Übles Spiel mit Saddams Feinden

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Eigene Schwächen, fatale Fehlleistungen und Manipulationen durch westliche Mächte raubten der irakischen Exilopposition jede Glaubwürdigkeit.

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Eigene Schwächen, fatale Fehlleistungen und Manipulationen durch westliche Mächte raubten der irakischen Exilopposition jede Glaubwürdigkeit.

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Immer stärker setzt sich in Washington offenbar die Überzeugung durch, daß der Irak die Bedingungen des UN-Abrüstungsprogrammes nicht erfüllen wird, solange Saddam Hussein an der Macht ist. Immer wieder provoziert der Herrscher am Tigris einen Konflikt mit der UN-Abrüstungskommission für den Irak (UNSCOM) und setzt die USA damit unter Handlungszwang. Doch die Optionen der Supermacht im Umgang mit dem widerspenstigen Diktator bleiben eng begrenzt. Aus den jüngsten drei schweren Konflikten mit den Waffeninspektoren - im September 1996, im November 1997 und im Februar 1998 - ging Saddam jeweils gestärkt hervor.

Saddam Hussein hält die Zügel der Macht fest in Händen. In der arabischen Welt hat man sich mit einem Weiterleben mit Saddam längst abgefunden. Unter den arabischen Massen wächst das Ansehen eines Mannes, den die Amerikaner trotz all ihrer Macht nicht niederzuzwingen vermögen. In diesem Raum mehren sich nun die Stimmen jener, die den Ausgestoßenen zurückholen wollen in den Schoß der arabischen Gemeinschaft, damit er diese im wachsenden Konflikt mit Israel stärke.

Diese Entwicklungen mögen die USA wohl bewogen haben, der Zukunft des Bagdader Regimes erneute Aufmerksamkeit zu schenken. So präsentierte die US-Regierung auf Drängen des Kongresses nun einen Plan zur Neubelebung der irakischen Opposition. Das 27 Seiten umfassende Dokument zeichnet Meilensteine auf dem Weg zu einer "pluralistischen Demokratie" im "Irak nach Saddam". Einzelheiten des Konzepts wurden unlängst im "Wall Street Journal" veröffentlicht. Danach spendierte der Kongreß bereits fünf Millionen US-Dollar zur Unterstützung der irakischen Opposition. Die Hälfte dieses Betrages soll in den Aufbau eines Aktions- und Propagandazentrums in London fließen, in die Rekrutierung und Ausbildung von Aktivisten und in eine umfangreiche Informationsstrategie. Die Hälfte soll die Sammlung von Beweismaterial für einen Kriegsverbrecherprozeß gegen Saddam Hussein ermöglichen. Die politische Botschaft der Opposition soll über ein mit weiteren fünf Millionen US-Dollar aufgebautes "Radio Free Iraq" in das Zweistromland ausgestrahlt werden. Zugleich ließen hohe US-Beamte durchsickern, daß man in Washington an "ehrgeizigen" Geheimoperationen gegen das Saddam-Regime bastle. Die beiden zerstrittenen irakischen Kurdenführer Massoud Barzani und Jalal Talabani wurden nach Washington geladen, um das Rückgrat einer neuen Opposition zu bilden.

Bittere Erfahrungen Washingtons Strategie gegen das Bagdader Regime überrascht. Bittere Erfahrungen mit den USA haben Saddams irakische Gegner zutiefst skeptisch gestimmt.

