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Zum 50. Todestag von Leo Baeck, des "Gelehrten" des liberalen Judentums.

Am 2. November jährt sich der Todestag Leo Baecks (1873-1956) zum 50. Mal. Er gilt als einer der bedeutendsten Repräsentanten des deutschsprachigen Judentums und zugleich als der Spiritus rector seiner liberalen Richtung.

1873 in Lissa bei Posen geboren, besuchte Leo Baeck das Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau und von 1894 an die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Der wichtigste philosophische Lehrer Baecks war Wilhelm Dilthey. Nach philosophischer Promotion über Spinoza und Ordination hatte er Rabbinate in Oppeln und Düsseldorf inne, bis ihn Berlin 1912 zum Rabbiner berief. Dort wirkte er zugleich als Dozent für Homiletik und Midraschforschung an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Als Großmeister des deutschen Distrikts des B'nai B'rith-Ordens, als der letzte führende Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, als Professor der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, des letzten jüdischen Seminars in Deutschland, der für eine sterbende Gemeinde noch immer heimlich Diplome an junge Rabbiner erteilte, hatte Leo Baeck sich geweigert, Deutschland zu verlassen - trotz des Drängens der deutschen Regierung. Er wurde Präsident der Reichsvertretung der Juden in Deutschland und 1943 nach Theresienstadt deportiert. Sein Wirken in diesem Konzentrationslager ließ ihn zu einem Glaubenszeugen des Judentums werden.

Nach der Befreiung 1945 ging Baeck nach London und nahm die Präsidentschaft der World Union for Progressive Judaism wieder auf. 1948 wird er nach Cincinnati als Professor für Religionsgeschichte am Hebrew Union College berufen. Er stirbt 1956.

Führer in schwerster Zeit

Leo Baeck war der Führer des deutschen Judentums in schwerster Zeit, der letzte rechtmäßig gewählte und nominierte Führer einer Gemeinde, die nach mehr als tausendjähriger Dauer aufgehört hatte zu existieren. Er war einer der großen Gelehrten seiner Generation, und was er über das Christentum, über Mystik oder alte Philosophie zu sagen hatte, wurde mit der gleichen Aufmerksamkeit aufgenommen wie seine großen Schriften zum Wesen des Judentums. Baecks Kollege Bruno Italiener hat anlässlich seines 80. Geburtstages 1953 ihn so charakterisiert: "Sie beriefen ... einen Rabbiner und zwar denjenigen, der unter allen anderen der größte war. Die jüdischen Menschen fühlten, ... dass ein Mann erforderlich sei, der dem Todfeind nicht nur mit den Waffen weltlicher Klugheit zu begegnen versuchte, sondern mit dem Rüstzeug, das unsere Propheten besaßen ..., ein Mann, der aus seinem lebendigen Gottesglauben und der heißen Liebe zum jüdischen Volke die tiefsten Kräfte zog."

Im Werk Baecks zeichnet sich ein Bild der damaligen jüdischen Theologie auf der Suche nach ihrer Identität ab. Die gesellschaftlichen Veränderungen, denen die jüdische Gemeinschaft seit der Emanzipation unterworfen war, machten eine Neuinterpretation jüdischer Religiosität notwendig. In seinem Werk folgte Baeck dem Appell Abraham Geigers: "Der Theologe muss theologisch philosophieren" - kohärent und systematisch und von einem religiösen Standpunkt heraus. Das Judentum musste im fortwährenden Wettbewerb mit der christlichen Umgebung immer wieder seinen ganz eigenen "Wert" beweisen. Alles, was an religiöser Neuinterpretation geleistet wurde, musste gleichzeitig zeitgemäß und doch so nahe an der jüdischen Tradition sein, dass es nach wie vor die Bezeichnung "jüdisch" verdiente. Er lehrte uns, was wesentlich war, er bewies uns, was wesentlich ist und bleibt.

Aufforderung zum Dialog

Leo Baeck verstand das Gefüge, das wir heute multikulturelle Realität nennen, als Aufforderung zum Dialog. Wenn man sich fragt, wie man zusammen mit anderen leben kann, so führe diese Frage auch zum Glauben zurück - und dazu, auf christlicher Seite selbstkritisch über die eigene theologische Wissenschaft zu reflektieren. Baeck formulierte das so: "Man muss die Juden kennen, wenn man das Evangelium verstehen will."

Leo Baeck hat in seiner hier zitierten, wegweisenden Rede von 22. April 1956 Judentum, Christentum und Islam die Muslime in dieses Gespräch einbezogen und das gemeinsame Erbe benannt. Seine Vision, genau 50 Jahre alt, vom gemeinsamen Weg der drei monotheistischen Religionen ist messianisch zu nennen: "Wir kommen zum Anfang zurück. Menschen und Gemeinschaften, Völker und Religionen sollen einander verstehen. Sie sollen nicht gleich werden, und sie können nicht gleich werden. Sie sollen aber einander verstehen. Verstehen bedeutet zugleich, voreinander Respekt zu haben, und vor dem anderen kann nur der Respekt haben, der vor sich selber Respekt hat. Auf jüdischer Seite hängt viel, vielleicht alles davon ab, dass wir es lernen, in dem Besten, das wir suchen, vor uns selber Respekt zu hegen. Dann werden wir lernen, vor den anderen echten Respekt zu haben, vor dem, was im anderen groß ist. ... dadurch, dass wir vor uns Respekt haben, [werden] die anderen es lernen, vor uns Respekt zu hegen und zu sehen, wie wir sind. Dann werden gute Tage kommen. Menschen und Völker und Bekenntnisse werden geschieden bleiben, werden in ihrer Besonderheit weiterleben, aber sie werden wissen, dass sie zusammengehören, Teil der einen Menschheit sind, zusammenleben sollen auf dieser unserer Erde, einander sehen und einander verstehend, und, wenn es Not tut, einander helfend."

Lernen mit Leo Baeck

Lernen mit Leo Baeck, das ist also Hinwendung zum Nächsten, hin zum Leben: "Das Leben zu wollen und zu gestalten, das ist die Forderung, die das Judentum an den Menschen richtet." Seinen Namen tragen viele jüdische Institutionen in der Welt, um sich dieser Aufgabe zu stellen. Baecks Verständnis von ethischen Monotheismus als Klammer über Religionsgrenzen hinweg bleibt als gesellschaftlicher Auftrag für die Gegenwart.

Der Autor ist Chairman der Leo Baeck Foundation, Vorstandsmitglied der World Union for Progressive Judaism und Rektor des Abra-ham Geiger Kollegs, der Rabbinerschule in der Nachfolge der Hochschu-le für die Wissenschaft des Juden-tums Berlin (vgl. Personalia, S. 8).

INFOS: www.leo-baeck-foundation.org

Buchtipps:

* Leo Baeck. Jüdisches Denken - Perspektiven für heute.

Von Walter Homolka. Verlag Herder, Freiburg 2006, 159 Seiten, kt., e 9,20

* Leo Baeck, eine Skizze seines Lebens

Von Walter Homolka, Elias H. Füllenbach. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006. 128 Seiten m. zahlr. Fotos, geb. e 16,40

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