Theologie, die an der Zeit ist

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Warum man die Glaubenslehren und ihre Formulierungen (Dogmen) auch in ihrem jeweiligen geschichtlichen und kulturellen Kontext sehen sollte.

Der vor zwei Wochen in der Furche veröffentlichte Beitrag "Der zweite Adam", in dem Paul Weß für eine "Relativierung" der hellenistischen Inkulturation des Christentums eintritt, hat eine Vielzahl von Reaktionen und teilweise heftigen Widerspruch hervorgerufen (vgl. auch die Leserbriefseiten dieser Furche). Der nachstehende Beitrag eines der prominentesten Dogmatiker im deutschen Sprachraum war schon länger geplant und wurde auch nicht im Hinblick auf die Kontroverse um den angesprochenen Artikel verfasst. Was Peter Hünermann aber über die Betrachtung von Glaubensaussagen vor dem Hintergrund ihrer geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge sagt, gehört dennoch in den Kontext dieser Diskussion, welche in der Furche auch weitergeführt werden soll.ofri

Es gibt von Papst Benedikt eine Reihe von Ansprachen und Stellungnahmen, in denen er in scharfer Weise gegen den grassierenden Relativismus und Historismus Stellung nimmt. Er plädiert für eine Wiederkehr der Metaphysik, spricht sich gegen eine "Enthellenisierung" des Glaubens aus. Solche Stellungnahmen weisen auf ein Problemfeld hin, das in unserer Gesellschaft, damit aber auch für das Verständnis des Glaubens eine erhebliche Rolle spielt.

Es ist ein Gemeinplatz, dass unterschiedliche Kulturen zu unterschiedlichen Begriffsbildungen führen. Wie steht es da mit der "Unfehlbarkeit des Glaubens", der Verbindlichkeit von Glaubenslehren, von Dogmen, die ja auch in verschiedenen Zeiten und in bestimmten Kulturräumen formuliert worden sind? Bedeutet dies, dass überall ein Relativismus einzieht, wenn man die Glaubenslehren und ihre Formulierungen in ihrem jeweiligen kulturellen und geschichtlichen Kontext sieht?

"Kontext" der Schöpfung

Gehen wir zunächst von einem Beispiel aus: Die moderne Auslegung der biblischen Schöpfungssagen hat viel profitiert von der Erforschung der Sprachformen, der religions-und kulturgeschichtlichen Forschungsergebnisse. Sie hat im Blick auf die einzelnen Textstücke der Genesis, die Erzählungen und die Erwähnungen der Schöpfung in den Psalmen und in anderen alttestamentlichen Schriften genau bestimmen können, in welchen Kontext sie gehören und wie sie sich zugleich von ihrer heidnischen Umwelt unterscheiden, indem sie eigene Akzente setzen. Die Aussageabsichten der einzelnen Aussagen gewinnen so ein sehr viel schärferes Profil, als man dies früher zu sehen in der Lage war.

Die primitive Auslegung

Demgegenüber wirkt eine fundamentalistische Auslegung der Texte, welche solche Forschungen mit der Begründung verbietet, hier handle es sich um Gottes Wort selbst, primitiv. Die Position etwa, welche evangelikale Christen in der so genannten Chicagoer Erklärung formuliert haben, ist deswegen zu simpel, weil sie behauptet, die Schöpfungstexte seien unabhängig vom damaligen kulturellen Kontext zu verstehen. Gott habe - anders als heutige Naturwissenschaften die Entwicklung der Arten beschreiben - die einzelnen Arten der Lebewesen unmittelbar geschaffen; man müsse den biblischen Schöpfungsbericht wortwörtlich nehmen, er sei Gottes Wort. Dass man den Text damit seiner geschichtlichen Herkunft, seines Alters entkleidet und einfach in die heutige Erfahrungs-und Vorstellungswelt stellt, wird ignoriert. Man verschließt sich der Tatsache, dass man auch mit einer solcher Auslegung einen "Übersetzungsvorgang" vornimmt, allerdings ohne ihn zu reflektieren und angemessen vorzunehmen. Der ursprüngliche Sinn, der sorgfältig zu erheben und notwendigerweise neu auszudrücken ist, wird völlig verstellt.

Gilt dies auch für Dogmen? Was für alle geschichtlichen und überlieferten Worte gilt, gilt auch für Dogmen. Wählen wir auch hier ein Beispiel. Im großen Glaubensbekenntnis beten wir im zweiten Abschnitt: "Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater."

Diese christologische Spitzenaussage des Konzils von Nikaia (325 n. Chr.) wurde rund einhundert Jahre später vom Konzil in Chalkedon (451 n. Chr.) nochmals näher bestimmt: Jesus Christus ist "vollkommen in der Gottheit", "vollkommen in der Menschheit". Er ist "eines Wesens mit dem Vater nach der Gottheit, eines Wesens mit uns nach der Menschheit". Die zwei Naturen sind in ihm "unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar". Es wird von der "Einung" und dem "Unterschied der Naturen" in der "einen Person" gesprochen. Die begriffliche Weise, das Geheimnis Jesu, seine Verbundenheit mit dem Vater, sein Wirken in der Kraft des Geistes auszusprechen, trägt das Gepräge griechischen metaphysischen Denkens, das darauf aus war, die jeweilige Natur, das statisch gedachte "Was", das Wesen der Dinge zu bestimmen.