Als die amerikanischen Truppen am Ende des Kuwaitkrieges 1991 auf Befehl des damaligen US-Präsidenten George Bush die flüchtende irakische Besatzungsarmee nicht weiter bis nach Bagdad verfolgten, um Saddam Hussein zu schonen, setzte ein zynisches Spiel mit den Gegnern und Opfern des Despoten ein, ein Spiel, das Tausende Menschen das Leben kostete. Bush appellierte an das irakische Volk, sich gegen seinen Tyrannen zu erheben, und Millionen Menschen (Kurden) im Norden, wie im überwiegend schiitischen Süden wagten die Rebellion in der vollen Überzeugung, der Kriegssieger werde sie vor Saddams grausiger Rache bewahren. Doch tatenlos sahen die Amerikaner zu, wie die Helikopter des Despoten über kurdischen Dörfern Bomben abwarfen, wie Saddams Elitetruppen Hunderttausende Menschen in die Flucht trieben, wie sie im Süden mit Panzern und schwerer Artillerie die Aufständischen niedermetzelten.

Kurden-Schutzzone Unter dem Druck einer empörten Weltöffentlichkeit errichteten die USA mit britischer und französischer Unterstützung im Nord-Irak (nördlich des 36. Breitengrades) eine Schutzzone für mehr als drei Millionen Kurden, die sie durch Aufklärungsflüge aus der Luft bis heute vor erneuten Rachefeldzügen Bagdads bewahren. Doch Washingtons Politik blieb halbherzig, ohne klares Konzept und voller Widersprüche. Man ersehnte Saddams Sturz, unterstützte zu diesem Zweck seine politischen Gegner, half ihnen, ihr Hauptquartier in dem von Kurden kontrollierten nordirakischen Erbil zu errichten und entsandte dorthin auch Agenten des Geheimdienstes CIA. Offiziell jedoch hielt sich Washington an ein seit den siebziger Jahren geltendes Verbot der Inszenierung von Coups d'Etat gegen ausländische Staatschefs. Inoffiziell organisierten dagegen CIA-Beamte, gemeinsam mit dem "Irakischen Nationalkongreß" (INC, dem 1991 mit US-Segen gegründeten Dachverband von 30 Oppositionsgruppen unterschiedlichster politischer Richtung) Geheimoperationen gegen Bagdad, zogen sich aber im letzten Moment davon zurück, weil ihnen die Führung in Washington die Rückendeckung versagte. Die CIA setzte den INC für Spitzeldienste und für seine eigene Propaganda ein, versagte ihm aber die Unterstützung, die Operationen gegen Bagdad überhaupt erste eine Chance gegeben hätten.

In Januar 1996 entschlossen sich die USA, künftig lieber auf die Gruppe der "Nationalen Einigkeit des Iraks" (INA) aus abgesprungenen Offizieren und Funktionären der herrschenden Baath-Partei zu setzen. Doch bevor deren erster Umsturzversuch auch nur begann, zerschlug Saddam das Netz der Verschwörer. Mehr als hundert Offiziere wurden hingerichtet. Kein Zweifel, die INA war von Hussein-Leuten unterwandert.

Nur zwei Monate später erlitt die CIA im Nord-Irak ihr größtes Fiasko. In einem gewaltsam ausgetragenen Kampf um Geld und Macht rief Kurdenführer Massoud Barzani den Erzfeind der Kurden in Bagdad zu Hilfe: Saddams Truppen eroberten für Barzani die Kurdenhauptstadt Erbil aus den Händen Jalal Talabanis. Washingtons Agenten konnten gerade noch rechtzeitig flüchten. Ihr Geheimdienstnetz wurde von Bagdad zerschlagen. Die USA überließen erneut Saddams Gegner schutzlos der Rache des Despoten. 200 Dissidenten wurden hingerichtet, an die 7.000 konnten die USA später außer Landes in Sicherheit bringen.

Die Tragödie von Erbil hat der irakischen Opposition einen fast tödlichen Schlag versetzt. Sie ist heute total zersplittert, zerstritten, desillusioniert und ohne Rückhalt in der Heimat. Enge Bindungen an die USA haben vielen Oppositionellen bei der heimischen Bevölkerung jede Glaubwürdigkeit geraubt, da der überwiegende Teil der Iraker Washington für die fortgesetzte Sanktionspolitik, für ihr endloses Darben, Leiden und Sterben verantwortlich macht.

