Tibets letzter Dalai Lama?

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Als "Halb-Pensionist“ kommt der lächelnde Mönch und Friedensnobelpreisträger jetzt nach Österreich − und bleibt doch das Symbol für das unterdrückte Volk Tibets.

Auf den ersten Blick wird alles wie immer sein: Vor allem die Begeisterung und der Medienrummel um jenen prominenten Österreich-Besucher, der drei Botschaften im Handgepäck mit sich führt: Mitgefühl, Seelenfrieden - und natürlich Tibet. Und doch: Wenn der 14. Dalai Lama ab morgen, Donnerstag, zum bisher siebten Mal in Österreich unterwegs ist, dann ist manches neu und anders.

Erstmals kommt der Friedensnobelpreisträger aus dem indischen Exil nicht mehr als politisches Oberhaupt der ca. sechs Millionen Tibeter weltweit. Nicht mehr als wichtigster Anwalt seines unterdrückten, verzweifelten Volkes. Und nicht mehr als Hauptankläger gegen die Unterdrückungspolitik Chinas. Die Verantwortung dafür hat er im Vorjahr an eine demokratisch gewählte Exil-Führung abgegeben. Seine Aura als Symbol des tibetischen Freiheitsstrebens wird er freilich nicht so schnell loswerden können.

Was war das nur für ein peinliches Versteckspiel, als der Dalai Lama zuletzt vor sechs Jahren Österreich besucht hatte: Die Staatsspitze war in Doppeldeckung gegangen, um das mächtige China nicht zu verärgern. Erst als die deutsche Kanzlerin Merkel wissen ließ, sie würde den Tibeter ohne Angst vor Chinas Donnergrollen empfangen, verkürzte auch ein Wiener Kanzler sein Schlafpensum, um am frühen Morgen, wenn die Medienleute ihre Augen noch geschlossen halten, dem heiklen Gast die Ehre zu erweisen.

Die Karten sind neu gemischt

Diesmal ist alles anders: Außenminister Spindelegger hatte regierungsintern die Nase vorn, als er sich schon vor Wochen zum Treffen mit dem Tibeter in der Wiener Stadthalle (26. Mai) entschloss. Gefolgt von Kanzler Faymann, der den Dalai Lama tags darauf zum Frühstück bittet. Auch Kardinal Schönborn wird knapp vor dem Pfingstsonntags-Gottesdienst im Stephansdom den weltweit prominentesten Buddhisten im Hotel besuchen.

Was den Wandel zu 2006 ausgemacht hat? Es sind die Ereignisse des vergangenen Jahres, die solche Treffen jetzt leichter rechtfertigen lassen. Lange schon hatte es der Dalai Lama angekündigt, 75-jährig machte er Ernst - und tat, was für Tibeter jahrhundertelang undenkbar schien: Er trennte das Amt des geistigen Führers - als Wiedergeburt des höchsten tibetischen Weisheitslehrers - vom politischen Geschäft, für das er mehr als 50 Jahre beispiellos gelitten hatte.

Er hatte erkannt: Nur durch eine Demokratisierung war das zynische Machtspiel Chinas zu unterlaufen, die Tibet-Frage lieber auf die Zeit nach dem 14. Dalai Lama zu verschieben. Nach Pekings Wünschen sollte das Interesse an diesem Nomadenvolk hinter den sieben Bergen ja mit dem Tod der weltweit populärsten lebenden Persönlichkeit erlöschen.

Nun aber sind die Karten neu gemischt: Mit dem 42 Jahre jungen tibetischen Premier Lobsang Sangay, bisher Jurist an der US-Nobeluniversität Harvard, hat sich der Dalai Lama aus der unmittelbaren politischen Verantwortung verabschiedet. Dem tibetischen Freiheitskampf hat er zugleich eine neue, demokratisch fundierte Perspektive gegeben. Mehr noch: In einer sensationellen "Erklärung zur Frage der Reinkarnation“ hat er künftigen Versuchen Chinas, auf eigene Faust einen 15. Dalai Lama zu "finden“, einen gewaltigen Riegel vorgeschoben.

