Über die Kreditkarte zum ÜBERWACHUNGSSTAAT

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Die Befürworter der Abschaffung des Bargelds argumentieren, Bargeld würde nur von Kriminellen wirklich gebraucht, die damit ohne Spuren zahlen können. Doch in Wahrheit dürfte es um andere Motive gehen: um Überwachung und Geldpolitik.

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Die Befürworter der Abschaffung des Bargelds argumentieren, Bargeld würde nur von Kriminellen wirklich gebraucht, die damit ohne Spuren zahlen können. Doch in Wahrheit dürfte es um andere Motive gehen: um Überwachung und Geldpolitik.

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Einen Gebrauchtwagen für 10.000 Euro kaufen? Oder mal eben einen Ring für 7500 Euro beim Juwelier erstehen? Geht es nach der deutschen Bundesregierung, sind solche Geschäfte in Zukunft nicht mehr möglich. Das Bundesfinanzministerium plant Medienberichten zufolge eine Bargeldobergrenze von 5000 Euro. Damit sollen Geldwäsche und die Finanzierung terroristischer Aktivitäten erschwert werden. Schweden gilt als Vorreiter des bargeldlosen Bezahlens. Gemeindemitglieder entrichten ihre Abgaben via Textnachricht. Obdachlose in Stockholm nehmen Almosen mit einem Kartenlesegerät entgegen. Und selbst das Abba Museum, die Reminiszenz jener Popband, die in den 1970er-Jahren den Song "Money, Money, Money" schrieb, akzeptiert nur noch Kartenzahlung. Mit Scheinen und Münzen kann man dort schon lange nicht mehr bezahlen. In Kirchen wie der Filadelfia in Stockholm steht ein "Kollektomat", in dem man bequem mit Karte spenden kann. Der Satz "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt", hat nur noch begrenzte Gültigkeit.

Verschwindende Bar-Anteile

Scheine und Münzen machen nur noch rund zwei Prozent der schwedischen Wirtschaft aus, verglichen mit 7,7 Prozent in den USA und 10 Prozent in der Euro-Zone. Im fortschrittlichen Schweden, wo der Streaming-Dienst Spotify und die Entwickler des Smartphone-Spiels "Candy Crush" ihren Sitz haben, zahlen die Bürger immer mehr mit Kreditkarte oder Banking-Apps. Die größten Banken des Landes, SEB, Swedbank, Nordea Bank, geben gar kein Bargeld mehr aus und akzeptieren auch keine Sparbücher. Geldautomaten werden abgebaut.

Die Zeiten, in denen Dandys lässig ein paar Dollarnoten in ihrem Hemd stecken hatten oder man als Händler hohe Geldbeträge in der Brieftasche mit sich herumtrug, könnten bald vorbei sein. Das große Versprechen bargeldlosen Bezahlens lautet, dass die Transaktionskosten reduziert werden und der Zahlungsverkehr sicherer wird. Mit der Abschaffung des Bargelds sollen vor allem die Finanzströme der organisierten Kriminalität ausgetrocknet werden. Der Ökonom Kenneth Rogoff, ein Befürworter der Abschaffung, wies darauf hin, dass bei der Verhaftung des Drogenbosses Joaquín Guzmán ("El Chapo") 200 Millionen Dollar in 100-Dollar-Noten gefunden wurden. Geld sei schmutzig, behauptet das Kreditkartenunternehmen Mastercard.

Die Karte der Überwachung

Die Zahlung mit Kreditkarte mag komfortabel sein. Doch jede Transkation, und sei sie noch so geringfügig, wird in den Datenbanken der Kreditkartenunternehmen gespeichert - und liefert somit ein Instrument zur Überwachung. Die Kreditkarte verrät so einiges über unseren Lebensstil. Zwar werden nur die Metadaten wie Datum, Ort und Uhrzeit erfasst, doch aus den Daten lassen sich relativ leicht Rückschlüsse auf einzelne Personen ziehen. Ein Forscherteam des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Universität von Aarhus, das drei Monate lang die Kreditkartenkäufe von insgesamt 1,1 Millionen Menschen analysierte, hat herausgefunden, dass schon Angaben zu vier Bezahlvorgängen ausreichen, um 90 Prozent der Personen in einer anonymisierten Liste zu identifizieren.

