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Theologendisput: Sind die Kirchen am Ende?

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Der Strukturwandel in der Kirche, den Karl Rahner schon 1972 forderte, ist nun anscheinend unausweichlich geworden.

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Der Strukturwandel in der Kirche, den Karl Rahner schon 1972 forderte, ist nun anscheinend unausweichlich geworden.

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Im Jahre 1972 meldete sich Karl Rahner zum „Strukturwandel der Kirche" zu Wort. Im Strukturwandel der Kirche sah er Chance und akute Aufgabe. Wo stehen wir? Was sollen wir tun? Wie kann eine Kirche der Zukunft gedacht werden?

Seine Fragen zielten auf die geschichtliche und gesellschaftliche Situation, in der die katholische Kirche von ihrer Umwelt her steht, in der sie leben und ihre Sendung erfüllen muß, von der her und auf die hin sie ihre Entscheidungen treffen muß.

Die Situation der Christen und somit der Kirche ist eine des Übergangs von einer der früheren homogenen profanen Gesellschaft und Kultur korrespondierenden Volkskirche zu einer Kirche der Glaubenden, die sich in einem freien Glaubensentschluß auch kritisch absetzen von dem durchschnittlichen Meinen ihrer gesellschaftlichen Umwelt.

Erinnert sei an den damals für manche Ohren „skandalösen" Satz Rahners: „Ein neu aus dem sogenannten Neuheidentum gewonnener Christ bedeutet mehr, als wenn wir zehn Altchristen noch halten. Wer retten will, muß wagen" - das ist der Leitgedanke, wenn Rahner den Strukturwandel in der Kirche in den siebziger Jahren fordert.

20 Jahre später greift die sensible Katholische Akademie in Bayern gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Tutzing die kühne, von mehreren Journalisten behauptete These vom Ende der Kirchen auf und stellt in gründlich offener Weise die Frage: Sind die Kirchen am Ende?

Eine ganze Reihe von Symptomen und Ursachen für die gegenwärtige Kirchenkrise wurde genannt. So zeigen demographische Untersuchungen, daß es im Westen seit den sechziger Jahren einen dramatischen Wertewandel gibt, weg von den Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu den Selbstverwirkli-chungs- und Engagementwerten. Immer mehr treten der moderne Individualismus und der säkulare Pluralismus in den Vordergrund des gesellschaftlichen Pluralismus, die für das Selbstverständnis der Kirchen neue Rezeptionsbedingungen schaffen. Für viele wird die kirchliche Situation in ihrer neuen Unübersichtlichkeit immer auswegloser. Viele Christen ziehen daraus die Folgerung: so kann es nicht mehr weitergehen.

Sind also die Kirchen am Ende? Die Münchner Tagung gipfelte in einer radikalen, aber befreienden Antwort. Die Kirchen sind tatsächlich am Ende, allerdings nur, was ihre epochale neuzeitliche Gestalt betrifft. Die These, die der Frankfurter katho-hsche Theologe Siegfried Wiedenhofer vertrat, lautet: Die neuzeithche Form der Kirchlichkeit der Moderne muß an einem bestimmten fortgeschrittenen Entwicklungsstand in ein auswegloses Dilemma geraten, weil die geforderte gegenseitige kritische Auslegung von Tradition und Situation nicht mehr entschieden weitergeführt vmrde.

Deshalb ist ein neuer epochaler Schritt in der Kirchengeschichte gefordert. Gefordert ist die Beendigung der neuzeitlichen konfessionalisti-schen Engführung des Kirchenverständnisses und die Wiedergewinnung eines dialektischen Kirchenbegriffs. Was beide großen Kirchen brauchen, ist eine gemeinsame, neu-erhche und verbesserte Auflage der Reformation des 16. Jahrhunderts.

Wenn die neuzeitliche konfessio-nalistische Engführung der Kirchen beendet wird, in dem der originäre dialektische Kirchenbegriff wiedergewonnen wird, wird auch die Kirche von neuem zum transparenten Zeichen der allein Leben gewährenden Nähe Gottes werden können. Weiters gefordert ist die Beendigung der deistisch-bürgerlichen neuzeitlichen Engführung des Kirchenverständnisses und die Wiedergewinnung eines aktuahstischen Verständnisses des Wirkens Gottes. Denn Kirche ist das Heute der schöpferischen, befreienden und vollendenden Nähe Gottes. Genau an diesem Punkt setzt mit Recht einer der Hauptangriffspunkte der lateinamerikanischen Befreiungstheologie ein. Die neuzeitliche Europäische Theologie und Kirche hat ihr zufolge das Heute Gottes vergessen.

Gefordert ist schheß-lich die Beendigung der neuzeitlichen Alternative Institution-Individuum und die Wiedergewinnung der komplexen So-zialisierungskraft und Individualisierungskraft des Glaubens. Denn Kirche ist der Intention ihres Stifters nach eine vielschichtige Heilsgemeinschaft, die den einzelnen auf vielerlei Weise sich neu finden läßt.

Johann Baptist Metz focusierte in einer geradezu prophetischen Rede das komplexe Krisenphänomen der Kirche auf die Gotteskrise: Gott ist für den westlichen Menschen zum Problem geworden. Bejahung oder Leugnung seiner Existenz ist unlöslich mit der Frage nach der Art, dem Charakter oder dem Wesen verbunden. Oft wird die Existenz Gottes deshalb geleugnet, weil man menschlich törichte Auffassungen davon hegt, was und wer Gott eigentlich ist.

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