Rücksicht auf Türkei Ungeachtet des fatalen kurdischen Doppelspiels versucht die US-Regierung nun verstärkt, Barzani und Talabani miteinander auszusöhnen und deren Bewegungen zum Rückgrat einer wiederbelebten Oppositionsfront aufzubauen - immerhin stellen die Kurden ein Viertel der irakischen Bevölkerung. Die irakischen Kurdenführer haben freilich in den vergangenen Jahren ein klägliches Schauspiel von Intrigen, Machtstreben und Verrat geliefert und damit eine historische Chance verspielt: der Welt zu beweisen, daß sich die Kurden verantwortungsbewußt selbst verwalten können. Doch die Schuld liegt keineswegs nur auf ihrer Seite. Nach der Katastrophe von 1991 gewährten die USA den Kurden gerade nur so viel Beistand, daß sie nicht in Massen dahinstarben. Die dringend nötige Hilfe zum Aufbau der lokalen Wirtschaft und Administration verweigerte man. Die USA ließen sich hierbei von ihrer engen Verbündeten Türkei leiten, die unter allen Umständen verhindern wollte, daß sich eine kurdische Autonomie im Nord-Irak als Erfolg erweisen würde. Ankara fürchtete die Beispielwirkung auf die eigene unterdrückte kurdische Bevölkerung. Ebenso empfanden auch die Iraner und die Syrer, die beide kurdische Minderheiten im Land haben. Und Amerikas arabische Freunde am Golf zitterten um die Einheit des Zweistromlandes, dessen Zerfall Irans Macht unweigerlich stärken würde. Alle hegten größtes Interesse, das kurdische Selbstverwaltungs-Experiment zu sabotieren.

Chaotische Opposition Washingtons halbherziger Beistand entmutigte Barzani und Talabani und drängte die Kurdenführer in die Arme Bagdads. Beide bestritten nicht die jüngste Behauptung des stellvertretenden irakischen Premiers Tareq Aziz, Bagdad unterhalte seit langem "normale" Beziehungen zu den Kurden. Barzani gestand eben offen ein, daß seine Bewegung größtes Interesse an einer Verhandlungslösung mit Saddam hege, solange die Bedingungen "fair" seien. Während also Washington erneut um die Kurden wirbt, verhandeln Barzanis Abgesandte in Bagdad mit dem Despoten über eine gemeinsame Zukunft. Die Kurden von Saddams ausgestreckten Armen fernzuhalten, ist zweifellos Washingtons Ziel. Erstmals aber lassen die USA auch ihre Bereitschaft erkennen, öffentlich mit "SAIIRI", dem im Iran stationierten "Höchsten Rat für die islamische Revolution im Irak" zu verhandeln, deren schiitische Mitglieder von den USA bisher als "Terroristen" gebrandmarkt wurden. Doch ohne Schiiten (wie ohne Kurden) läßt sich keine "Nationale Rettungsfront" für den Irak aufbauen.

Um daheim Glaubwürdigkeit zu gewinnen, habe die zerstrittene, "chaotische und desorganisierte" Opposition freilich einen langen Weg zurückzulegen, gesteht der unabhängige Exil-Intellektuelle Laith Kubba offen ein. "Es gibt Schwächen in der politischen Kultur. Dies hat sich auch unter der Opposition gezeigt", betont Kubba. Und er beklagt bitter das Versäumnis des Westens, die demokratisch gesinnten Iraker bei der Überwindung dieser Schwächen zu unterstützen. Noch sei es nicht zu spät, aus der rund einen Million Exil-Irakern - darunter höchst fähige Intellektuelle, Politiker, Staatsmänner und Technokraten - eine nationale Repräsentation aufzubauen, die eines Tages einen entscheidenden Beitrag zu einer demokratischen Zukunft des Landes nach Saddam leisten könnte.

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