Schwierige Klarheit

Das Neue Testament spricht anders von Jesus. Deswegen taten sich die Bischöfe in Nikaia auch so schwer, dem alexandrinischen Presbyter Arius eine klare Antwort zu geben, als er behauptete, Jesus könne nur ein Geschöpf gewesen sein, weil die göttliche und die menschliche Natur völlig unterschiedlich seien: Jesus werde zwar Logos, Wort Gottes genannt - so im Johannesevangelium - dieser Logos, das Wort Gottes, müsse aber notwendig als Geschöpf Gottes verstanden werden.

Die Konzilien von Nikaia bis Chalkedon waren von dieser Frage bestimmt und antworteten im Rahmen dieser Fragestellung. Sie beriefen sich dabei auf Texte im Neuen Testament wie den Prolog des Johannesevangeliums, die Christushymnen des Kolosser-und Epheserbriefes. Sie boten Ansätze zu einer Entfaltung der Christologie, wie es die damalige Fragestellung erforderte. Diese einmal gegebene Antwort, die ihren Niederschlag im großen Glaubensbekenntnis gefunden hat, hat das Verständnis christlichen Glaubens in einer Großepoche des Denkens geprägt. Sie bietet eine wichtige Orientierung im Verstehen des Glaubens. Zugleich aber ist die Theologie herausgefordert, im Rahmen der neuzeitlichen Transformation des Denkens und der heutigen Erfahrung nach neuen Grundbegriffen Ausschau zu halten, in denen das Geheimnis Jesu Christi heute anzusagen ist. Dabei gilt, dass die alten Aussageweisen auf die neuen Aussageweisen abbildbar sein müssen. Es geht ja um ein und denselben Glauben, wenn auch in unterschiedlichen Gestalten.

Nahe Herrschaft Gottes

Wenn wir heute das Neue Testament lesen, so konstatieren wir: Jesus verkündet die nahe gekommene Herrschaft Gottes, er verkündet damit ein Ereignis. "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!" (Mk 1, 15). Die Evangelien und die Paulusbriefe wie die übrigen Schriften sprechen von einzelnen Ereignissen im Wirken Jesu Christi, vor allem von seiner Passion und seiner Erhöhung zum Vater.

Dies ist das grundlegende Faktum unserer Erlösung. Und den "Namen über alle Namen" empfängt der Herr auf Grund dieses Geschehens. So geht es primär nicht um den "Was-Bestand" Jesu, sein Wesen, seine Natur. Es geht um das, was er von Gott her für uns ist, und dies geht gerade in den Ereignissen für uns auf: Gott selbst spricht sich uns zu, und zwar in diesem Menschen, der auf eine so einmalige Weise Mensch ist. Wird so nicht auch die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen gesagt und gedacht? Freilich nicht im Sinne eines metaphysischen Denkens, das an Naturen, an statischen Wesenheiten interessiert ist, sondern in der Form eines bewegten Geschehens. Freilich ist dies ein Geschehen, in dem für die Glaubenden auch das eigene Wesen in einer ganz neuen Weise aufgeht. Wir sind die von Gott Angesprochenen, von Gott Erlösten und Geliebten. Damit sehen wir auch die alten Glaubensformeln von Nikaia und Chalkedon in einem neuen Licht.

Alte Formeln hilfreich

Um freilich ein solches "ereignishaftes" Sprechen nicht zu verkürzen und es gleichsam "punktuell" einzugrenzen, sind die alten Formeln hilfreich, ja unverzichtbar. Sie weisen auf das Ein-für-allemal dieses Ereignisses hin, das alle Zeitläufte und die vielfältigen Begebenheiten der Geschichte betrifft. Es ist das endgültige Ereignis. Wer glaubt, ist bereits hinübergegangen ins Leben.

Folgen wir solchen Überlegungen, dann verwirrt uns das "geschichtliche Denken" nicht, wir sind vielmehr dankbar, dass uns der "Geist in alle Wahrheit einführt", in die Schrift ebenso wie in die verbindliche Tradition, und dass er unser eigenes Leben im Glauben tiefer verstehen lehrt. So wird auf diese Weise gerade allem Relativismus und jeder Beliebigkeit widerstanden, Zerrformen, die - weiß Gott - weit verbreitet sind und denen Papst Benedikt zu Recht entgegentritt.

Der Autor ist em. Prof. für Dogmatik an der Universität Tübingen.

Peter Hünermann wird am 17. und 18. Jänner im Rahmen der Theologischen Kurse in Wien einen Vortrag und ein Seminar halten:

Vortrag

Die Geschichtlichkeit kirchlichen Lehrens und die Unfehlbarkeit des Glaubens. Kontinuität im Wandel

Mittwoch, 17. Jänner, 18.30-21.00

Beitrag: Euro 9,-

Seminar

Theologie, die an der Zeit ist

Alte und neue Herausforderungen

Donnerstag, 18. Jänner, 9.00-11.30

Beitrag: Euro 9,- (mit Vortrag: Euro 15,-)

Veranstaltungsort: 1010 Wien, Stephansplatz 3

Informationen & Anmeldung: www.theologischekurse.at

Eine Kooperation der Theologischen Kurse mit der FURCHE.

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