Zur Erinnerung: Tibets zweithöchster geistlicher Führer, der - vom Dalai Lama als Wiedergeburt anerkannte - sechsjährige Pantschen Lama, war 1995 von China "in Schutzhaft“ genommen worden und ist seither nie wieder aufgetaucht. Unter Pekings Regie wurde indessen per Los ein neuer Pantschen Lama gewählt.

Um eine ähnliche "betrügerische Strategie“ Chinas nach seinem Tod zu verhindern, hat der Dalai Lama festgelegt: Im Alter "von etwa 90 Jahren“ werde er gemeinsam mit den hohen Lamas überprüfen, "ob die Institution des Dalai Lama fortbestehen soll oder nicht.“ Falls ja, werde er dazu klar formulierte Anweisungen hinterlassen. Und die Weltöffentlichkeit ließ er wissen, dass außerhalb dieser Vorgangsweise "kein Kandidat anerkannt bzw. akzeptiert werden soll, der von irgendjemandem - und das gilt auch für die Machthaber der Volksrepublik China - zu politischen Zwecken ausgewählt wird.“

Für viele Tibeter ist so viel Pragmatismus in Fragen der Wiedergeburt trotz aller Liebe zu ihrem Exil-Oberhaupt ein hartes Brot. Und auch der Widerstand gegen die seit 50 Jahren gültige Doktrin der Gewaltlosigkeit wächst im Volk. Ein prominenter tibetischer Funktionär formulierte kürzlich das bisher Unsagbare: "Ich glaube, die Politik Seiner Heiligkeit sieht die Realitäten nicht mehr - und zwingt unser Volk zum Selbstmord!“

Tatsächlich wurden innerhalb eines Jahres mehr als 30 Selbstverbrennungen verzweifelter Mönche und Nonnen gezählt. Selbstvernichtung aus Verzweiflung: Sie trinken Benzin, übergießen sich mit Treibstoff und setzen sich mit Rufen wie "Freiheit für Tibet“ und "Heimkehr für den Dalai Lama!“ in Brand.

"Schweren Herzens sage ich nichts“

Schreckliche Videoaufnahmen davon kursieren im Internet - und bringen Tibets obersten Führer gehörig unter Zugzwang: Während seines jüngsten USA-Besuchs brachte er sein Dilemma mit einem für ihn ganz ungewöhnlich verzweifelten Gesicht auf den Punkt: "Wenn ich mich dazu äußere, dann ist mein ganzer Rückzug aus der Politik sinnlos. Was immer ich sage, Peking wird meine Worte sofort manipulieren. Also sage ich schweren Herzens nichts.“

In den Flammen scheint auch seine Hoffnung unterzugehen, mit seiner Dialog-Politik die verhärteten KP-Herzen in Peking bezwingen zu können. "Im Rückblick muss ich sagen: Ich war erfolglos“, hat er dieser Tage zugegeben. Im Stillen aber hofft er weiterhin, die wachsende Menschenrechtsbewegung in China könnte auch für Tibet hilfreich sein.

In Österreich wird der Dalai Lama in den kommenden Tagen über vieles sprechen und diskutieren: über die Kunst des Glücklichseins, über den Weltfrieden, den Klimawandel, die Gehirnforschung, die menschlichen Werte … Alles wichtige Themen, die auch von ihm erwartet werden. Und doch liegt das größte Gewicht auf der europäischen Solidaritätskundgebung für Tibet ("Tibet needs You. Now!“) am 26. Mai (ab 15 Uhr) auf dem Wiener Heldenplatz. Dort steht der so verehrte "lächelnde Mönch“, erstmals neben seinem jungen tibetischen Premier.

Ein neues Zeitalter für Tibet ist angebrochen.

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