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Toleranz — Wert für Christen?

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Keine Frage! Man kann genügend Beispiele aus der Geschichte des Christentums anführen, die Intoleranz als geboten und sogar als einen Weg der Heiligkeit zeigen. Von der religiös motivierten Zensur, über die Verfolgung von Andersdenkenden und Häretikern, bis hin zu den Kreuzzügen reicht die Palette.

Man kann auch auf den neuzeitlichen Kampf des katholischen Lehramtes gegen die Prinzipien der Gewissens- und Religionsfreiheit hinweisen (von Papst Gregor XVI. mit der Enzyklika „Mirari vos” aus dem Jahr 1832 bis hin zu dem Antimo-dernismus-Papst Pius X.).

Schlußendlich wird man auch die christlichen Fundamentalisten in der Gegenwart und ihren militanten Kampf gegen die liberale Kultur und ihre Gesetzgebung bemühen.

Damit wird aber die Frage, ob das Christentum seinem Wesen nach intolerant sei, keineswegs beantwortet. Genauso wie auch die Gegenfrage: Ob Toleranz ein christlicher Wert sei, wird keineswegs mit einem Hinweis auf Franziskus von Assisi entschieden.

Man könnte zwar auf die zahlreichen lehramtlichen Dokumente der katholischen Kirche hinweisen, in denen die gewaltsame Taufe ausdrücklich verboten wurde, die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Religionsfreiheit als einen normativen Focus für die Re-handlung der Frage hinstellen, der Gegner wird sich immer noch auf Papst Ronifaz VIII. und seinen Versuch, die Menschheit dem Papst zu unterwerfen, berufen können, oder aber an die Verdammung der These Luthers, es sei gegen den Willen des Heiligen Geistes, die Häretiker zu verbrennen, erinnern.

In Gottes Haltung sichtbar

Mit Beispielen und Gegenbeispielen wird die Grundschwierigkeit, ob eine Offenbarungsreligion, die dazu noch einen Absolutheitsanspruch erhebt, Toleranz als einen Wert betrachten kann, nicht gelöst. Auch der pragmatische Hinweis auf den Durchschnittschristen der Gegenwart in der westlichen Welt wird die Schwierigkeit nicht aus der Welt schaffen:

Die Tatsache, daß die meisten Christen kaum auf die Barrikaden gehen würden, um für gewisse Dogmen und Bibelsätze zu kämpfen, und kein Verständnis zeigen für die militant-fundamentalistische Glaubensverkündigung, zeugt nicht von deren Toleranz. Dies kann auch an der Gleichgültigkeit liegen. Im Kontext jener Sachverhalte, die dem liberalen Zeitgenossen wichtig sind, werden sich dieselben Christen als extrem intolerant zeigen.

Ist Toleranz ein christlicher Wert und wenn ja warum? Wenn Toleranz ein christlicher Wert ist, so sicherlich nicht deswegen, weil sie von Christen gelebt oder auch nicht gelebt wird. Sie ist es auch nicht deswegen, weil der Theologe auf Bibelzitate oder Lehramtsentscheidungen zu diesem Thema hinweisen kann. Sie ist zuerst als ein religiöser Wert zu glauben, weil sie in der Haltung Gottes zu den Menschen sichtbar wird.

Der Absolutheitsanspruch Gottes auf die ganze Schöpfung und seine Toleranz dieser Schöpfung gegenüber werden in der Geschichte Gottes mit den Menschen vermittelt. Diese Geschichte und zuerst nur sie

Christliche Toleranz

bedeutet einerseits Abschied von der theokrati-schen Versuchung und andererseits kritische Uberprüfung liberaler Träume.

zeigt auch den authentischen (und auch den einzig möglichen) Weg, wie beides: ein radikaler Absolutheitsanspruch und eine radikale Toleranz möglich sind. Im Horizont dieser Geschichte spiegeln sich dann die fragmentarischen menschlichen Vermittlungsversuche wider.

In der Bergpredigt fordert Jesus seine Jünger auf, sie sollen vollkommen sein, wie der Vater im Himmel vollkommen ist. Dieser Satz schließt eine ganze Beihe von Bildern, Metaphern und Regeln ab: Man soll nicht töten, man soll auf Vergeltung verzichten, ja sogar die Feinde lieben. All diese Aussagen entstammen nicht einem Sammelsurium beliebiger frommer Sprüche: Sie stellen logische Konsequenzen des jesuani-schen Gottesbildes dar.

Kein Gottesstaat auf Erden

Sein Gott ist kein fanatischer Fundamentalist, der auf die Trennung von wahren und weniger wahren Gläubigen drängt und auf sichtbare Kriterien zur Unterscheidung von Menschen besteht. Vielmehr wird seine Haltung den Menschen gegenüber von Jesus selber als eine vielsagende Toleranz beschrieben: Er läßt seine Sonne nicht nur über die anscheinend Gerechten, sondern auch über die Ungerechten, also auch über uns aufgehen, und er läßt seinen Regen über Gute und Röse regnen.

