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Theologie des Neuen Testaments

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BESINNUNG AUF DAS NEUE TESTAMENT. Von Heinrich Schlier. Exegetische Auf- satie und Vorträge II (Herder, 1964). 376 Seiten, Leinen. S 272.50.

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BESINNUNG AUF DAS NEUE TESTAMENT. Von Heinrich Schlier. Exegetische Auf- satie und Vorträge II (Herder, 1964). 376 Seiten, Leinen. S 272.50.

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Der Verfasser, bekanntlich Konvertit und jetzt Professor für altchristliche Literatur an der philosophischen Fakultät in Bonn, gibt hier die Vorträge und Aufsätze heraus, die er in den letzten zehn Jahren in verschiedenen Zeitschriften und Festschriften veröffentlichte. Wie der Buchtitel schon erkennen läßt, ist der geistige Rahmen, der alle die 26 Einzeluntersuchungen Zusammenhalt, sehr, sehr weit gespannt. Wenigstens die wichtigsten von ihnen seien hier vermerkt.

Mit Recht steht am Beginn ein „Diskussionsbeitrag“ zu dem Thema: „Sinn und Aufgabe einer Theologie des NT“. Diese jetzt auch in der katholischen Bibelwissenschaft sehr stark in den Vordergrund tretende Disziplin — vor kurzem wurde für sie auch in Wien ein eigener Lehrauftrag erteilt — leidet allerdings vorläufig noch stark unter der Tatsache, daß über ihr eigentliches Formalobjekt die Meinungen (in beiden Konfessionen) ziemlich auseinandergehen, was nicht nur Schlier, sondern Rigaux, Beilner und andere ebenfalls offen zugeben. Aber sie bildet zweifellos eine wichtige Ergänzung der Exegese, die nicht selten einzelne Bibelverse zu iso liert betrachtet und damit leicht die großen Zusammenhänge aus dem Auge verliert. Das hat übrigens schon vor 90 Jahren der geniale Theologe Karl Werner gewußt, der an der Wiener Universität „extra ordinem“ Vorlesungen über die Theologie des NT hielt. Der nächste Aufsatz betitelt sich: „Biblische und dogmatische Theologie“; er unterstreicht die „kritische Funktion“ der ersteren, die der gängigen Schul- dogmatik immer wieder neue Anregungen geben soll, um sie vor Erstarrung zu bewahren. Der dritte Vortrag behandelt die Frage: „Was heißt Auslegung der Heiligen Schrift?“, worüber ja schon die berühmtesten Kirchenväter viel nach- gedacht und niedergeschrieben haben.

Die folgenden Kapitel gelten der neuen deutschen Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, an der momentan intensiv gearbeitet wird, sowie dem Themenkreis: Die Engel, die Kirche, der Staat, die Verkündigung der Taufe Jesu im NT. Daß Schlier als einstiger Bultmann- Schüler dem heute so viel diskutierten Problem: „Das NT und der Mythus“ ein Kapitel gewidmet hat, wird man ohne weiteres verstehen.

Leider fehlt gerade in diesem Abschnitt jeder wissenschaftliche Apparat (der Aufsatz wurde erstmals 1956 in einer nichttheologischen Zeitschrift veröffentlicht und jetzt unverändert abgedruckt), den der Verfasser sicherlich mühelos hätte beistellen können, es aber wegen der „gebotenen Kürze“ (87) offenbar nicht durfte. Seine Meinungen über diese delikate Frage kann man etwa aus folgenden Sätzen entnehmen: „Die Auferweckung Jesu Christi von den Toten ist im Sinn des ältesten Kerygma kein Mythus“ (88), wie denn überhaupt „der Mythus sich am wenigsten in den synoptischen Evangelien meldet“ (91), unter anderem sicher auch deshalb, weil der zeitliche Abstand zwischen dem irdischen Leben Jesu und den ersten Biographien über Ihn doch sehr klein war. Anders liegen nach Schlier die Dinge bei Johannes und Paulus, doch „der von der Geschichte gebannte Blick der Apostel räumt dem Mythus von vornherein nur eine dienende Rolle ein“ (91), das heißt, dieser sollte den ersten Lesern die Offenbarungswahrheiten nur verdeutlichen und in ihrer Sprache besser verständlich machen. Der Verfasser denkt dabei etwa an den (iranischen) Mythos vom präexistenten „Urmensch-Erlöser“, dessen Spuren sich (angeblich) noch im Brief an die Epheser und Kolosser finden (vgl. S. 85 f., 92 f.), aber auch an manchen Stellen in der Apokalypse (Gog, Magog, Behemot usw.), vgl. S. 84.

Reich bestückt mit modernster Literatur ist dagegen Thema 23: „Doxa bei Paulus als heilsgeschichtlicher Begriff“, zum erstenmal als Festvortrag beim Internationalen Pauluskongreß in Rom (1961) gehalten. Neutestamentler aus allen fünf Erdteilen hörten damals gespannt zu; Kardinal Bea, der langjährige Rektor des Päpstlichen Bibelinstitutes, führte an jenem Abend den Vorsitz und stellte am Beginn in einer eleganten und wohlabgewogenen Begrüßungsansprache den Referenten dem wirklich erlesenen Auditorium vor. Zwei weitere Abschnitte sind der Engellehre beziehungsweise dem Dämonenglauben des NT gewidmet. Hier distanziert sich Schlier nachdrücklich von dem nicht gerade sehr „evangelischen“ Satz seines Marburger Lehrers: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des NT glauben“ (zitiert auf

S. 146). Gewisse Kreise, die neue- stens bei Bultmann soviel „Katholisches“ entdeckt haben, sollten diesen Satz doch nicht ganz übersehen. Auch Probleme des vierten Evangeliums werden untersucht: Der Begriff des Geistes bei Johannes, der johanneische Begriff der Wahrheit, Welt und Mensch nach dem Johannesevangelium usw. Daß Schlier ein glänzender Kenner der Gnosis ist, weiß man in Fachkreisen schon seit langem; der Art. VI: „Der Mensch im Gnostizismus“, mit Quellen- und Literaturangaben bestens ausgerüstet, gibt dem Leser einen, wenn auch gedrängten, aber gediegenen, Überblick über diese tödliche Gefahr für das junge Christentum. Das letzte Kapitel des Werkes behandelt auch das letzte Buch des NT: „Jesus Christus und die Geschichte nach der Offenbarung des Johannes“.

Es ist ein großer und reichhaltiger Blumenstrauß, der hier zusammengebunden wurde, und der von der respektablen Schaffenskraft des Gelehrten zeugt. Dem Verlag Herder aber gebührt Dank, daß er Joh. 6, 12 wieder einmal (auf geistiger Ebene) verwirklicht hat: „Sammelt die übriggebliebenen Stücklein, damit sie nicht zugrunde gehen“. Nicht nur biblische Dissertanten werden darüber erfreut sein, daß sie diese verschiedenen Aufsätze jetzt nicht mehr mühsam zusammensuchen müssen, auch religiös interessierte Laienakademiker werden gern nach dem inhaltsreichen Sammelwerk greifen. Es will und kann nicht in allen Fragen endgültige Lösungen bereithalten, sondern möchte in erster Linie zum Nachdenken anregen oder — wie der Titel sagt — zur „Besinnung“ auf- rufen.

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