu bringen und die usa zu besiegen. Aber eine Demütigung vor den Augen der Welt war es sehr wohl, zu Beginn war auch die emotionale Aufladung sehr hoch. Ich war in Japan, als es passierte. Als ich entdeckte, dass die Bilder real waren und nicht aus einem "Hollywood-megaurbanen-Angst-und-Panik-Film" stammten, war sogar ich - als hoch gebildete Person mit guter Kenntnis des Westens - voll Schadenfreude. Und dabei ist in der arabisch-muslimischen Kultur Schadenfreude (Schamateh) strikt verboten, wenn es um den Tod geht. Aber ich wusste intuitiv, dass in diesem Moment Millionen Menschen dasselbe Gefühl in Bauch, Herz und Brust aufstieg.

Die Furche: Warum Schadenfreude? Das ist doch ein Gefühl, das hier intellektuell schwer nachvollziehbar ist.

Al-Azm: Ich habe mich das auch selbst gefragt. Sicher hat dazu beigetragen, dass in diesen Tagen die Nachrichten aus Palästina sehr schlecht waren. Es war noch nicht so schlimm wie später, aber die Intifada war in Gang, Sharon ließ Häuser niederwalzen und Menschen töten. Und dann kam die Schadenfreude aus der Demütigung der Arroganz der Macht. Das erzeugte dieses wachsende Gefühl von Schamateh - obwohl sie verboten ist. Da muss man etwas sagen wie: Gott, bitte vergib mir, dass ich gefühlt habe, was ich nicht fühlen durfte.

Es gibt noch einen dritten Aspekt: Es war ein Moment, in dem sich, wie wir sagen, die Schwarze Magie gegen den Magier richtete. Diese terroristischen Frankensteins: Wer hat sie großgezogen, ernährt, ausgebildet? Die usa natürlich, die cia, die Saudis, die sie finanzierten - und plötzlich fielen die Frankensteins über ihre Meister her. Ich komme von links, und es verstärkt mein Gefühl der Schadenfreude, wenn ich sehe, dass sich der Dschihad, der so gut zu gebrauchen war, um die Sowjetunion zu besiegen, plötzlich gegen die usa richtete.

Die Furche: Sind die Islamisten - die, die auf Gewalt setzen, oder auch die, die sich dem Kampf mit Worten verschrieben haben - im Kommen?

Al-Azm: Ich glaube, auf der Makroebene haben sie verloren. Wo immer sie versucht haben, an die Macht zu kommen, sind sie gescheitert: in Syrien, Algerien, Ägypten. Und wo es ihnen, wie im Sudan, gelungen ist, war es eine Katastrophe. Iran ist ein Sonderfall und kann für die sunnitische Welt kein Vorbild sein. Und die Taliban? Als ihr Regime stürzte, war keine einzige seriöse Stimme in der islamischen Öffentlichkeit zu hören, die sie verteidigt hätte.

Der größte Erfolg der Islamisten ist es, das Zentrum der Gesellschaft mehr nach rechts, ins Konservative verschoben zu haben. Aber nehmen Sie das neue Programm der Muslimbruderschaft in Ägypten: Es ist fast ein liberales Programm. Sie reden nicht mehr von einem neuen Kalifat oder davon, dass der Koran die Konstitution Ägyptens sein soll. Sie sind für Machtrotation, Demokratie, alle Freiheiten. Sogar was die sofortige Einführung der Scharia betrifft, sind sie ambivalent. Für mich ist das ein Zeichen von Versagen, nicht von Erfolg. Sie haben von ihren früheren Programmen Abschied genommen. Noch in den 80er Jahren waren sie sehr arrogant und meinten, auf der Welle der Geschichte zu reiten: die islamische Flut würde alles überfluten - was sich als falsch herausgestellt hat.

Die Furche: Was machen die Terroristen "falsch"?

Al-Azm: Es gibt klassische Regeln für erfolgreichen Befreiungskrieg, und die sunnitischen Terroristen verletzen sie alle. Regel Nummer eins: Man greift in einem erfolgreichen Befreiungskrieg, zum Beispiel im Irak, nicht die eigenen Leute an, sondern versucht die größtmögliche Unterstützung zu bekommen. Außerdem versucht man, außerhalb des eigenen Volkes Freunde zu gewinnen und nicht sich Feinde zu machen. Der Feind soll so isoliert wie möglich sein. Zudem ist man bestrebt, die Sympathie aufgeklärter Elemente in der Gesellschaft des Feindes zu gewinnen.

Die Vietnamesen haben in den usa nie einen Anschlag gemacht. Das taten Amerikaner, aus Sympathie für die Vietnamesen. Aber die islamistischen Terroristen kümmern sich darum nicht. Darum meine ich: Sie können den Amerikanern das Leben schwer machen, aber es einen Befreiungskrieg gegen die Besatzung zu nennen, ist völlig daneben, weil sie eben alle Regeln verletzen. Ausnahmen sind Hamas und Hisbollah, die die Regeln eines nationalen Befreiungskrieges befolgen.

Die Furche: Ist der Terrorismus ein Zeichen eines Erstarkens der Islamisten?

Al-Azm: Alles in allem ist die islamistische Bewegung im Rückgang. Oft entstehen in solchen Momenten Abspaltungen, die sehr gewalttätig sind, um aus der Krise auszubrechen - so wie die Krise des Kommunismus in den 70er Jahren zu gewalttätigen Abspaltungen geführt hat. Aber wenn in meinem alten Syrien das System aufmacht und es wirklich freie Wahlen gibt, wird sich vermutlich der Islam der Mittelklasse durchsetzen. Ein Islam der Kaufleute und Industriellen würde das Klima bestimmen, keine radikale Form des Islam. Es muss nicht unbedingt die Art von Islam sein, die auf der Scharia besteht, sondern ein Islam, der gut fürs Geschäft ist.

Die Furche: Terrorismus ist also ein Resultat der Schwäche des Islamismus.

Al-Azm: Der islamistische Terrorismus - wie etwa der linke Terrorismus im Deutschland der 70er Jahre - ist ein Produkt einer strukturellen Krise. Im einen Fall war es die Krise des europäischen Kommunismus, im anderen Fall ist es die Krise des politischen Islam. Die Krise besteht darin, dass der Islam praktisch überall in der Öffentlichkeit erodiert - bis dahin, dass die Islamisten sagen: "Das sind zwar nominell muslimische Gesellschaften, aber sie sind kafir', ungläubig. Wir wollen die öffentliche Sphäre wieder der Scharia, dem Gesetz, den Regulativen der islamischen Theologie unterstellen."

Darum hat der Kampf der Islamisten etwas von einem verzweifelten letzten Versuch: Wenn sie jetzt verlieren, ist es vorbei. Bei manchen Theoretikern liest man zwischen den Zeilen, dass sie dem Islam das Schicksal des Christentums in Europa ersparen wollen: so windig, so flockig zu werden, so ätherisch, einzig eine persönliche Entscheidung. Der Islam, der sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht, könnte genauso pietistisch werden, individualistisch - und damit das Geschick des Christentums teilen. Manche sehen das und sind sehr besorgt.

Das Gespräch führte Christian Rathner.

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