Tiere, Maschinen und wir

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Die Frage nach der Abgrenzung von Tieren, Menschen und auch Maschinen stellt sich erst mit der industriellen Revolution. - Ein Plädoyer für einen vergessenen inklusiven Humanismus.

Die komplexen Verhältnisse zwischen Tieren und Menschen wurden auch durch den Humanismus nicht grundlegend umgestürzt. Pico della Mirandolas Behauptung der "Würde des Menschen“ operierte beispielsweise mit jener Stufenleiter des Seins, die im porphyrischen Baum gern illustriert wurde: Pflanzen, Tiere, Menschen, Engel und Gott wurden in eine aufsteigende Reihe eingetragen. Der Mensch stand zwar in der Mitte, nicht aber an der Spitze, und er blieb stets dem Risiko eines Rückfalls ausgesetzt. Abgesehen davon, dass es für die Menschen - nach Pico - darum gehen sollte, zu Engeln oder Göttern aufzusteigen, sind sie nicht prinzipiell von den Pflanzen oder Tieren getrennt, sondern nur durch ihre Moral, ihre Erkenntnis und Würde. Schneller als selbst Seelenwanderungslehren für möglich halten können darum die Menschen wieder in Pflanzen oder Tiere verwandelt werden.

In der Kultur der Renaissance und in der frühneuzeitlichen Wissenschaft wurden die Ähnlichkeiten aufmerksamer registriert als die Unterschiede; Tiermenschen, wie sie in den Kunst- und Wunderkammern, aber auch in den physiognomischen Studien Giambattista della Portas oder in den medizinischen Traktaten Ambroise Parés auftraten, fesselten die Einbildungskraft nachhaltiger als die Frage nach der prinzipiellen Differenz zwischen Tieren, Menschen oder Maschinen. Mit den Quellen der Antike wurden ja auch die Debatten um Tiervernunft oder Vegetarismus rezipiert; nicht zufällig wandten sich Erasmus oder Thomas Morus entschieden gegen die Praktiken der Tiertötung und der Jagd. Montaigne polemisierte schließlich ganz offen gegen die Vorstellung vom exklusiven Rang der Menschen gegenüber den Tieren.

Symmetrie Tier - Mensch

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde also noch eine Symmetrie zwischen Tieren und Menschen eingeklagt, die seit den Anfängen menschlicher Kulturen bestanden hatte; theoretische Rangordnungen und Ambivalenzen wurden durch vielfältige Techniken und Praktiken relativiert, in deren Horizont die Frage nach einer prinzipiellen Differenz zwischen Tieren und Menschen ebenso sinnlos erschienen wäre wie die neuere Frage nach dem Unterschied zwischen Menschen und Maschinen. Denn die Maschinen der agrarischen Lebenswelten bedurften stets des Antriebs durch Tiere oder Menschen; sie bildeten gleichsam Funktionseinheiten, in denen eine technische Konstruktion mithilfe vitaler Kraft in Gang gesetzt und gesteuert wurde. Der Mechanismus von Pflügen, Pressen, Mühlen, Winden, Wägen oder Schiffen setzte diese Investitionen der Arbeitsenergie von Tieren oder Sklaven voraus; keine vormoderne Maschine konnte auf die Leistung von Zug- oder Lasttieren verzichten. Tiere und Menschen bildeten also ihre spezifischen Allianzen, indem sie sich zu agrarischen Arbeits- oder Kriegsmaschinen formierten.

Techniken entsprangen im wesentlichen dieser Verschränkung von (zumeist anorganischem) Werkzeug, (zumeist organischer) Antriebskraft und (zumeinst mentaler) Steuerung; wer sollte schon vor diesem Hintergrund der Frage nach der Differenz - an Stelle des funktionalen Bündnisses - zwischen Tieren, Menschen und Maschinen eine besondere Bedeutung, ein spezifisches Gewicht verleihen? Tatsächlich abstrahierte zwar die theoretische Mechanik von diesem Zusammenhang, um das Verhältnis von Krafteinsatz und Wirkung - etwa bei der Anwendung von Flaschenzügen oder Hebeln - verbessern zu können; dabei verstand sich aber von selbst, dass noch die optimale Hebelkonstruktion der Tiere oder Menschen bedurfte, um erfolgreich eingesetzt werden zu können.

Exklusiver Humanismus

Erst in der Spätantike wurde die Wasserkraft verstärkt genutzt, um vitale Muskeln zu ersetzen. Mühlen oder Sägen konnten nun mit Wasserenergie betrieben werden, nicht zuletzt auch die berühmten hydraulischen Automaten von Alexandria. Doch blieb der Anwendungsbereich dieser neuen Energie vergleichsweise bescheiden; man konnte schließlich keine mobilen Maschinen - Pflüge, Wägen, Schiffe oder Waffen - mit Wasserkraft betreiben. Erst seit der industriellen Revolution können Maschinen gebaut werden, die dem Anschein nach ohne tierische oder menschliche Arbeitsbeiträge auskommen; sie können sich selbst bewegen (automobil) und neuerdings oft auch selbst steuern und lenken. Ihre Kraft verdanken sie dem Einsatz von fossilen Brennstoffen wie Kohle oder Erdöl.

Der beispiellose Umsturz der industriellen Revolution wurde in materieller Hinsicht einzig und allein durch diese Brennstoffe ermöglicht, die sich unter bestimmten geologischen Bedingungen aus ehemaliger Fauna und Flora herausgebildet hatten. Seither fungieren Kohle und Erdöl als die organischen Anteile einer Maschine; an Stelle von lebenden Tieren oder Menschen wirken tote Pflanzen und Tiere als technische Antriebskräfte. Der Paradigmenwechsel von den agrarischen zu den industriellen Maschinen kann kaum überschätzt werden; ihm verdanken wir den wirtschaftlichen Reichtum und die technischen Triumphe der letzten zweihundert Jahre. Ihm verdanken wir aber auch eine radikale Vedrängung der Tiere aus den meisten Lebensbereichen: den praktischen Siegeszug einer Wissenschaft vom Menschen, die der Separation von Tieren, Menschen und Maschinen eine theoretische Legitimation zu geben versuchte. Mit dieser Wissenschaft wurde ein Humanismus bekämpft, der lange Zeit als inklusiver Humanismus - in Allianzen und Fusionen, in Metabolismen und instrumentellen Transgressionen - praktiziert worden war, als ein Humanismus, der - nicht nur etymologisch - die Bindung an die Erde (humus) und an die Praktiken der Bestattung (humare) verkörperte, als ein Transhumanismus, in dem sich die Solidarität der Sterblichen, eben nicht allein der Menschen, zum Ausdruck brachte.

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