Weiß man zum Beispiel, dass jemand am Montag einen Kaffee bezahlt hat, am Dienstag im Restaurant essen war und am Mittwoch im Kino, kann man diese Finanzdaten zweifelsfrei einer Person zuordnen. Sag mir, was Du kaufst, und ich sage Dir, wer Du bist. Der Bürger wird so durchschau- und berechenbar. Datenschützer und Ökonomen kritisieren, dass es dabei weniger um die Kriminalitätsbekämpfung als vielmehr um Überwachung gehe.

FAZ-Mitherausgeber Holger Steltzner, ein profunder Kenner des Geld- und Bankwesens, schreibt: "Politiker träumen vom gläsernen Wähler und Steuerbürger, Internetfirmen wollen alles über Kunden wissen, Banken brauchen neue Gebührenquellen, und manche Zentralbank will die Leute mit Strafzinsen zum Konsum treiben. Deshalb wird viel von Schwarzgeld oder Steuerflucht geredet und so getan, als kauften IS-Terroristen ihre Kalaschnikow bar in der Eckkneipe oder als wasche die Mafia ihr Geld in der Pizzeria statt in der eigenen Bank. Die Wahrheit ist schrecklicher: Die Feinde des Bargelds streben nach totaler Kontrolle."

Das sieht auch der Ökonom Daniel J. Mitchell vom Cato Institute in Washington so. Im Gespräch sagt er: "Der offensichtliche Zweck dieser Maßnahme ist es, der Regierung die Macht zu geben, private Transaktionen zu überwachen. Das ist besorgniserregend, weil Regierungen eine äußerst schlechte Menschenrechtsbilanz haben. Wäre es nicht klüger, die Ressourcen auf traditionelle Polizeiarbeit zu konzentrieren, um die Pläne von Kriminellen zu durchkreuzen?"

Die Politik hat einen Anreiz, Bargeld abzuschaffen. Sollten die Zentralbanken tatsächlich Negativzinsen einführen, mit der Folge, dass man für Einlagen zahlen muss, könnte man in einer bargeldlosen Gesellschaft nicht mehr einfach sein Guthaben auf dem Sparbuch abheben und das Geld unters Kopfpolster legen. Man wäre systemisch zum Konsum gezwungen. Unser Verhältnis zum Geld würde sich dadurch radikal ändern. Die bargeldlose Gesellschaft wolle mit dem archaischen Ideal brechen, dass Geld etwas Dingliches ist - und es durch die Vorstellung eines Bewertungssystems ersetzen. Schon heute berechnen Banken die Bonität aufgrund von Social-Media-Aktivitäten wie Tweets und Facebook-Likes. Wer die "falsche" Band liket oder im falschen Viertel wohnt, bekommt unter Umständen keinen Kredit. In einer bargeldlosen Gesellschaft wäre es auf anderer Ebene möglich, Zuckerkranken den Kauf von Cola zu verweigern.

Intelligente Kriminelle

Der Computerwissenschaftler Jason Hong von der Carnegie Mellon University glaubt nicht, dass die Abschaffung von Bargeld Geldwäsche unterbindet. "Die organisierte Kriminalität wird immer Wege finden, das System zu umgehen", sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. "Die Obergrenze bedeutet nur, dass Kriminelle kreativer in der Buchführung werden müssen und wie sie Geld waschen." Hinzu kommt, dass der Rückgriff auf Kreditkarten den Zahlungsverkehr nicht unbedingt sicherer macht. Immer wieder gibt es Meldungen über Hackerangriffe oder Datenklau bei Kreditkarteninstituten. Die Kryptowährung Bitcoin, die ohne intermediäre Akteure wie etwa (Zentral-)Banken auskommt, ermöglicht zwar anonymisierte Käufe, doch erleichtert sie auch den Erwerb illegaler Güter, so Hong.

Die Annahme, man müsse nur das Bargeld aus dem Geldkreislauf ziehen, um dubiose Finanzströme trockenzulegen, ist eine Illusion. Die Gewinner sind am Ende der Staat und die Kreditkarteninstitute, die noch mehr Daten - und damit auch Kontrolle - über ihre Kunden gewinnen. Der Verbraucher zahlt die Abschaffung des Bargelds mit seiner Freiheit.

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