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Um den „Operismus“

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Weil die Päpste immer wieder feststellen, daß „die soziale Frage und die in ihr enthaltenen Streitfragen über Art und Dauer der Arbeit, Lohnhöhe, freiwillige Arbeitseinstellung nicht rein wirts c h aft- 1 icher Natur und daher nicht von solcher Art sind, daß sie ohne Rücksicht auf die Autorität der Kirche entschieden werden dürften"(Singular! quadam 12. September 1912), und besonders weil Leo XIII. streng betonte: „Es ist irrige Meinung, die auch in die Volksmenge eindringt, die soziale Frage sei, wie sie sagen, eine bloß wirtschaftliche, während es doch sicherste Wahrheit ist, daß sie in erster Linie eine sittliche und religiöse Frage ist und daher hauptsächlich nach dem Sittengesetz und dem Urteil der Religion entschieden werden muß“ (Graves de communi 18. Jänner 1901), deswegen hat dieser Papst selbst, „gestützt auf die unwandelbaren Grundsätze von Vernunft und Offenbarung, die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Besitzenden und der Enterbten, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer beleuchtet“ (Quadragesimo anno 11) und Pius XL abermals betont, daß „die von Gott uns anvertraute Hinterlage der Wahrheit und das von Gott uns aufge- tragene heilige Amt, das Sittengesetz in seinem ganzen Umfang zu verkünden, zu erklären und — ob erwünscht, ob unerwünscht — auf seine Befolgung zu dringen, nach dieser Seite hin, wie den gesellschaftlichen, so den wirtschaftlichen Bereich vorbehaltlos unserem höchst richterlichen Urteil zu unterwerfen“ (Quadragesimo anno 41). Daher wendet sich dieser Papst schließlich an den Klerus (Quadragesimo anno 142), daß er durch „angestrengtes Studium der Gesellschaftswissenschaften“, „mit hochentwickeltem Gerechtigkeitssinn und männlichem Mut ungerechten Ansprüchen und Machenschaften entgegentrete und Herz und Sinn der Menschen dem Gesetz der Gerechtigkeit und Billigkeit geneigt mache“.

Aus diesen Erwägungen heraus, nicht als ob Christus eine „nationalökonomische Schule gegründet" hätte, wurde das Buch „Operismus“ geschrieben und wurden die bleibenden Sittengesetze der Tradition zusammengestellt; nicht als ob damit eine bestimmte Wirtschafts form angegeben wäre, mit der „die Kirche schwanger“ sei,

s Vergleiche Universitätsprofessor Dr. A. Knoll, „Die Furche“, Nr. 31: „Operismus“.

sondern weil es immer Art der Kirche war, ihre Theologen, die noch nicht die Kirche selbst sind, zu beauftragen, den Maßstäb der Sitten- und Rechtsgrundsätze an die im Laufe der Zeit entstehenden Wirtschaftsformen anzulegen und darüber zu urteilen, ob die Hantierungen und Machenschaften den Grundsätzen der Offenbarung entsprechen. Es kann v i e 1 e Formen der Wirtschaft geben, an denen man vom Standpunkt der Sittlichkeit nichts auszusetzen hat, die „die Kirche im Rahmen ihres Sittengesetzes verträgt", andere aber wieder muß sie ablehnen, wie zum Beispiel solche, die wesentlich auf Mehrwertaneignung aufgebaut sind oder absolut das Eigentumsrecht leugnen. Andererseits muß die Kirche, auch wenn sie schon nicht das ganze System ablehnt, doch ein Urteil fällen können, ob gewisse Erscheinungen dem Ideal entsprechen, das sie predigen muß, zum Beispiel in der Entproletarisie- rung, in der Gesellschaftsordnung usw.

Da kann es nun vorkommen, daß die Theologen selbst oft unschlüssig, verschiedener Meinung sind; damit ist aber nicht gesagt, daß die Kirche nicht die gerade Linie eingehalten habe und einmal so und dann wieder anders entschieden habe. Ich glaube daher, wenn Professor Knoll genau unterscheiden würde zwischen Kirche und Theologen, zwischen Wirtschafts ideal und Wirtschaft? form, zwischen den immer gleichbleibenden G e- setzen und deren Befolgung oder Nichtbefolgung innerhalb der verschiedensten Systeme, die „selbst nicht aus der Kirche deduzierbar“ sind, aber, wenn sie da sind, die Richtigkeitsprobe vor den ewigen Gesetzen bestehen müssen, ansonst sie abzulehnen sind, dann würde er nicht sagen, daß wir soziale Lehrmeinungen zu Glaubenssätzen erheben. (Siehe „Furche“ Nr. 31 über den „Operismus“.)