Der Traum des „anything goes”? Die Metaphern bilden das radikale Korrektiv zu jenen Rüdem, in denen Gott seine Feinde mit brachialer Gewalt durch Feuer vom Himmel vernichtet. Regrifflich geschärft müßte

man sagen, die Toleranz des jesuani-schen Gottes zeigt sich zuerst in seinem radikalen Gewaltverzicht. Mitten in einer gespaltenen menschlichen Welt will er eben keinen Gottesstaat auf Erden errichten und schon gar nicht mit der Macht des Schwertes!

Eine solche negative Umschreibung stellt aber nur den Anfang dar. Indem sich Jesus ohne den erhobenen Zeigefinger im Namen seines Gottes den Ausgestoßenen und Außenseitern, den Volksfeinden und Sündern nähert und mit ihnen Tischgemeinschaft pflegt, zeigt er mehr an als eine laisser-faire-Tole-ranz. Die Konflikthaftigkeit des menschlichen Zusammenlebens wird von ihm nicht verdrängt; er behandelt aber die Konflikte „gewaltfrei”, indem er sich den Benachteiligten zuwendet und auf diese Art Versöhnung praktiziert. Mit dieser von ihm selber gelebten Logik reichert er den Toleranzbegriff mit positiven Inhalten an.

Nun schließen Toleranz und Provokation einander nicht mehr aus. Die Antwort der Provozierten bringt

allerdings eine radikale Krise mit sich. Jesus weicht dem Konflikt nicht aus, er flüchtet auch nicht in die Haltung einer bloß „inneren Toleranz”, er bleibt seinem Lebensentwurf treu. Deswegen muß er aber auch den Grund seines integrierenden Verhaltens aufzeigen und die Ursache des Bösen beim Wort nennen in der Hoffnung auf Einsicht und Umkehr bei seinen Gegnern. Doch selbst auf dem Höhepunkt des Konfliktes „toleriert” er deren Willen.

Der einzig konsequente Ausweg aus dem Dilemma der so verstandenen Toleranz ist im Kreuz Jesu zu sehen. Auch wenn dies auf den ersten Blick paradox klingen mag, ist das Kreuz der radikalste Ausdruck der Achtung vor dem Gegner. Die Tradition beharrte immer darauf, daß Jesus seinen Tod ohne Ressentiment und im Geiste der Feindesliebe erlitten hat. Getragen von seinem Gott, konnte er auch in diesem Zusammenhang den Rannkreis der -diesmal tödlichen - Intoleranz durchbrechen!

Einziger Ausweg: Das Kreuz

Nun ist für den christlichen Glauben die Tatsache, daß nach dem Tod Jesu Gott den Getöteten auferweckte und dieser mit einer Versöhnungsbotschaft den Menschen erschien von zentraler Bedeutung. Sie räumt mit einem entscheidenden Mißverständnis der göttlichen Toleranz auf. Das Beispiel für solche Mißverständnisse kann im Gleichnis von den bösen Winzern (Mk 12,1-12 par) gefuncFen werden. Die Güte des Weinbergbesitzers kennt trotz aller Langmut und Geduld schließlich doch ein Ende und schlägt schlußendlich in Vergeltung um. Der Gott Jesu handelt aber anders. Selbst die Ermordung seines Sohnes provoziert bei ihm keine rächende Vergeltung; der Auferweckte kehrt eben mit der Botschaft: „Friede sei mit euch” zurück!

Der Berührungspunkt zwischen der Toleranz und der Gerechtigkeit Gottes gerade dem Sünder gegen-

über wird hier deutlich: als die den Menschen bis in die letzten Konsequenzen seines Denkens und Tuns respektierende - aber doch gerechtmachende - Gerechtigkeit.

Damit ist auch die Quelle göttlicher (und folglich auch menschlicher) Toleranz genannt. Sie wird von der Liebe, Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit getragen.

Toleranz als Gnadengabe

Welche praktische Folgerungen ergeben sich daraus? Der Christ ist keineswegs inkonsequent, wenn er das Prinzip der Toleranz als Glaubensprinzip schätzt und gleichzeitig von der Wahrheit seiner Beligion überzeugt ist: Dies geht aber nur dann zusammen, wenn er den Weg der Vermittlung und die inhaltlichen Nuancen vor Augen behält.

Dies bedeutet zum einen den radikalen Abschied von der theokrati-schen Versuchung und einer wie auch immer gearteten Einheit von Kirche und Staat.

Zum anderen aber ist dies auch eine kritische Überprüfung der liberalen Träume. „Let it be” kann nur der Anfang sein, und auch dieser ist kein Garant für Harmonie und Frieden. Weil dieses „Let it be” unzähligen Menschen verweigert wird, braucht es gerade um der Toleranz willen einer Zuwendung zu denen. Toleranz inmitten einer gespaltenen - ja sündigen - Situation kann eben den Weg zum Kreuz bedeuten. Und spätestens jetzt stellt sich die Frage nach der tragenden Kraft!

In ihrer Radikalität wird die christliche Toleranz nur von einzelnen Menschen - und dies aufgrund der Gnadengabe - gelebt; als normativer Horizont bleibt sie für alle eine gültige Herausforderung. Und schlußendlich: ohne diese - fragmentarisch gelebte - Toleranz könnte der Mensch sich kaum seiner Würde bewußt bleiben, gerade in einer von den Teufelskreisen geplagten Welt.

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