Übertritt in beide Richtungen

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Am 5. August verstarb in Paris Kardinal Jean-Marie Lustiger. Dies war von weltweiter Anteilnahme begleitet - auch von jüdischer Seite. In Nachrufen wurde immer wieder die jüdische Herkunft des Kardinals hervorgehoben, der 1926 als Aaron Lustiger in Paris geboren worden war, sich nach der Deportation seiner Eltern bei einer Pflegefamilie in Orléans versteckte und mit 14 Jahren getauft wurde. Anlässlich des 40. Jahrestag der Konzilserklärung "Nostra Aetate" sollte 2005 in Rom Lustiger sprechen. Der römische Oberrabbiner Riccardo di Segni verurteilte damals diese Wahl: Lustiger sei durch seinen Übertritt kein Vorbild für den Dialog von Juden und Katholiken.

Andere Rabbiner und ich nahmen aber demonstrativ teil. Denn zum Dialog gehört unweigerlich auch das Risiko, dass Leben und Zeugnis meines Gegenübers mich dazu motivieren könnte, die Seiten zu wechseln. Wenn wir, wie Johannes Paul II. einmal gesagt hat, Brüder sind, dann sollte uns ein solcher Wechsel Einzelner nicht irritieren. Diese Bewegung gibt es in beide Richtungen. Im Juni 2007 überbrachte bei der Amtseinführung der ursprünglich evangelischen Rabbinerin Gesa Ederberg in Berlin die evangelische Bischöfin von Hamburg, Maria Jepsen, Grüße auch im Namen des Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Wolfgang Huber.

Könnte auch die katholische Kirche damit fertig werden, dass es eine Zahl von Juden gibt, die ursprünglich in das Christentum hineingeboren waren, bevor sie zur Bruderseite gewechselt sind? Könnte die katholische Kirche über ihren Schatten springen und akzeptieren, dass die Taufhandlung an einem Kind nicht schwerer wiegt als die freie Entscheidung des Jugendlichen oder Erwachsenen, einen jüdischen Weg mit Gott zu gehen, den Weg des "älteren Bruders"? Dann erst wäre Lustigers jüdische Herkunft keiner Rede mehr wert.

Der Autor ist Rektor des Abraham-Geiegr-Kollegs in Potsdam.

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