Trainieren mit den Evangelikalen

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Die Euro 2008 macht es möglich: Berührungspunkte zwischen den historischen Kirchen und den Evangelikalen.

Die Fußball-Europameisterschaft 2008 ist ein historisches Ereignis. Aber nicht nur für die österreichische Nationalmannschaft, die als Gastgeber endlich mal wieder auf internationaler Bühne mitspielen darf, sondern auch für die verschiedenen christlichen Kirchen Österreichs. Erstmals arbeiten bei diesem Großereignis nämlich die offizielle katholische und die evangelischen Kirchen mit der evangelikal-freikirchlichen Szene zusammen. "Vor zehn Jahren wäre das nicht möglich gewesen", bestätigt Marco Uschmann, Pfarrer für Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirchen. Uschmann ist der evangelische Sprecher für "Kirche 08" ( www.kirche08.at), einer Kooperation der katholischen und evangelischen Kirchen in Österreich und der Schweiz, die deren gemeinsame Aktivitäten während der Europameisterschaft koordiniert. "Kirche 08" wiederum arbeitet in Österreich bei einzelnen Veranstaltungen eng mit "Kickoff 2008 - Anstoß für den Glauben" ( www.kickoff.at) zusammen, einer Arbeitsgruppe der österreichischen und der schweizerischen "Evangelischen Allianz". Titel dieser Kooperation: "Christen am Ball" ( www.christen-am-ball.com).

"Christen am Ball"

Ein komplexes Gebilde, das gesteht auch Uschmann ein, aber die Zusammenarbeit funktioniere dennoch sehr gut, auch wenn es in der Herangehensweise große Unterschiede gibt. Während die offiziellen Kirchen die EM lediglich spirituell begleiten wollen, sehen die Evangelikalen darin eine Chance zur Missionierung. Auch er selbst habe am Anfang Vorbehalte gehabt, die sich aber im Lauf der Zusammenarbeit in Luft aufgelöst hätten. Mittlerweile betont Uschmann in jedem zweiten Satz die Einzigartigkeit dieser Kooperation. Denn weder bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, noch jetzt im Nachbar- und Mitveranstalterland Schweiz sei eine solche gelungen.

Diese Annäherung der Amtskirchen zur evangelikalen Szene ist erst in den vergangenen drei bis vier Jahren überhaupt erst möglich geworden. Die historischen Kirchen und die evangelikale Szene hätten sich in kleinen Schritten aufeinander zu bewegt, meint Johannes Fichtenbauer, der sich den Dialog dieser beiden Welten schon in den 80er Jahren zur Lebensaufgabe gemacht hat. Er selbst habe immer wieder sehr positive Erfahrungen mit Menschen aus dem evangelikalen Bereich gemacht, erzählt er im Gespräch mit der Furche. 1995 wurde Fichtenbauer zum Diakon geweiht und wenig später von Kardinal Schönborn zu dessen "Sonderbotschafter" zur evangelikalen Szene ernannt, wie er selbst seine Position bezeichnet. Hauptberuflich ist er einer der beiden Hauptdiakone der Erzdiözese Wien und für die Diakonsausbildung zuständig.

Fichtenbauer lobt die Evangelikalen für ihre Entschiedenheit und Radikalität im Glauben, die auch in einer großen Bereitschaft zur Missionierung münde. Als ihren größten Fehler sieht er, neben der Tendenz zu sektiererischen Kontroll- und Zwangsmechanismen, die absichtliche Distanzierung von den historischen Kirchen. "Wenn sie den Katholizismus als Feindbild brauchen, um sich selbst zu definieren, dann tun sie mir leid." Ein weiterer Stolperstein sei der verbal-inspiratorische Biblizismus, also der Glaube daran, dass Gott die Bibel wörtlich diktiert hätte, und diese dadurch die uneingeschränkte Wahrheit enthalte. Dieser sei allerdings auch im evangelikalen Bereich bei Weitem nicht so weit verbreitet, wie angenommen würde. Auch deshalb sieht Fichtenbauer im Dialog mit den Evangelikalen nicht nur eine Chance, sondern sogar eine Notwendigkeit. Schließlich seien sie der eindeutig wachstumsstärkste Teil der Christenheit und könnten schon allein deshalb nicht ignoriert werden, wie es bis vor Kurzem Usus war.

Keine Wahl für die Kirchen

Sicherlich ist das einer der großen Gründe, warum sich die historischen Kirchen immer mehr auf Kuschelkurs mit den Evangelikalen begeben. Sie haben ob der immer schneller wachsenden evangelikalen Szene einfach keine Wahl. Mit Angst habe das allerdings nichts zu tun, meint Fichtenbauer. Im Gegenteil, die Geschichte habe gezeigt, dass die katholische Kirche, wenn sie Angst habe, eher mit Abschottung und Denunzierung als mit einer Annäherung reagiere. Schließlich gebe es ja auch noch einen weiteren Berührungspunkt. Sowohl von katholischer als auch von evangelischer Seite wird den Evangelikalen hoch angerechnet, dass sie in letzter Zeit wesentlich mehr in die Ökumene investiert hätten, als zuvor. Im Gegenzug seien auch der Vatikan und der Ökumenische Rat der Kirchen in Genf auf die Evangelikalen zugegangen, meint Fichtenbauer.

Auch von evangelischer Seite wird diese Tendenz bestätigt. Bischof Michael Bünker lobt die Zusammenarbeit mit großen Teilen des evangelikalen Spektrums, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass sich die evangelische Kirche nach wie vor vom fundamentalistischen Rand der Evangelikalen distanziert. Eine Art Verbindungsglied stellt hier die Evangelische Allianz dar, die viele evangelikale Bünde und Einzelgemeinden, aber auch einige evangelische Pfarrer vereint. Vereinfacht ausgedrückt trifft hier der konservative Rand der evangelischen Kirche auf den "liberalen" Rand der evangelikalen Szene. Die Evangelische Allianz selbst sieht sich freilich anders: "Wir sind nicht zuordenbar. Wir sind einfach eine Plattform von einzelnen Personen oder Gemeinden, die eine Glaubens- und Gebetsbasis miteinander teilen", so Christoph Grötzinger, der Generalsekretär der Evangelischen Allianz. Auch er lobt die Zusammenarbeit bei der Europameisterschaft. "Anfangs war es ein bisschen holprig, aber mittlerweile ergänzen wir uns gut." Warum plötzlich klappt, was davor jahrelang undenkbar war, kann er sich nicht erklären. "Vielleicht haben uns noch zu viele als Sekten gesehen, oder sie hatten Angst, dass wir ihnen ihre Schäfchen stehlen."

Diese Vorbehalte gibt es natürlich nach wie vor, doch glaubt man Johannes Fichtenbauer, so werden sie immer weniger. "Deren Liberalität ist bei uns natürlich noch sehr konservativ", meint er, aber genau da lägen die Berührungsflächen. Im Bezug auf die katholische Kirche, meint Fichtenbauer, seien es die so genannten Erneuerungsbewegungen, die dem evangelikalen Bereich sehr nahe stünden. "Die haben einen ähnlichen Code, eine ähnliche DNS."

Vor allem in der vollkommenen Ausrichtung ihres gesamten Lebens auf den Glauben gebe es hier starke Parallelen. Der große Unterschied liege allerdings darin, dass bei diesen Erneuerungsbewegungen das Bewusstsein, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein, nicht verloren gehe. "Dieses Bewusstsein fehlt den evangelikalen Freikirchen meistens", so Fichtenbauer.

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