Theologe Tück: Reduktion auf synodale heiße Eisen greift zu kurz
Papst Franziskus ist früh zur Projektionsfläche liberaler Reformwünsche gemacht worden. Immer mehr zeigt sich, dass der Pontifex aus Lateinamerika diesen Erwartungen nicht entspricht, auch wenn er in manchen Punkten behutsame Schritte gesetzt hat. Eine Analyse im Vorfeld der am 2. Oktober beginnenden zweiten Session der Weltbischofssynode in Rom.
Papst Franziskus ist früh zur Projektionsfläche liberaler Reformwünsche gemacht worden. Immer mehr zeigt sich, dass der Pontifex aus Lateinamerika diesen Erwartungen nicht entspricht, auch wenn er in manchen Punkten behutsame Schritte gesetzt hat. Eine Analyse im Vorfeld der am 2. Oktober beginnenden zweiten Session der Weltbischofssynode in Rom.
Lange ist das Narrativ verbreitet worden, die katholische Kirche gewinne wieder an Strahlkraft, wenn sie den Reformstau abarbeite, die Sexualmoral liberalisiere, den Pflichtzölibat aufhebe und Frauen den Zugang zur Weihe eröffne. Ein Blick auf die altkatholische oder die evangelische Kirche zeigt, dass diese Erzählung zu kurz greift. Beide Konfessionskirchen haben alle diese Forderungen erfüllt – und sind dennoch ähnlichen Erosionsprozessen ausgesetzt. Das Abschmelzen der Kirchenbindung hat viele Ursachen, vor allem dürfte die dramatische Kirchenkrise Ausdruck einer Glaubenskrise sein. Das Geheimnis Gottes verblasst, die Botschaft Jesu Christi findet weniger Resonanz, in Zeiten der Individualisierung, Pluralisierung und Digitalisierung hat es die Kirche schwer, über ihr karitatives Engagement hinaus gesellschaftliche Relevanz zu finden.
Papst Franziskus ist früh zur Projektionsfläche liberaler Reformwünsche gemacht worden. Immer mehr zeigt sich, dass der Pontifex aus Lateinamerika diesen Erwartungen nicht entspricht, auch wenn er in manchen Punkten behutsame Schritte gesetzt hat. Franziskus geht es darum, die missionarische Dynamik der Kirche zu stärken. Wiederholt hat er vom „Primat der Evangelisierung“ gesprochen. Damit dies kein von oben verordnetes Projekt ist, hat er im Vorfeld der Synoden über die Familie (2014/15), die Jugend (2018) und Amazonien (2019) umfangreiche Konsultationsprozesse angestoßen und Synodalität zum Leitwort seines Pontifikats gemacht. Kirche ist wanderndes Gottesvolk. In der kühnen Metapher der umgekehrten Pyramide hat Franziskus den Hirten ans Herz gelegt, dem Spürsinn der Herde zu vertrauen. Der Glaubenssinn der Gläubigen wurde so aufgewertet. Alles soll freimütig geäußert und dann in einem Prozess geistlicher Unterscheidung geprüft werden. Eine autoritäre Ausübung der Kirchenleitung ist im dritten Jahrtausend nicht mehr zeitgemäß.
Durch das Beratungsgremium der Kardinäle, welche die kulturellen Großräume der katholischen Weltkirche repräsentieren, und durch synodale Konsultationen möchte Franziskus die moralische Autorität seiner Entscheidungen stärken. Das bedeutet nicht, dass er seine letztinstanzliche Kompetenz delegieren würde. Er hat mehrfach gezeigt, dass er in kritischen Situationen sehr wohl darum weiß, dass er als Nachfolger Petri das letzte Wort hat. Aber in einer Welt, die von Krisen und Kriegen durchzogen ist, die mit wachsender Demokratiemüdigkeit und Populismus zu tun hat, könnte eine synodale Gesprächskultur auch außerhalb der Kirche ein heilsames Gegenmittel sein. Den Punkt in der Meinung des Anderen, der anders denkt und anderes fühlt, wahrzunehmen und zum Anlass einer kritischen Selbstbetrachtung zu nehmen, das ist der Königsweg, um Gegensätze aufzubrechen und produktiv zu wenden. Dabei spielt die Orientierung am Wort Gottes eine wichtige Rolle.
Erwartungen gedämpft
Was aber kann von der Synode in Rom erwartet werden und was nicht? Papst Franziskus hat Themen wie Frauenordination, LGBTQ und Gender in Studiengruppen ausgelagert. Das ist als pontifikaler Eingriff in die synodalen Debatten bemängelt worden. Franziskus wollte wohl sicherstellen, dass sich die Synode nicht in Streitfragen verheddert, die in Afrika und Asien anders beurteilt werden als in Europa. Durch Förderung einer synodalen Gesprächskultur will er die missionarische Dynamik der Kirche zurückgewinnen. Mission aber ist in unseren Breiten ein historisch belastetes Wort.
Das Instrumentum Laboris erinnert zunächst an die theologischen Grundlagen der Synodalität. Die Kirche ist Volk Gottes. Sie ist damit eine exzentrische Wirklichkeit. Kirche kommt von Gott und ist unterwegs zu Gott, wenn sie das vergisst, verfehlt sie ihre Sendung. Gott aber ist keine namenlose Größe, der Unbegreifliche hat sich selbst begreiflich gemacht in der Bundesgeschichte Israels und vor allem in Jesus Christus. Kirche ist dazu da, davon Zeugnis abzulegen. Das Wirken des Heiligen Geistes trägt dazu bei, dass Jesu Botschaft nicht historisch vergangen, sondern lebendige Wirklichkeit ist. Wer Jesus begegnet, kann nicht so bleiben, wie er ist. Alle Gläubigen aber sind auf den Namen des dreifaltigen Gottes getauft und haben ein spezielles Charisma, die transformative Kraft der Nachfolge zu bezeugen. Alle sollen aktive Träger der Evangelisierung sein. So soll auch die Synode durch das Hören auf das Wort Gottes und die gemeinsame Ausrichtung auf den Protagonisten, den Heiligen Geist, kreative Formen der Bezeugung in den Lebenswelten heute entwickeln. Dieser von Franziskus immer wieder geforderte „Primat der Evangelisierung“ ist keine fromme Immunisierung gegen Strukturfragen, sondern das Vorzeichen, das die Debatte über Strukturfragen orientieren soll.