Schon das klang für ihn aufreizend, daß die Zusammenfassung der Wirtschaftsgrundsätze „Operismus“ genannt wurde; aber es geschah dies auf Grund der „Majestät der Tatsache“, daß wirklich in der ganzen Tradition die menschliche Arbeit im Mittelpunkt steht. Nach Professor Walter Ruhland („System der politischen Ökonomie", I., 216) hat „das Mosaische Gesetz in bewundernswerter Weise das vör- weggenommen, was die moderne, ethische Nationalökonomie mühsam und vielfach unklar zu erreichen strebt; ihm, nicht

Adam Smith, gebührt die Priorität, auf die Arbeit als allgemeine Menschenpflicht hingewiesen zu haben; Zinsverbot, Aufsteigen des Arbeiters in den Mittelstand, Jubeljahr, scheinen schon damals auf“. Das einzige, was der Mensch von Natur aus hat, sind seine Geistes- und Körperkräfte, die er verwendet, um sich die Güter der Erde anzueignen, oder ihnen eine für diesen menschlichen Gebrauch nützliche Form zu geben. Die mittelalterlichen Theologen kannten keine andere Theorie. (Siehe Jansen „Geschichte des deutschen Volkes“ I.) Daher auch das erste Gebot im Paradies, die Erde zu bearbeiten, zu bewahren und sich untertan zu machen.

Das so Angeeignete wird dann durch ein eigenes Gebot geschützt (7. Gebot), die Übervorteilung des Nächsten verboten (Äquivalenzgesetz), bei Dienstleistungen muß der gerechte Lohn bezahlt, die Marksteine dürfen nicht verrückt, bei Darlehen darf etwas über die geliehene Summe Hinausgehendes nicht gefordert werden. Damit sind Grundsätze gegeben, die in jeder Wirtschäfts- f o r m Geltung haben. Ob sie nun tatsächlich in dieser oder jener Form befolgt werden, darüber können die Theologen öfter verschiedener Meinung sein, damit ist aber nicht gesagt, daß die Kirche selbst zwiespältig entschieden habe.

Auch für P. Pesch S. J. ist die Arbeit in seinem „sozialen Arbeits- s y s t e m“ das Wichtigste und darf daher in einer Auseinandersetzung mit den Arbeitern auch betont werden. Dabei wurde wohl die scholastische Arbeitswerttheorie, aber nicht die des Marx angenommen, obwohl wir diesem ebenfalls die Hochachtung vor der Arbeit zugute halten wollen. Daß wir die menschliche Arbeit, die wohl die Hauptursache (nicht Alleinursache, wie Knoll sagt) der Tauschwerte ist, nicht einfach neben die Instrumentalursachen, wie Natur und Maschinen, sondern über sie stellen, dürfte ebensowenig überraschen im Zeitalter, in dem die Persönlichkeit, der Personalismus, so betont wird, wie die Ablehnung einer Überspitzung des Eigentumsrechtes, da doch gerade Quadragesimo anno sosehr die soziale Seite derselben hervorhob. Damit hat der Papst die Bemühung derjenigen, die in harten Kämpfen ein Einschleichen des wirklich heidnischen (nicht bloß „angeblich", wie Knoll sagt) Eigentumsbegriffes v e r h i n d e r t e n, gutgeheißen.. Daß es da Theologen geben kann, wie P. Weiß, Professor Spacher, P. Muckermann S. J., die anderen vorwerfen, zu nachgiebig gegenüber gewissen Zeitströmungen zu sein, ist natürlich, da immer die einen mehr zu den Reichen helfen, die „eigentlich ohnehin ihren Reichtum als Bollwerk“ hätten (Pius XL), die anderen aber meinen, „nicht das Knie vor dem Baal Mammon beugen" und mehr auf Seite der Enterbten stehen zu müssen. „Gehet zu den Armen“, mahnt Pius XI. den Klerus.

