"Übertölpelte Bischöfe"

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Letzte Woche zitierte die furche aus dem - vernichtenden - Bericht von Nuntius Cagna aus 1985 über Österreichs Kirche. Der Historiker Werner Maleczek bewertet das Dokument und kommt zum Schluss, dass es tatsächlich in Rom ankam.

Die Furche der vergangenen Woche veröffentlichte eine knappe Zusammenfassung des Schlussberichtes, den Nuntius Mario Cagna am Ende seiner Funktion in Österreich an den damaligen Kardinal-Staatssekretär Agostino Casaroli sandte. Cagnas in dunklen Farben gehaltene Charakterisierung der Situation der Kirche in Österreich veranlasste Kathpress-Chefredakteur Erich Leitenberger, in der Kathpress vom 22. Mai die Echtheit des Berichtes in Zweifel zu ziehen, seinen Ursprung in österreichischen Kreisen zu suchen und seine Absendung für unwahrscheinlich zu halten. Dies rechtfertigt es, das Dokument und die Umstände seiner Veröffentlichung ausführlicher vorzustellen und auf die Person Cagnas etwas einzugehen.

Die Relazione Finale della Missione di Mons. Mario Cagna, 1976- 1985 ist ediert in: "Un diplomatico vaticano fra dopoguerra e dialogo. Mons. Mario Cagna (1911- 1986), a cura di Alberto Melloni - Maurilio Guasco. Bologna, Il Mulino 2003", S. 359-377. Sie stammt aus Cagnas Nachlass, der heute im Archiv von Cagnas Heimatdiözese Casale Monferrato aufbewahrt wird. Dabei handelt es sich um 27 maschinschriftliche Blätter, die von Cagna persönlich unterschrieben wurden. Es ist also eine Zweitausfertigung, die der Nuntius nach seinem Abschied aus Wien am 1. Februar 1985 mit in seine Heimat nahm, wo er am 4. April des folgenden Jahres starb.

Auf Casarolis Schreibtisch

Die Frage, ob das Dokument tatsächlich seinen Weg auf den Schreibtisch des Adressaten Casaroli fand, ist mit Ja zu beantworten. Eine diesbezügliche schriftliche Anfrage des Autors vom 25. April 2005 an den derzeitigen Apostolischen Nuntius in Österreich, Erzbischof Georg Zur, wurde vom ersten Nuntiatur-Sekretär DDr. Rüdiger Feulner am 2. Mai in diesem Sinn beantwortet. Im Ausgangsverzeichnis der Wiener Nuntiatur ist unter Jänner 1985 der Schlussbericht Cagnas vermerkt. Die Vermutung, der Text sei von bestimmter österreichischer Seite redigiert und geschickt ins Italienische übersetzt worden, erledigt sich damit von selbst.

Es stellt eine große Ausnahme dar, dass ein derartiger Nuntiaturbericht an die Öffentlichkeit dringt. Das Vatikanische Archiv erlegt der Geschichtswissenschaft eine erheblich längere Sperrfrist auf, als dies staatliche Archive tun.

Zur Zeit sind Dokumente nur bis zum Ende des Pontifikates Benedikts XV. (1914-22) erhältlich. Ausnahmen werden extrem selten gewährt, außer der Heilige Stuhl ist selbst an der Veröffentlichung interessiert, wie dies bei Akten zum Verhältnis Papst Pius' XII. zu den weltlichen Mächten während des 2. Weltkrieges der Fall war. Es ist ein seit Jahrhunderten streng befolgtes Prinzip, dass der Aktenlauf innerhalb der vatikanischen Dikasterien nicht nach außen dringt. Man kann also nicht nachvollziehen, wer die Relazione finale außer dem Kardinal-Staatssekretär, dem alle Nuntiaturen unterstellt sind, tatsächlich gelesen und mit Anmerkungen versehen hat. Ob Papst Johannes Paul II. das Dokument je zu Gesicht bekam? Wahrscheinlich bei der Vorbereitung seiner zweiten Reise nach Österreich im Jahre 1988.

Graue Eminenzen et cetera

Es liegt ein - von den Ortskirchen ständig beklagtes - Geheimnis über dem Zustandekommen von vatikanischen Entscheidungen, besonders bei Bischofsernennungen. Das Kirchenrecht weist dem Papst wohl die letzte Verantwortung zu, aber wie die Dossiers entstehen, die der Papst mit seiner Unterschrift erledigt, ist von außen her nicht zu durchschauen. Jahrhundertelange Erfahrung zeigt, dass an der Kurie die informellen Kontakte, die Interventionen, die Seilschaften, die grauen Eminenzen, die Gerüchte und das Insiderwissen eine große Rolle spielen. Im Kontakt mit den Ortskirchen haben die Nuntiaturen das größte Gewicht, und den Berichten an die Zentralstellen kommt daher entscheidende Bedeutung für Weichenstellungen zu. Aber Genaueres werden vielleicht auch in diesem Fall erst unsere Nachkommen in 100 Jahren wissen.

