Um fokussierte Intelligenz

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Ursula Stenzels Klage über zuviel Liberalität in der ÖVP löste einen Sturm im Wasserglas aus. Dahinter verbergen sich aber wichtige und notwendige Debatten.

Dass Wahlkampf eine "Zeit fokussierter Unintelligenz“ ist, gehört zu den genialeren, wenn auch schon beinah acht Jahre alten Bonmots von Michael Häupl. Man ist versucht, mit dieser rhetorischen Keule auch auf eine Bezirkspolitikerin der anderen Couleur einzuschlagen: Ursula Stenzel hält, so die öffentliche Wahrnehmung dieser Tage, ihre ÖVP für "zu liberal“, weil sie den Salzburger JVP-Chef, einen Muslimen, für die Nationalratswahl an eine wählbare Stelle gereiht hat.

Dabei könnte man mit der Häupl’schen Sottise gleich die ganze öffentliche Debatte dieser Causa charakterisieren. Denn bei genauerer Lektüre des Presse-Interviews mit Ursula Stenzel, auf das sich die mediale Aufregung bezog, liest man, dass sie ihre ÖVP wohl für zu liberal befindet - aber sie bezieht das vornehmlich auf die Gesellschafts- und Familienpolitik der Partei (z. B. beim Thema eingetragene Partnerschaft).

Aber solches interessiert kaum, gilt die Wiener Bezirkspolitikerin ja seit Jahr und Tag als Exponentin des rechtskonservativen Parteiflügels. Wenn schon, dann müssten sich Diskussion und Kritik an diese Anmutung halten, die ÖVP endlich wieder auf einen strammen Kurs zu trimmen.

Die Debatte hinter dem Aufregerl

Die kurze Bemerkung, wegen der VP-Kandidatur Asdin El Habbassis (so heißt der Salzburger JVP-Chef) würden der ÖVP ein paar Wähler abhanden kommen, ist da bestenfalls eine Fußnote dieser grundsätzlicheren Auseinandersetzung. Zugegeben, eine medial äußerst griffige.

Man sollte sich dennoch die Mühe machen, die Debatte, die sich hinter dem Aufregerl verbirgt, ein wenig ans Licht zu bringen. Da ist zum einen ganz nüchtern besehen die Tatsache, dass eine Demokratie eigentlich jede relevante Bevölkerungsgruppe abzubilden hat. Und da Muslime erkennbar Teil dieser Gesellschaft sind, müssen sie sich auch in den Vertretungskörpern dieses Staates wiederfinden. Eine Partei wie die ÖVP, die nicht nur dem Namen nach Volkspartei sein will, kann also gar nicht umhin, ihre Kandidatenlisten auch Muslimen zu öffnen. Die anderen Parteien stehen im Übrigen diesbezüglich vor analogen Herausforderungen - es sei denn, sie schreiben sich Islamgegnerschaft per se auf ihre Fahnen.

ÖVP und Muslime - eigentlich zwei Verbündete?

Einen durchaus pikanten, zweiten Aspekt stellt die Tatsache dar, dass gerade diejenigen, die - beispielsweise in der ÖVP - stärkere konservative Konturen fordern, unter den traditionellen Muslimen geradezu natürliche Verbündete hätten: Kaum sonstwo steht das "traditionelle“ Familienbild oder die Ablehnung von Homosexualität, um nur zwei Konfliktpunkte zu nennen, so klar auf der Agenda wie dort. Die Integration dieses Milieus in die Partei wäre also mitnichten eine liberale, sondern eine ganz und gar konservative Strategie.

Bleibt als drittes zu konstatieren, dass Stenzels Wortspenden jedenfalls als Forderung des rechten ÖVP-Flügels nach mehr Gewicht zu verstehen sind. Das ist auch ein Teil der aktuellen Suche dieser Partei nach ihrem Ort in der Gesellschaft und in der politischen Landschaft. Manche in der Partei wünschen sich da mehr urbane Liberalität. Und die Stenzel-Brigade pocht eben auf das antiliberale Profil. Das ist der notwendige Profilierungsprozess einer Partei. Der Beobachter schaut staunend zu.

Ein frommer Wunsch wäre, dass derartige Prozesse und Austarierungen im Wahlkampf sichtbar würden - und eben nicht fokussierte Unintelligenz. Im Übrigen betrifft diese Auseinandersetzung längst nicht bloß die ÖVP. Auch die SPÖ und jedenfalls die Grünen müssen ihre Orte zwischen den Begrenzungen Weltoffenheit und Wertebewusstein klären (um von "liberal“ und "konservativ“ einmal wegzukommen). Unsereiner fügt da noch hinzu: Dabei sollten auch religiöse Werte und Haltungen auf Augenhöhe und mit Gewicht wahrgenommen werden.

otto.friedrich@furche.at

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