Daher auch Knolls Stellungnahme zum Zinsverbot. Er meint, die Kirche könne heute den Zins nur dann erlauben, wenn die Institution als solche gerecht und erlaubt ist; nach ihm hätte also die Kirche in den ersten geistlichen Jahrhunderten den Christen nur deshalb erlauben können, Sklaven zu halten, weil damals die Sklaverei als solche gerecht und erlaubt war. Und doch war sie damals geradeso etwas Schlechtes wie heute; da aber die

Kirche die Wirtschaftsform nicht ändern konnte, suchte sie das eigentlich Schlechte, nämlich einen Menschen wie eine rechtlose Sache zu behandeln, aus der Sklaverei zu entfernen, während sie die Form zunächst belassen mußte (der heilige Paulus sandte den entlaufenen Sklaven Onesimus dem Philemon zurück mit der Weisung: Nimm ihn auf nicht als Sklaven, sondern als einen Bruder). Genau so meinen einige Theologen, daß man, um das Zinsnehmen rechtfertigen zu können, nicht gleich an die Er- laubtheit des Zinses als solchen denken müsse, sondern daß bei Fortbestand des Verbotes heute Gründe existieren, die bewirken, daß ein „Mehrbezug“ nicht eine Äquivalenz Verletzung, sondern Her-Stellung verletzter Äquivalenz. Damit ist das Analogon mit dem Verhalten bei der Sklaverei vollständig gewahrt, die Kontinuität der kirchlichen Traditio aufgezeigt und auch der Sinn des ersten Teiles des Kanons 1543 erklärt, der tatsächlich noch die Graduität des Darlehensvertrages festhält, während es den etwa dreißig verschiedenen Zinstheorien, die alle einander widersprechen, bis jetzt nicht gelang, den Zins als Institution zu rechtfertigen. In welcher der beiden Ansichten besser die Autorität der Kirche gewahrt ist, mögen die Leser entscheiden. Für die wirtschaftliche Praxis sind beide Theorien gleich.

Der tiefere Grund aber, warum Professor Knoll ein solches Verdikt fällte, ist, weil „meine Methode unhaltbar" sei; er meint damit, daß ich nicht Anhänger seines von Dr. E. K. Winter übernommenen Methodendualismus sei, der der Kirche wohl die Sorge um das Seelenheil der einzelnen zubilljgt, nicht aber ein Urteil in sozialen und wirtschaftlichen Dingen . Diese moderne Ansicht scheint in direktem Widersprach der Quadragesimo anno (42) zu stehen, die sagt, daß es „falsch ist, die Bereiche des Wirtschaftlichen und des Sittlichen derart auseinanderzureißen, daß jener außer alle Abhängigkeit von diesem tritt". Das V. Laterankonzil hat die Irrlehre der Alexandristen (Pomponatius und Simon Porta, 12, 15 12) von der doppelten Wahrheit verurteilt, ebenso wie die modernistische Trennung von Glauben und Wissen von Pius X. verurteilt worden ist; ob der Methodendualismus sich damit be rührt, wird Rom entscheiden. Unterdessen sei es aber gestattet, die sozialen Grundsätze nach den Weisungen der Päpste zu predigen, für die Wiedergewinnung der Abseitsstehenden zu arbeiten, da es doch „der größte Skandal des 19. Jahrhunderts ist, daß die Kirche die Arbeitermassen verloren hat“ (Pius XL), sei es gestattet, die Lehren der Kirche in einer den Arbeitern annehmbaren Form darzustellen, wie es eben im „Operismus“ geschieht! Gerade die in der sozialen Praxis Arbeitenden haben sich schon lange nach einer stoßkräftigen, kampfbereiten Darlegung der arbeiterfreundlichen Lehren der Kirche gesehnt, die dann wieder in verschiedenen Formen befolgt werden können.

Hiezu eine kurze unparteiische Bemerkung im Sinne einer Verständigung und gerechten Grenzziehung: Prof. Knoll geht einwandfrei von der Scholastik aus, die eine doppelte Erkenntnisquelle lehrt: Offenbarung und Vernunft, jede Frage wird so doppelter Betrachtung zugänglich, auch die soziale Frage. Sie ist als eine sozialethische Frage- Gegenstand der Theologie, beziehungsweise Moraltheologie, als ein sozialtcchnischer Gegenstand der Soziologie, beziehungsweise Sozialpolitik. Die Ergebnisse b e i- der Wisse nschaf ten und ihrer Methoden, der Offenbarung und Vernunft, erzeugen damit doch wohl keine „doppelte Wahrheit" im averroistischen, sondern die eine Wahrheit im christlichen Sinn. Die Grenzen beider einander s:ch ergänzenden Methoden, die der Offenbarung und Vernunft, in der sozialen Frage herausgearbeitet zu haben, ist Prof. Knolls oft anerkanntes Verdienst. Denn sein „Methodendualismus“ ist einheitliche Frucht aus Offenbarung und Vernunft. „Die Furche“

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