Der Kathpress-Artikel vom 22. Mai stellt auch Widersprüche zwischen der Bewunderung Cagnas für die österreichische Kirche und Kardinal König einerseits und seinem pessimistischen Zustandsbericht andererseits fest. Dies fiel auch den Herausgebern schon auf, und sie vermuteten einen möglichen Zusammenhang mit der Krankheit des Nuntius. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Cagna am Ende seiner Amtszeit den Kontrast zwischen dem Bild einer mächtigen und gesellschaftswirksamen katholischen Kirche, wie er es in seinem bisherigen Werdegang verinnerlicht und knapp vor der Abfassung der Relazione finale beim Papstbesuch 1983 in Österreich noch erlebt hatte, und der Realität einer abbröckelnden und sichtlich schwächer werdenden Kirche in aller Schärfe diagnostizierte und seinen Vorgesetzten ins Bewusstsein rufen wollte.

Lu, die Priesterschmiede

Mario Cagna wird 1911 in Lu, einem kleinen Flecken in Piemont, der durch und durch katholisch war (1946 zählte man 2900 Einwohner, von denen 235 einen geistlichen Beruf hatten), geboren. Mit 23 Jahren wird er zum Priester geweiht und nach Rom zu weiteren Studien geschickt, wobei er als Gasthörer an der Ausbildungsstätte der vatikanischen Diplomaten zugelassen wird. Von damals datieren Bekanntschaften mit der späteren Crème der päpstlichen Diplomatie, unter anderem mit Agostino Casaroli. Die Aufnahme in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls 1937 bestimmt sein weiteres Leben. Nach diplomatischen Funktionen in den Niederlanden, Peru, Italien, Japan und schließlich, in einer heiklen Phase der vatikanischen Ostpolitik, in Belgrad (1966-76) wird er Nuntius in Wien.

In seine Zeit fallen die - begrüßten - Bischofsernennungen von Egon Kapellari (Gurk-Klagenfurt), Maximilian Aichern (Linz), Reinhold Stecher (Innsbruck), Florian Kuntner und Helmut Krätzl (Weihbischöfe in Wien). Im Jänner 1981 wird er von einem Schlaganfall getroffen, der ihn monatelang zur Rekonvaleszenz zwingt, Ende 1984 reicht er den Rücktritt ein, nimmt aber bis zu seiner Abreise alle Funktionen wahr.

Missionsland Österreich

Offensichtlich gab es unter dem freundlichen Äußeren des perfekten vatikanischen Diplomaten auch eine andere Schicht des besorgten Kirchenmannes, der die Erosion der katholischen Kirche in Österreich schwer ertrug und nach Erklärungen suchte. Zweifellos hat seine Relazione finale die vatikanische Einstellung zur österreichischen Kirche ab der Mitte der achtziger Jahre beeinflusst. In den Abschnitten, die die österreichischen Bischöfe betreffen, heißt es - neben den schon in der letztwöchigen Furche zitierten Passagen - unter anderem:

Es erscheint geradezu unglaublich, dass sich Hirten, die unbezweifelbar gut und fromm sind, von irregeleiteten und widersetzlichen Professoren, Priestern und Laien nicht nur übertölpeln lassen, sondern sie an verantwortungsvollen Stellen dulden, sie dorthin nominieren und sie unterstützen, während jene, die treu zum Papst und zur Hierarchie stehen, geächtet werden. Es waren die Bischöfe selbst - besonders durch die Synoden der Siebzigerjahre -, die sich in die Hände schnitten, indem sie einen Apparat von demokratischen' Institutionen schufen, deren Sklaven sie bleiben und die ihnen ein Alibi für ihre Resignation bieten [...] In ihrer Seelsorge stellen viele Bischöfe ihre große Hingabe unter Beweis, freilich mit nicht wenigen Kompromissen. Sie kümmern sich nur wenig um die Pastoral der jungen Generation, besonders an den Universitäten [...] Um eine Brücke zwischen dem Volk und der Hierarchie zu schlagen, wird es nötig sein, die Hierarchie zu verjüngen. Es braucht dringend Seelsorger, die in Einfachheit mitten im Volk leben. Das Morgen des Großteils der Jugend und der Kirche selbst steht auf dem Spiel. Die Menschen warten. Österreich ist ein Missionsland.

Roggendorf-Wallfahrer

Ob die Ernennungen der Bischöfe Hans Hermann Groer (1986), Kurt Krenn (1987) und Georg Eder (1988), die die österreichische Kirche belasteten und die Erosion beschleunigten, nicht im Licht dieses Textes deutlicher werden? Schon sechs Wochen nach seiner Ankunft in Wien im Juni 1976 nahm Nuntius Cagna am 13. August an der Monatswallfahrt nach Maria Roggendorf teil. Der Wallfahrtsdirektor hieß Hans Groer ...

Der Autor ist Professor für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Wien (Forschungsschwerpunkt: Papst- und Kurialgeschichte).

Auf Anfrage stellt der Autor die deutsche Übersetzung der Relazione finale zur Verfügung (werner.maleczek@univie.ac.at).

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