Papst und Kyrill - © APA / AFP / Vatican Media / Handout   -   Videokonferenz von Papst Franziskus mit Patriarch Kyrill am 16.3.2022

Ukrainekrieg: Der Patriarch und der Papst

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Mit seiner Kriegsrhetorik, in der er russischen Soldaten, die im Ukrainekrieg den Tod finden, den Ehrentitel „Märtyrer“ verleiht, missbraucht der Moskauer Patriarch Kyrill I. seine kirchliche Autorität. Er missachtet auch die biblische Gewaltenteilung zwischen Königtum und Prophetie.

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Mit seiner Kriegsrhetorik, in der er russischen Soldaten, die im Ukrainekrieg den Tod finden, den Ehrentitel „Märtyrer“ verleiht, missbraucht der Moskauer Patriarch Kyrill I. seine kirchliche Autorität. Er missachtet auch die biblische Gewaltenteilung zwischen Königtum und Prophetie.

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Vor einigen Jahren war es wichtig, an die Bedeutung des Märtyrertitels zu erinnern und seinen Missbrauch durch Dschihadisten zu kritisieren. Auch in westlichen Medien begegnete einem die fahrlässige Rede von „IS-Märtyrern“. Dabei geht es nicht an, islamistischen Selbstmordattentätern den Ehrentitel von wirklichen Märtyrern zuzubilligen. Es kommt einer Verhöhnung der Opfer gleich, die durch den Terror in den Tod gerissen werden – und es ist Hohn auch für die Hinterbliebenen, die die Opfer betrauern. Terror im Namen Gottes ist Blasphemie.

Für den christlichen Begriff des Märtyrers ist die Semantik des Gewaltverzichts leitend. Der Märtyrer ist Zeuge des Glaubens, er erduldet Gewalt und übt sie nicht. Wie Jesus die Feindesliebe gepredigt hat, so hat er am Kreuz Gewalt nicht mit Gegengewalt beantwortet, sondern noch sterbend für seine Peiniger gebetet. Diesem Vorbild hat Stephanus, der erste Märtyrer, entsprochen, als er unter dem Hagel der Steine ebenfalls für seine Mörder um Vergebung flehte. In der frühen Kirche haben sich Christen dem römischen Staatskult widersetzt. Weil sie die geforderten Opfer verweigert haben, um das Bekenntnis zum einen Gott nicht zu verletzen, wurden sie als „Atheisten“ diffamiert, verurteilt und hingerichtet.

Allerdings ist es schon während der mittelalterlichen Kreuzzüge zu Instrumentalisierungen des Märtyrerbegriffs gekommen. Denen, die für die Rückeroberung des Heiligen Landes kämpften, wurde der Himmel versprochen, um ihre Kampfmoral zu steigern. Noch im Ersten und Zweiten Weltkrieg trugen deutsche Soldaten die Aufschrift „Gott mit uns“ auf dem Koppelschloss, als sei Deutschland das erwählte Volk und Gott ein Nationalgott und nicht der Gott aller Menschen. Rückblickend ist diese Kriegstheologie als blasphemisch verworfen worden. Heute steckt im Gedenken der christlichen Märtyrer der Anstoß, aus dem Glauben heraus Widerstand gegen politische Idolatrie zu leisten und den Frieden zu fördern.

Öl ins Getriebe der Kriegsmaschinerie

Dieses Verständnis des Martyriums wird vom Moskauer Patriarchen Kyrill I. gezielt unterlaufen, wenn er russischen Soldaten, die im Kampf gegen den Feind den Tod finden, den Ehrentitel „Märtyrer“ verleiht. Ausdrücklich will er sie durch geistliche Unterstützung für den Einsatz an der Front stärken. Statt als kirchliche Autorität für eine Unterbrechung der immer rücksichtsloseren Kriegshandlungen in der Ukraine einzutreten und im festgefahrenen Freund-Feind-Schema für diplomatische Gespräche zu werben, missbraucht der Patriarch seine Stellung und gießt Öl ins Getriebe der immer heißer laufenden Kriegsmaschinerie. Gerade zum Jahrestag der russischen Invasion am 24. Februar brauchte Präsident Wladimir Putin sichtbare militärische Erfolge, um in der Bevölkerung die Zustimmung für seine „Spezialoperation“ zu erhöhen. Dabei nimmt er den Tod unzähliger Soldaten billigend in Kauf.

Im Hintergrund der politischen Theologie Kyrills, die „Gott“ als symbolisches Kapital der Kriegsführung einsetzt, steht ein dualistisches Schema, das den Krieg zwischen Russland und „dem Westen“ als meta­physischen Kampf stilisiert. Kyrill beansprucht dabei die Deutungshoheit, wer die Bösen und wer die Guten sind. Die Völker der heiligen Rus – Russland, Belarus, Ukraine – sind für ihn eine gottgewollte politische Entität, die es zusammenzuhalten und zu verteidigen gilt: ein Reich, ein Volk, ein Glaube. So lautet das ideologische Konstrukt, in dessen Namen Kyrill das Recht auf Selbstbestimmung der Völker glaubt missachten zu können. Eine Ukraine, die politische Autonomie anstrebt, einen eigenen souveränen Staat bildet und die Anbindung an die EU sucht, kommt in diesem Konstrukt nicht vor. Die heilige Rus muss daher vor westlicher Infiltration geschützt und im Ernstfall mit militärischer Gewalt verteidigt werden.

Das enge Bündnis zwischen Thron und Altar hat in der Geschichte Russlands Tradition. Präsident Putin hat der russisch-orthodoxen Kirche enorme Gelder aus dem Staatshaushalt zukommen lassen. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums und dem Ende der atheistischen Staatsideologie sollten wieder flächendeckend Kirchen aufgebaut oder marode Sakralgebäude saniert werden. Umgekehrt erwartet der Kreml-Chef von der Kirche ideologische Schützenhilfe für seine Expan­sions-Politik.

Kreuz als imperiales Symbol

Patriarch Kyrill, der in jungen Jahren selbst KGB-Agent gewesen ist, kommt dem bereitwillig nach. In Predigten verteufelt er den Westen, segnet Waffen und verspricht gefallenen Soldaten den Himmel. Das Kreuz, Zeichen der memoria passionis, wird dadurch zu einem imperialen Symbol; der gefallene Kriegsheld, der gerade noch geschossen hat, soll ein heiliger Märtyrer sein. Töten für das heilige Vaterland und Sterben für Gott gehen hier eine toxische Allianz ein.

Die Warnung von Papst Franziskus, Bischöfe sollten sich nicht als Ministranten politischer Macht andienen, hat Patriarch Kyrill in den Wind geschlagen. Dabei knüpft der römische Pontifex, der lange gezögert hat, den russischen Aggressor beim Namen zu nennen, an die Friedensdiplomatie der Päpste des 20. Jahrhunderts an. Er legt auf Unparteilichkeit Wert. Das sollte man nicht als heimliche Komplizenschaft mit dem Aggressor auslegen. Seine Solidarität mit der Ukraine steht außer Frage. „Christliche Feindesliebe“, schreibt er in seiner Enzyklika Fratelli tutti, „bedeutet im Falle eines Aggressors, ihn daran zu hindern, Böses zu tun, ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen.“ Das geht nicht ohne wehrhafte Verteidigung.

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